Desktopumgebung Gnome 40: Deutliche optische Änderungen & neues Versionsschema

In den jüngsten Jahren bargen neue Gnome-Versionen meist eher zurückhaltende optische Änderungen. Gnome 40 ändert das und umfasst zudem viele neue Funktionen.

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Die GNOME-Shell präsentiert sich neuerdings vor allem waagerecht, statt wie bisher auf eine senkrechte Darstellung der Desktop-Elemente zu setzen.

(Bild: Screenshot)

Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Martin Gerhard Loschwitz
Inhaltsverzeichnis

Nachdem es in neuen Gnome-Versionen zuletzt vorrangig um die Verbesserung von Performance und Stabilität der Desktopumgebung ging, bringt Gnome 40 erstmals wieder umfassende optische Änderungen der Shell mit. Darüber hinaus hat die neue Version aber auch viele funktionale Neuerungen im Gepäck.

Als das Gnome-Projekt 2011 die Gnome-Shell vorstellte, die die Desktopumgebung in puncto Optik und Funktionalität stark umkrempelte und von anderen Desktops abhob, kehrten viele Nutzer dem Projekt den Rücken. Die zugrundeliegende Idee, den Benutzer möglichst wenig von seiner aktuellen Tätigkeit abzulenken, zündete letztlich aber doch: Mittlerweile hat sich das Projekt nebst Shell eine treue Fangemeinde erarbeitet, die nun einiges Neues geboten bekommt.

Ein kleiner Einblick in GNOME 40 (3 Bilder)

Stabile Seitenlage

Das GNOME Dash gleitet nun von unten nach oben in den Bildschirm, und auch der Application Launcher scrollt nun waagerecht und nicht wie zuvor senkrecht.
(Bild: Screenshot)

All jene, die die bereits im September 2020 die Ankündigung des neuen Versionsschemas verpasst haben, dürften angesichts der Versionsangabe zunächst einmal stutzen. Denn zwischen der Versionsnummer des bislang letzten stabilen Gnome-Releases (3.38) und der nun aktuellen "40" ist reichlich Platz. Wer hier einen technischen Quantensprung oder einen epochalen Totalumbau wie beim Wechsel von Gnome 2 zu Gnome 3 erwartet, liegt jedoch falsch: Das neue Schema soll Unzulänglichkeiten der bisherigen Versionierung umschiffen. Details hierzu haben wir bereits in einer früheren Meldung erläutert:

Die erste deutliche optische Veränderung bemerkt der Nutzer bereits unmittelbar nach dem Login in Gnome 40: Wo die Umgebung früher einfach einen leeren Desktop samt Wallpaper präsentierte, landet man nun unmittelbar in der "Aktivitäten"-Ansicht. Bislang war ein Mausklick auf den "Aktivitäten"-Button oben links nötig, um zu dieser Ansicht zu gelangen. In der Aktivitätsansicht präsentiert sich unvermittelt die zweite und wohl deutlichste Änderung der neuen Version: Die "Workspaces", also virtuellen Desktops, sind jetzt waagerecht nebeneinander angeordnet statt senkrecht wie zuvor. Das passt nicht nur viel besser zu modernen Ultra-Widescreen-Monitoren, sondern macht dank neuer Gesten – Steuerungsmöglichkeiten für den Desktop, auf die wir später noch zurückkommen – auch das Navigieren zwischen den einzelnen Desktops viel angenehmer.

Anwendungen startet der Nutzer in Gnome 40 wie bisher auch über das Quasi-Dock ("Dash") oder über den App-Launcher. Das Dash befindet sich in der Standard-Konfiguration nun allerdings nicht mehr am linken Bildschirmrand, sondern gleitet von unten elegant ins Bild kommend. In seiner Funktionalität ähnelt es nun noch stärker als zuvor dem Dock von macOS, denn in Gnome 40 gibt es erstmals einen auch optisch abgetrennten Bereich für dauerhaft im Dash abgelegte Anwendungen. Eine gestrichelte Linie trennt jene Anwendungen, deren Icons dauerhaft im Dock liegen, von denen, die dort nur auftauchen, weil sie derzeit laufen.

Ebenfalls horizontal scrollt nun der Application Launcher, also das Hauptmenü für Anwendungen in Gnome. Besonders praktisch: Während der vollständigen Ansicht der im Application Launcher vorhandenen Anwendungen zeigt die Gnome-Shell die Desktops in einer Miniatur-Ansicht an. Per Mausklick kann der Nutzer so nicht nur das Tool auswählen, das er starten möchte, sondern es per Drag-and-drop auch direkt auf jenen Desktop befördern, auf dem es laufen soll.

Eine völlig neue Benutzererfahrung stellen die Neuerungen, obgleich umfangreich, indes nicht dar: Wer mit der Gnome-Shell in Gnome 3.38 klargekommen ist, wird nach ein paar Minuten der Eingewöhnung auch mit Version 40 keine Schwierigkeiten haben.

