Demokratie per Internet - Esten können elektronisch wählen

Estland gilt als technikbegeistert. Der computerlesbare Personalausweis bei sensiblen Angelegenheiten dient bereits als digitale Unterschrift; viele Esten erledigen ihre Steuererklärung im Internet oder füllen den Lottoschein per Handy aus.

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Von
  • Jakob Lemke
  • dpa

Estland steht vor einer Weltpremiere: Bei den Kommunalwahlen am 16. Oktober dürfen die Bürger ihr Votum erstmals auch per Klick im Web abgeben. Das seit einigen Jahren vorangetriebene Projekt ist nach Ansicht der Macher praxisreif. Heftig kritisiert wurde die neue Möglichkeit zur Stimmabgabe aber von Staatspräsident Arnold Rüütel.

Viele Esten erledigen schon heute ihre Steuererklärung im Internet oder füllen den Lottoschein per Handy aus. Der kleine baltische Staat gilt als technikbegeistert. So dient der computerlesbare Personalausweis bei sensiblen Angelegenheiten als digitale Unterschrift. "Heute gibt es in Estland mehr als 800.000 Personen, die über eine ID-Karte verfügen -- wahlberechtigt sind gut eine Million", sagt Mikhel Pilving, der im Tallinner Riigikogu (Reichstag) die Abteilung Wahlen leitet. In der Praxis ist das estnische e-voting unkompliziert: An den Computer setzen, den Personalausweis durch ein Lesegerät ziehen und die spezielle Wahl-Internetseite aufrufen. Dort werden die Kandidaten des Wahlkreises angezeigt und man entscheidet per Mausklick. Als Bestätigung wird noch ein PIN-Code eingegeben -- fertig.

Der wichtigste Unterschied zu den herkömmlichen Verfahren kommt erst jetzt: Denn der Wähler kann seine Entscheidung überdenken und bis Wahlschluss beliebig oft ändern. Oder er kann auch in ein herkömmliches Wahllokal gehen und dort sein Kreuz machen -- dann wird die "e-Stimme" annulliert. Staatspräsident Rüütel sieht darin einen Verstoß gegen die Wahlgleichheit und verweigerte seine Unterschrift unter das betreffende Gesetz. Durch die Möglichkeit zur Stimmänderung seien die Nicht-Computer-Wähler nicht mehr gleichgestellt zu den Internet-Benutzern. Das Verfassungsgericht müsse entscheiden, meinte der 77- Jährige. Die Richter in Tallinn aber verwarfen seine Argumentation.

Am 1. September dieses Jahres machten die Verfassungsrichter endgültig den Weg frei für den weltweit erstmaligen Internet-Gebrauch bei landesweiten politischen Wahlen. "Auch bei diesem Verfahren hat jeder Wähler nur eine Stimme", erklärt Marelle Lepik, Pressesprecherin des obersten Gerichts. In der Entscheidung hätten die Richter weiter darauf hingewiesen, dass die neue Option zum Ziel habe, die Wahlbeteiligung zu erhöhen und damit die Demokratie zu stärken.

Eine repräsentative Umfrage bestärkt die Befürworter der neuen Wahlmöglichkeit. 21 Prozent der Befragten gaben an, per Internet wählen zu wollen. Gleichzeitig erkannten die Demoskopen einen Trend zu höherer Wahlbeteiligung. Um die Sicherheit zu gewährleisten, hatte man in Tallinn während der Probeläufe Hacker zum Testen eingestellt. Nun sind wichtige Teile des Systems nicht mehr miteinander vernetzt, die Server stehen unter Polizeischutz und der Computer, an dem schließlich die "e-Stimmen" gezählt werden, ist nicht ans Internet angeschlossen.

Knapp 30 Länder wollen die Premiere durch Experten beobachten, darunter auch die Schweiz und Österreich. Aus Deutschland habe sich bisher niemand angemeldet, bedauert Wahlleiter Pilving: "Aber das Leben zeigt: Am Anfang haben solche Projekte wenige Teilnehmer, doch mit der Zeit werden es mehr." (Jakob Lemke, dpa) / (jk)