Das chinesische IPv9: aufgeblähtes ENUM als Papiertiger

Anklänge zum Standard für Telefonnummern-Mapping im Domain-System finden sich hinter der in China unter dem Namen IPv9 entwickelten Technik -- die für heftige Diskussionen nicht nur in China sorgt.

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Von
  • Monika Ermert

Eine Rückkehr zu einer rein numerischen Internetadressierung mit 10-stelligen Adressen anstelle der Abbildung von Namen auf IP-Nummern, das steckt im Wesentlichen hinter dem als IPv9 titulierten Vorschlag, der seit Anfang der Woche die Gemüter der Netzarchitekten erregt. Auch in einem Einführungspapier zu dem Konzept, als dessen Autor Xie Jianping, Leiter des Shanghai Research Institute of General Machinery (SRIGM), fungiert, heißt es: "Das numerische Adresssystem zielt darauf, mit arabischen Zahlen von 0 bis 9 die klassischen Domains mit englischen Buchstaben zu ersetzen, um ins Netz zu gehen." Die neuen Zahlen-Adressen sollen auch direkt als Adressen vergeben werden, erklärten die Urheber des Vorschlags. IPv9 heiße das Konzept folglich auch einfach deswegen, weil die Zahlen 0 bis 9 eingesetzt würden, sagt Netzwerkexperte James Seng aus Singapur in einer ersten Reaktion.

Vom Prinzip her wäre das eine Rückkehr zu einem System rein numerischer Hostadressen. Allerdings geht aus dem Papier nicht ganz eindeutig hervor, ob IPv4/IPv6-Adressen abgelöst oder wiederum als Basis für das numerische System dienen sollen; auch darüber, wie Domains aus dem Nicht-IPv9-Ausland "übersetzt" werden, schweigt man sich offiziell noch aus. Der technische Vorschlag verspricht aber Kompatibilität zu beiden System. Wie das genau funktionieren soll, dazu konnte das Shanghaier Büro von Xie Jianping keine Angaben machen -- der IPv9-Hauptinitiator selbst ist derzeit unterwegs und war nicht zu sprechen.

Für die Feldversuche, die Xie Jianping innerhalb Shanghais gemacht hat, wurde laut dem Papier "über IPv4 getunnelt". Insgesamt seien bereits mehrere Behörden und öffentliche Einrichtungen in Shanghai und Fujian an Teilprojekten beteiligt. Sowohl eine Plattform für die sichere elektronische Steuerverwaltung als auch ein Projekt für das Management der Sozialversicherung und natürlich der Einsatz für VoIP werden als bereits angestoßene Piloten genannt.

Welche Vorteile IPv9 gegenüber IPv4/IPv6 für die aufgeführten Projekte hat, dazu macht das Papier ebenfalls nur spärliche Angaben. Im Wesentlichen wird die "Vereinheitlichung" der Adressierung und ein Mehr an potenziellen Nummern angegeben, doch dabei wird nur auf die Knappheit von IPv4 Bezug genommen: 50 Prozent der potenziellen Hostadressen seien bereits verpulvert. Auch das mögliche Argument, dass chinesische Muttersprachler Zahlen englischsprachigen Adressen vorziehen, kann inzwischen durch den Start chinesischer Domains in gewissem Maß entkräftet werden.

So sind es vor allem die politischen Argumente, die IPv9-Befürworter in China anführen. Da ist zum einen die Analogie zum stärker unter nationaler Kontrolle verankerten Telefonsystem. Die IPv9-Adressen sollen analog zu den Rufnummern in China zehnstellig sein und national vergeben werden. Jedes Land soll, so die Idee der Autoren, seinen durch nationalen Identifier -- im Telefonsystem die Vorwahl -- versehenen "Nummerblock" selbst verwalten: Ein Vorschlag der dem chinesischen Ministerium für Informationsindustrie zu gefallen scheint: Es förderte die Gründung der Ten-Digit-Standardisierungsgruppe von Xie Jianping im September 2001.

Im Leserforum der chinesischen Newssite sina.com, wo mittlerweile eine Debatte rund um IPv9 tobt, wiesen Nutzer bereits auf die Analogie zu ENUM hin. Das tElephone NUmber Mapping für Telefonnummern-Domains soll als einheitlicher Directory-Service das Auffinden und Adressieren von Personen erleichtern. Auch bei ENUM werden Nummern ins DNS eingetragen, und auch dort hat die nationale Telefon-Behörde das Sagen. Patentansprüche seien daher wohl reichliche verfehlt. Als "gedoptes ENUM" bezeichnete auch eine Mitarbeiterin des im Bereich IPv6 aktiven Pekinger Internet Institut den Vorschlag: Bei IPv9 handele es sich im Wesentlichen um den Versuch eines Forschers, sich mehr Gelder zu sichern.

Insgesamt hagelte es Kritik an den Versuchen, ein chinesisches IPv9 zu entwickeln und zu etablieren. "Klar, ich habe auch gerade IPvChinese erfunden", schrieb ein chinesischer Leser. Ein anderer wunderte sich, warum man sich ausgerechnet um ein neues Protokoll Gedanken mache, wo es dem Land sonst an allen Ecken und Ende fehle. Und die Techniker-Community rund um die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) und IPv6-Experten wirkten leicht konsterniert angesichts des plötzlichen Medienrummels um ein Protokoll, mit dem niemand etwas anfangen kann. Allerdings liefen die Internet-Drähte zu chinesischen Kontaktleuten sehr wohl heiß -- und noch ist dies ja ohne IPv9-NAT möglich. Wogegen mit IPv9, so die Ansprüche der Erfinder, eine stärkere Kontrolle des Datenverkehrs erleichtert werden solle. (Monika Ermert) / (jk)