500.000 Bücher verschwinden wegen Copyright aus dem Internet Archive

Große Verlage können dem Internet Archive Werke melden, deren Digitalversion es aus seiner Open Library nehmen muss. Die Auswirkungen sind jetzt bekannt.

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Weißes Copyright-Symbol

Weil Copyright keine freie Online-Bibliothek.

(Bild: MR Gao/Shutterstock.com)

Lesezeit: 5 Min.

Die Open Library des Internet Archive, die ähnlich wie traditionelle Bibliotheken funktioniert und digitale Kopien gekaufter oder gespendeter physischer Bücher verleiht, musste aufgrund einer Copyright-Klage großer Verlage rund 500.000 Bücher aus ihrem Sortiment nehmen. Dies hat Chris Freeland, Bibliothekar bei der Non-Profit-Organisation mit Sitz in San Francisco, in einem Blogeintrag bekannt gegeben. Das 2007 gestartete Verleihprojekt umfasste nach eigenen Angaben schon zwei Jahre später 24 Millionen bibliografische Datensätze und Links zu 1,2 Millionen digitalisierten Büchern. 2020 waren rund 1,5 Millionen Werke im Verleihangebot. Somit ist etwa ein Drittel des Online-Bestands aktuell nicht mehr verfügbar.

Die Verlage Hachette, Harpercollins, John Wiley & Sons und Penguin Random House (Bertelsmann) verklagten das Internet Archive 2020 in New York. In dem viel beachteten Fall werfen sie dem Betreiber vor, er verletze mit der Open Library vorsätzlich das Copyright, indem er Bücher scanne, die Digitalisate auf eigene Server hochlade und auf einer öffentlich zugänglichen Website anbiete. Autoren und Verlage würden für diese Nutzungen nicht vergütet. Während der Corona-Pandemie öffneten die Macher ihre schon vorher vonseiten der Rechteinhaber kritisierte Online-Bibliothek vorübergehend als "National Emergency Library" zusätzlich unbegrenzt für Studenten, was letztlich die Klage auslöste. Im März 2023 urteilte das angerufene Gericht, dass das Archiv für Urheberrechtsverletzungen haftet und Schadenersatz zahlen soll.

Das Internet Archive ist Ende vorigen Jahres gegen diese Entscheidung in Berufung gegangen. Der Betreiber argumentiert, dass sein "kontrolliertes digitales Leihprogramm" eine rechtmäßige Nutzung auf Basis der "Fair Use"-Doktrin der USA darstelle. In dem Fall gehe es auch darum, das Prinzip der traditionellen Bibliotheksausleihe in der digitalen Welt und die damit verknüpfte freie Wissensvermittlung zu bewahren. Am 28. Juni findet dazu eine Verhandlung statt, für die sich das Internet Archive nun weiter öffentlich wappnet und das Ausmaß der bisherigen Auswirkungen des Urteils aus der ersten Instanz bekannt macht.

Laut der im zweiten Verfahrensgang zur Diskussion stehenden Unterlassungserklärung können alle Unternehmensgruppen der klagenden Verlage dem Betreiber jederzeit Listen der Werke übermitteln, die sie derzeit als E-Book kommerziell vermarkten. Dann hat das Internet Archive 14 Tage Zeit, diese aus seiner Online-Bibliothek zu nehmen. Im Laufe der vergangenen Monate ist dabei einiges zusammengekommen. Bieten die Verlage einen Titel nicht als E-Book an, darf das Archiv die selbst angefertigten Scans zunächst weiter online verleihen.

"Unsere Position ist klar", führt Freeland jetzt aus: "Wir möchten es unseren Bibliotheksbesuchern schlicht und einfach ermöglichen, die Bücher, die wir besitzen, auszuleihen und zu lesen, wie in jeder anderen Bibliothek auch. Wir kaufen und erwerben Bücher – ja, physische, gedruckte Bücher – und stellen sie einer Person zur Verfügung, die sie ausleihen und online lesen kann. Diese Arbeit ist für Leser und Autoren gleichermaßen wichtig, da viele jüngere und einkommensschwache Leser nur lesen können, wenn Bücher kostenlos ausleihbar sind." Zudem würden viele Werke nur durch die Arbeit von Bibliothekaren entdeckt oder würden nur durch deren Einsatz erhalten werden.

"Wir verwenden branchenübliche Technologie, um zu verhindern, dass unsere Bücher heruntergeladen und weiterverteilt werden", betont Freeland. Er bezieht sich auf das eingesetzte digitale Rechtekontrollmanagement (DRM). Um dieses zu verteidigen, ging das Internet Archive bereits gegen ein Anti-DRM-Tool vor. Es handle sich um dieselbe Technik, "die auch von kommerziellen Verlagen verwendet wird", erläutert Freeland. Die Kläger forderten aber, "dass wir die Bücher, die wir besitzen, nicht ausleihen dürfen". Die erste gerichtliche Entscheidung und die daraus resultierende einstweilige Verfügung habe generell "zutiefst negative Folgen" für die Nutzer gehabt. "Sie haben uns mit vielen Anfragen überschwemmt", schreibt der Bibliothekar. "Aus den Hunderten von Erfahrungsberichten, die wir erhalten haben, geht klar hervor, dass der Zugriff auf unsere Bücher für die vielen Menschen auf der ganzen Welt, die für ihre Ausbildung und berufliche Entwicklung auf unsere Bibliothek angewiesen sind, weiterhin eine absolute Notwendigkeit darstellt."

Der Betreiber hat einen offenen Brief an die Verleger verfasst, mit dem er sie auffordert, den Zugang zu den Büchern und dem darin enthaltenen Wissen wiederherzustellen. Die Petition steht zur Mitunterzeichnung offen. Erfolgsaussichten in der erneuten Behandlung des Falls bestehen. So urteilte etwa 2015 ein US-Berufungsgericht, dass Googles Buch-Scanprojekt Books nicht gegen das Copyright verstößt. Die Nutzung entspreche dem Fair-Use-Konzept. Mit Google Books ist aber keine Ausleihe möglich, sondern ein Durchsuchen digitalisierter Bücher und das Lesen von Auszügen. Zudem urteilten US-Gerichte in einem Copyright-Rechtsstreit zwischen einer Universität und dem Verlag Cambridge University Press größtenteils gegen letzteren unter Bezug auf Fair Use. Stein des Anstoßes war hier, dass Studenten Auszüge aus geschützten Werken in Online-Foren der Hochschule posteten.

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