Deutschlands künftiger LNG-Bedarf: Zwischen Überkapazitäten und globalen Lücken

Europas und Deutschlands höherer Bedarf an Flüssigerdgas krempelt den Energiemarkt um. Modellrechnungen und erste Zahlen zeigen jetzt mögliche Auswirkungen auf.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 13 Kommentare lesen
LNG-Schiff

(Bild: The Mariner 4291 / Shutterstock.com)

Lesezeit: 3 Min.

Eine so schnelle und umfassende Umstellung der Lieferwege gibt es im Energiemarkt selten: Die Aufnahme von Flüssigerdgas-Importen in Deutschland und die Intensivierung in anderen europäischen Ländern wirft Fragen zur Wirtschaftlichkeit und den globalen Auswirkungen auf. Ein Marktforschungsunternehmen hat sich das jetzt genauer angesehen.

Das Marktforschungsunternehmen Icis hat für das Handelsblatt zum einen die Frage untersucht, ob in Deutschland durch die Vielzahl der LNG-Terminals Überkapazitäten entstehen und unter welchen Bedingungen die Terminals profitabel arbeiten können. Zum anderen geht es darum, wie sich die massiven Steigerungen im Einkauf von LNG auf andere Bezieher des Flüssigerdgases auswirken, darunter speziell auf Schwellenländer, die im Wettbieten um LNG finanziell nicht mithalten können.

Bereits im November warnte die gemeinnützige Organisation Climate Analytics während der Weltklimakonferenz in Ägypten vor einer Überversorgung mit LNG-Terminals. Europa baue wegen der stark eingeschränkten Gasimporte aus Russland panikartig mehr Infrastruktur auf, als benötigt wird und bislang aus Russland importiert wurde. Ein internes Papier des Bundeswirtschaftsministeriums, das Mitte Dezember öffentlich wurde, stützte dies und sprach von einer Importkapazität von bis zu 67 Milliarden Kubikmetern. Die durch schwere Sabotage zerstörte Ostsee-Gaspipeline Nord Stream 1 hatte eine maximale Transportmenge von 54 Milliarden Kubikmetern Erdgas pro Jahr. Allerdings liegt der Erhebung die Annahme zugrunde, dass tatsächlich auch alle bekannten LNG-Vorhaben in die Realität umgesetzt werden.

Icis ist bei seinen Wirtschaftlichkeitsberechnungen von einer Vollauslastung der Terminals ausgegangen – werde diese unterschritten, verschlechtere sich die Rechnung. Für Infrastrukturmaßnahmen und das zehnjährige Chartern eines Regasifizierungsschiffes wurden Kosten von 1,895 Milliarden Euro für zehn Jahre zugrunde gelegt. Ob die Betreiberfirmen das Geld wieder hereinbekommen, sogar Gewinn machen, oder rote Zahlen schreiben, hänge von der Marge des verkauften Gases ab. Diese lag im Jahr 2022 bei 17 Prozent – allerdings in einer angespannten Marktsituation. Schon zum Jahresende sanken die Großhandelspreise deutlich bis auf das Vorkrisenniveau. Das Institut hält es für möglich, dass die Marge dadurch auf 5 Prozent sinkt. Das wäre den Berechnungen zufolge zu wenig, um ein Terminal profitabel zu betreiben und würde nach 10 Jahren zu einem Gesamtverlust von 200 Millionen Euro führen.

Bei den Auswirkungen auf den LNG-Weltmarkt zeichnet sich anhand der vorliegenden Zahlen des Jahres 2022 erstmals konkret ab, in welchem Maße Europa die Nachfrage nach Flüssigerdgas erhöht. Über vorhandene Terminals in Belgien (+167 Prozent Import-Plus), Frankreich und die Niederlande (beide je +99 Prozent) sowie Polen (+56 Prozent) wurde bereits deutlich mehr Flüssigerdgas eingeführt als im Vorjahr. Die Verlierer scheinen auf den ersten Blick Brasilien (-72 Prozent), China (-21 Prozent), Pakistan (-18 Prozent) und Indien (-17 Prozent) zu sein.

Doch bei genauerem Hinsehen stellt sich heraus, dass zum Beispiel Brasilien auch weniger Bedarf hatte, da nach einem Dürrejahr in 2021 ein Jahr folgte, in dem wieder mehr Energie mit Wasserkraft statt mit Gas erzeugt wurde. In China war der industrielle Gasbedarf durch Covid-Lockdowns deutlich reduziert und auch in Pakistan gab es infolge eines Monsuns einen wirtschaftlichen Sondereffekt. Gleichwohl werden auch gestiegene LNG-Preise infolge der hohen Nachfrage als eine Ursache gesehen – und diese dürfte laut den Marktforschern mit den weiteren Terminals in Europa noch weiter an Fahrt aufnehmen.

(mki)