Datenschutzbericht: Kräftiges Wachstum der Telefon-Überwachung

Die Verhältnismäßigkeit der Mittel sieht der Bundesdatenschutzbeauftragte bei Telefonüberwachung und Bekämpfung der Internet-Kriminalität in Gefahr.

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Von
  • Richard Sietmann

Genau 12.651 Fälle einer richterlich angeordneten Telefonüberwachung durch amtliche Strafverfolger verzeichnet die Justizstatistik für das Jahr 1999 – ein Zuwachs um 170 Prozent gegenüber 1995 und um 30 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Joachim Jacob, der heute seinen zweijährigen Tätigkeitsbericht 1999 bis 2000 an Bundestagspräsident Thierse übergab, verfolgt die Entwicklung mit Sorge. Doch über die Gründe kann er nur spekulieren. Niemand weiß, wie effektiv das Instrument des §100a der Strafprozessordnung zur Gewährleistung des staatlichen Strafverfolgungsanspruchs tatsächlich ist, denn empirische Untersuchungen oder Erkenntnisse, wie mit diesem massiven Eingriff in die bürgerlichen Freiheiten in der Praxis umgegangen wird, gibt es bisher nicht.

"Da gibt es nur Mutmaßungen", erklärte er vor der Bundespressekonfernz in Berlin. Ein Grund sei möglicherweise die stark gestiegene Verbreitung der Handys, es könne aber auch sein, dass eine Telefonüberwachung nicht mehr die Ultima Ratio – das letzte in Betracht gezogene Mittel – der Ermittlungsbehörden darstelle, "sondern zu einer Standardmaßnahme geworden ist". Jacob fordert deshalb eine gesetzliche Berichtspflicht. "Der Gesetzgeber sollte darüber informiert sein, wie die Telefonüberwachung in der Praxis wirkt, wie viele Personen betroffen waren, welche Erfolge sie gebracht hat, was sie gekostet hat, und was mit den nicht mehr für das laufende Ermittlungsverfahren benötigten Daten geschieht."

Die Verhältnismäßigkeit der Mittel sieht der oberste Datenschützer des Bundes auch bei der Bekämpfung der Internet-Kriminalität in Gefahr. Natürlich sei das Internet kein rechtsfreier Raum, aber "zu viel Überwachung schadet jeder Demokratie". Und selbstverständlich könne man den Missbrauch zur Verbreitung extremistischer Hetze, von Raubkopien urheberrechtlich geschützter Werke oder von Kinderpornografie nicht hinnehmen, auch wenn er nur einen kleinen Teil der Nutzung dieses Mediums ausmache; doch die vorsorgliche Speicherung aller personenbezogenen Daten aus allen Nutzungen des Internet wäre offensichtlich unverhältnismäßig und würden für jeden Einzelnen einen unzumutbaren Überwachungsdruck erzeugen.

Was Jacob im Berichtszeitraum besonders störte, ist der mangelnde Respekt gegenüber den Erfordernissen des Datenschutzes im nicht-staatlichen Bereich, besonders im E-Commerce. "Das Interesse der privaten Wirtschaft an Transparenz und Aufklärung ihrer Kunden war nicht sehr ausgeprägt", klagt er. Kunden würden verunsichert, weil Händler ihre Adressdaten anders nutzten als sie dies auf ihrer Webseite versprächen. Dies übrigens ganz legal: Bestellt jemand online bei einem Internet-Kaufhaus, so gilt für die Daten, die beim Bestellen im Online-Teil dieses Handels anfallen, das strengere Teledienstedatenschutzgesetz, das die Weitergabe dieser Nutzungsdaten an Dritte verbietet. Die Angaben jedoch, die zur Abwicklung des Handels und zur korrekten Auslieferung offline nötig sind – etwa Lieferadresse und Bezeichnung der bestellten Ware – unterliegen den weniger strengen Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes und dürfen weitergegeben werden, sofern der Kunde dem zuvor nicht explizit widersprochen hat.

So täuschen pauschale Zusicherungen den vertraulichen Umgang mit den erhobenen Kundendaten oftmals nur vor und können gebrochen werden, ohne geltendes Recht zu verletzen. Abhilfe erhofft sich Jacob von der geplanten Einführung eines Datenschutz-Audits, das ähnlich wie die bereits eingeführten Qualitäts- und Umweltaudits die Einhaltung gewisser Standards in den Firmen prüfen und nach außen hin dokumentieren soll. Noch besser, meinte Jacob, wäre aber eine Vorschrift, die den Bruch eines gegebenen Versprechens zum Umgang mit personenbezogenen Daten bestraft.

Deutliche Kritik äußerte der Bundesdatenschutzbeauftragte an der Untätigkeit, die der Gesetzgeber bisher gegenüber dem Einsatz von Informationstechnik zur Überwachung von Arbeitnehmern in Unternehmen an den Tag legte. "Die Angebote von Software, die jeden Mausklick oder jede Internet- und E-Mail-Adresse registriert und arbeitsplatzbezogen auswertet, werden immer häufiger sowie günstiger", erklärte er, doch "da gesetzliche Regelungen zum Arbeitnehmerdatenschutz nach wie vor weitgehend fehlen, ist die Rechtslage auf Grund einer notwendigerweise lückenhaften, aber auch schwer zu erschließenden Rechtsprechung vielfach nicht eindeutig". Der Deutsche Bundestag hat in der Vergangenheit die Bundesregierung bereits mehrfach aufgefordert, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen, doch auch die rot-grüne Koalition hat ihre diesbezügliche Zusage bislang nicht eingelöst. Die Ankündigung sollte endlich umgesetzt werden, appelliert Jacob an die Bundesregierung, "damit Rechtsklarheit und Rechtssicherheit für alle Beteiligten geschaffen wird".

Siehe zum Bericht des Datenschutzbeauftragten auch: "Spürbare Sanktionen" bei Datenschutz-Verstößen gefordert. (Richard Sietmann) / (jk)