DIHK-Präsident warnt vor "Schock" für Firmen bei ungeregeltem Brexit
Die Uhr tickt. In weniger als 50 Tagen könnte Großbritannien die EU verlassen – ohne Abkommen. Der DIHK-Präsident schreibt einen Brandbrief.
Die deutsche Wirtschaft stellt sich immer mehr auf einen ungeregelten Austritt Großbritanniens aus der EU ein – und will das Schlimmste verhindern. "Mit Blick auf das schnell näher rückende Austrittsdatum müssen wir unsere Kräfte bündeln, um auch die Unternehmen zu erreichen, die sich bisher noch nicht auf den Brexit vorbereitet haben", steht in einem Brief von DIHK-Präsident Eric Schweitzer an die Spitzen der Industrie- und Handelskammern in Deutschland. Ein ungeregelter Brexit mit Wirkung Anfang November sei "leider ein sehr wahrscheinliches Szenario", heißt es in dem Brief vom Freitag. Er lag der Deutschen Presse-Agentur vor.
Wie die Mongolei oder Kambodscha
Handelsrechtlich werde das Vereinigte Königreich Anfang November mit hoher Wahrscheinlichkeit über Nacht zum Drittstaat und erhalte damit quasi von einer Minute auf die andere den gleichen Status wie beispielsweise die Mongolei oder Kambodscha. "Kurz vor dem Weihnachtsgeschäft dürfte dies von vielen Unternehmen auf allen Seiten als große Herausforderung, wenn nicht sogar als Schock erlebt werden – nicht nur in Großbritannien, sondern auch in Deutschland."
Vor allem Betriebe, die bislang über keine Erfahrungen im Geschäft mit Drittländern verfügten, müssten dann schlagartig mit erheblichen Veränderungen klarkommen. Nach Schätzungen des DIHK stehen derzeit insgesamt rund 70.000 deutsche Unternehmen in Geschäftsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich. "Es wird also viele von uns treffen", meint Schweitzer.
Nicht nur Zölle in Höhe von mehreren Milliarden Euro, sondern auch Zollbürokratie in Höhe von rund 200 Millionen Euro jährlich kämen bei einem ungeregelten Brexit nach DIHK-Schätzungen auf deutsche Unternehmen zu. Zudem drohe zusätzliche Brexit-Bürokratie etwa in den wichtigen Bereichen Transport, Steuern oder Datenaustausch sowie große Unsicherheiten beim Aufenthaltsstatus der Mitarbeiter. "Insgesamt könnte ein ungeregelter Brexit dazu führen, dass Standards und die Normung von Produkten weiter auseinanderlaufen."
Wieder einmal eine heiße Phase
Das Ringen um den Brexit geht sieben Wochen vor dem geplanten EU-Austritt Großbritanniens am 31. Oktober in die heiße Phase. Der Ausgang ist offen. Am Montag war ein Gesetz in Kraft getreten, das den britischen Premierminister Boris Johnson dazu zwingt, eine Verlängerung der am 31. Oktober auslaufenden Brexit-Frist zu beantragen, sollte nicht rechtzeitig ein Abkommen mit der EU vom Unterhaus gebilligt sein. Johnson lehnt das aber kategorisch ab und will "lieber tot im Graben" liegen.
DIHK-Präsident Schweitzer schrieb in dem Brief, der Brexit werfe schon jetzt seine Schatten voraus. Seit dem Referendum vor gut drei Jahren gingen die Im- und Exporte ins Vereinigte Königreich zurück. Die Exporte von Deutschland nach Großbritannien seien seit 2016 um mehr als 8 Prozent gesunken, während im gleichen Zeitraum die Ausfuhren in die EU um 12 Prozent gestiegen seien.
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Die britische Regierung hatte vor Kurzem ein internes Papier zu den möglichen Folgen eines ungeregelten Brexits veröffentlicht. Darin ist von Mega-Staus und Mangel an Lebensmitteln die Rede. Wegen Zollkontrollen könnten den Dokumenten zufolge am Ärmelkanal tagelange Wartezeiten für Lastwagen entstehen. Es könnte bis zu drei Monate dauern, bis sich die Lage beruhigt.
Schweitzer schreibt, seit dem Brexit-Referendum im Juni 2016 hätten die Industrie- und Handelskammern bereits in mehr als 100.000 Fällen Unternehmen beraten. Er bittet die Spitzen der IHK darum, die Mitgliedsunternehmen weiterhin über die laufend aktualisierte Brexit-Checkliste zu informieren. (mho)