Die Ecken ihrer Programme haben die Entwickler für Gnome 40 großflächig mit Schmirgelpapier bearbeitet, sodass sie nun schön rund und dadurch eleganter Wirken. Das betrifft neben den meisten Gnome-Core-Anwendungen auch die zentralen Steuerelemente wie das Dash, die Vorschau auf die virtuellen Desktops und die Einträge in der Menüleiste oben. Dass der Chic runder Ecken der Mode unterworfen ist – geschenkt. In das Gesamtbild des Desktops mit seinen runden Steuerelementen passen sich die neuen Fensterrahmen jedenfalls gut ein.

Die Namen der Anwendungen im Application Launcher wurden auf eine einheitliche Länge gekürzt – hovert der Anwender über eine Applikation, zeigt GNOME jeweils wieder den kompletten Namen der Anwendung an. Das verleiht dem Application Launcher eine einheitliche Erscheinung, ohne substanziell Funktionalität zu kürzen.

Zusätzlich zu den optischen Änderungen bringt GNOME 40 auch neue Funktionen im Hinblick auf die Steuerung des Desktops mit. Diese ergänzen zum Teil die stattgefundenen Funktionsänderungen. Wer etwa ein Touchpad hat, wischt mit Fingergesten zwischen den einzelnen Ansichten hin und her. Ein gleichzeitiges Wischen mit drei Fingern nach oben oder unten wechselt zwischen den Desktop-Modi (Aktivitätsanzeige / Application Launcher). Ein gleichzeitiges waagerechtes Wischen wechselt zwischen den Workspaces.

Ähnliche Abkürzungen gibt es für Tastatur-Fans: [Super]+[Alt]+[Pfeilnachoben] zeigt die Aktivitätsübersicht und bei erneutem Druck den Application Launcher an. [Super][Alt][Pfeilnachlinks/Pfeilnachrechts] navigiert in der Arbeitsflächen-Ansicht zwischen diesen.

Viele kleine Neuerungen gibt es auch bei den diversen Gnome-Anwendungen. Die auch bei Nicht-Gnome-Fans sehr beliebte Wetter-Anwendung wurde in Gnome 40 überarbeitet. Sie kann für Standorte nun wahlweise eine genaue Vorhersage für die nächsten 48 Stunden oder eine Überblicksvorhersage für die kommenden neun Tage darstellen. Der Dateimanager Nautilus unterstützt nun mehr Parameter, anhand derer er Dateien in der Darstellung sortiert – so zum Beispiel die Erstellzeit.

Das Tool zum Konfigurieren der Netzwerkhardware eines Gerätes zeigt künftig WLAN-Netze ganz oben in der Liste an, mit denen man in der Vergangenheit bereits verbunden war. Was wie eine Lappalie klingt, spart bei jeder neuen Verbindung vor Ort zumindest ein paar Sekunden, denn schließlich muss man etwa beim Aufenthalt in Innenstädten und Co. künftig nicht erst Listen mit Dutzenden Netzen durchsuchen.

Das Gnome-Software-Center zeigt jetzt weniger Benachrichtigungen an und weist auf besonders wichtige Updates – etwa solche mit Security-Hintergrund – explizit hin, statt durch die Bank alle Updates als "wichtig" zu markieren. So wollen die Entwickler Nutzer einerseits vor einer Flut an Update-Nachrichten schützen, denn moderne Desktop-Distributionen bekommen oft etliche Updates pro Tag. Andererseits sollen Nutzer so aber auch animiert werden, wirklich wichtige Updates zeitnah zu installieren, statt die Notifications angesichts der schieren Menge einfach komplett zu ignorieren.

Eine Wunsch-Änderung vieler Nutzer wartet auf der "Info"-Seite des Gnome-Einstellungsdialoges. Der zeigte bisher tatsächlich nur Details über die genutzte Gnome-Version an, verriet aber keine Informationen zu der verfügbaren Hardware. Wer einen schnellen Überblick über das System haben will, bekommt diesen in Gnome 40 endlich: Der Info-Dialog umfasst Hostnamen, verfügbaren RAM, CPU sowie die genutzte Grafikkarte und die Speicherkapazität.

Wer Lust bekommen hat, Gnome 40 auszuprobieren, muss dafür zumindest im Augenblick noch ein bisschen Arbeit in Kauf zunehmen – zumindest, wenn das Setup dauerhaft sein soll. Wer GNOME 40 nur mal schnell testen will, kann das mittels des Tools "GNOME Boxen" tun. Für die gängigen Desktop-Distributionen liegt Gnome 40 in paketierter Form Stand jetzt allerdings noch nicht vor. Zumindest inoffizielle Pakete dürften für openSUSE und Ubuntu 21.04 allerdings zeitnah erscheinen. Denn letzteres hätte ursprünglich sowieso mit Gnome 40 ausgeliefert werden sollen.

Die erste Desktop-Distribution mit offiziellem Gnome-40-Support dürfte Fedora 34 sein. In dessen Beta-Version lässt sich Gnome 40 unserem kurzen Test zufolge bereits nutzen – und später lässt sich das System auf ein vollwertiges Fedora 34 aktualisieren und weiterverwenden.

Update 25.03.21, 10:40: Textabschnitt zu den Gesten (Wischen mit drei Fingern) inhaltlich korrigiert. Danke für den Hinweis!

(ovw)