Die Automatisierung und das Prekariat

Zwischen bedingungslosem Grundeinkommen und weiter zunehmender prekärer Arbeit: Wie Digitalisierung, Automatisierung und die steigende Zahl der Roboter Gesellschaft und Arbeitswelt verändern, sind zentrale Fragen auf der Konferenz Robo-Philosophy.

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Die Automatisierung und das Prekariat

(Bild: Hans-Arthur Marsiske)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
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Roboter werden sich mehr und mehr zu Teilen der menschlichen Gesellschaft entwickeln. Doch wie wird diese Gesellschaft der Zukunft aussehen? Wird das Prekariat unvermeidlich wachsen oder wird die Roboter-Revolution neue Wege zu mehr sozialer Gerechtigkeit eröffnen? Diese und andere Fragen will die Konferenz Robo-philosophy noch bis Ende dieser Woche in Wien erörtern.

Es ist die dritte Ausgabe der zweijährlich stattfindenden Konferenz, die an der Universität Aarhus ins Leben gerufen wurde. In diesem Jahr können sich die Veranstalter auf das Europäische Parlament berufen, das die Einrichtung von nationalen Beratungsgremien gefordert hat, um sicherzustellen, dass bei der zunehmenden Automatisierung ethische und kulturelle Werte geschützt werden. "Das ist ein klares Signal an Politiker, dass wirtschaftliche Überlegungen nicht allein dominieren dürfen", schreiben die Robophilosophy-Organisatoren.

Die Tagung sei nicht nur für Philosophen, betonte Marc Coeckelbergh von der Forschungsgruppe Medien- und Technikphilosophie an der Universität Wien bei der Begrüßung der Teilnehmer. Zwar seien Roboter für die Philosophie sehr interessant, weil sie dazu anregten, alte Fragen neu zu stellen. Die gesellschaftliche Entwicklung werfe jedoch drängende Fragen auf, die nur transdisziplinär beantwortet werden könnten. Sie müssten zudem erörtert werden, bevor die technische Entwicklung Tatsachen geschaffen habe. "Wir dürfen die Zukunft nicht allein den Ingenieuren und Wissenschaftlern überlassen", betonte Coeckelbergh.

Mehr Infos

Siehe dazu auch:

  • Mensch-Maschine: Maschinelle Intelligenz, menschliche Maschinen und Arbeit in einer digitalen Gesellschaft, c't 4/2018

Stichworte, die schon am ersten Konferenztag in mehreren Vorträgen genannt wurden, waren "soziale Gerechtigkeit" und "Gleichheit". Den wirtschaftsgeschichtlichen Kontext dazu erläuterte Guy Standing in seinem Grundsatzvortrag im Anschluss an Coeckelberghs Eröffnungsrede. Standing ist Wirtschaftswissenschaftler an der University of London und hat 1986 das Basic Income Earth Network (BIEN) mit begründet.

Ein bedingungsloses Grundeinkommen zählt auch zu Standings Antworten auf die weltweit zunehmende Prekarisierung von Arbeitsverhältnissen, die sich seit den 1980er-Jahren vollziehe, befördert durch den Siegeszug des Neoliberalismus. Der habe einen Abbau aller Institutionen bewirkt, die für solidarisches Verhalten stehen, weil sie als Hindernis für die wirtschaftliche Entwicklung angesehen wurden. Ins Zentrum wirtschaftspolitischer Überlegungen seien stattdessen die Firmen gerückt. Aus dieser Entwicklung sei mittlerweile eine globale Ökonomie hervorgegangen, die sich auf Besitzrechte (sowohl geistige wie physische) stützt und heute von den fünf großen platform corporations Apple, Google/Alphabet, Amazon, Facebook und Microsoft dominiert werde.

Diese ökonomische Revolution, erklärte Standing, sei durch eine ideologische Revolution begleitet worden, die das Zeitalter der Sozialdemokratie beendet und den Neofaschismus befördert habe. Eine technologische Revolution habe zudem die internationale Arbeitsteilung verändert, den Handel mit Komponenten statt fertiger Produkte gestärkt und Apps in die Funktion als Makler gehoben. Alle drei Entwicklungen zusammen hätten eine neue globale Klassenstruktur hervorgebracht, mit dem Prekariat als größter und rasch wachsender Klasse.

Zu den Merkmalen des Prekariats zählten instabile Arbeitsverhältnisse mit einem großen Anteil unbezahlter Arbeit. Angehörige des Prekariats seien ständig mit der Frage konfrontiert, wie sie ihre Zeit optimal nutzen könnten. Für noch wichtiger als die permanente ökonomische Unsicherheit hält Standing jedoch die Verweigerung von vollen Bürgerrechten. Prekarier erlebten sich zunehmend als Fremde im eigenen Land. Das Leben im Prekariat beschrieb Standing als den "Versuch, auf Treibsand zu laufen".

Das Prekariat sei gefährlich, sagte Standing. Das sei die schlechte Nachricht – und die gute. Was ihn trotz allem optimistisch mache, sei das hohe Bildungsniveau von großen Teilen des Prekariats. Diese gut ausgebildeten Prekarier, so hofft er, könnten sich dafür einsetzen, Technologie so zu nutzen, "dass wir die Arbeit ausüben können, wie wir lieben". Ein bedingungsloses Grundeinkommen könne dabei allerdings nur Teil eines umfassenderen Maßnahmenpakets sein, zu dem auch eine Strategie der globalen Umverteilung, eine Stärkung demokratischer Einflussnahme sowie eine Neudefinition von Arbeit zählen müssten.

In jedem Fall würde das Grundeinkommen "die Verhandlungsposition von uns allen stärken". Problematisch sei, dass das Prekariat keinen klaren Gegner habe, sondern sich an den Staat wenden müsse. Standing plädiert für eine Revolte – "keine Revolution", wie er betonte – , die den nötigen Druck auf staatliche Institutionen ausübe, um ein strengeres Kartellrecht und eine stärkere Besteuerung der großen Firmen durchzusetzen.

Seinen Vortrag hatte Standing mit einer Anekdote begonnen: Bei einem Besuch der Singularity University im Silicon Valley war er mit einem Roboter konfrontiert worden, der ihm ins Gesicht sagte: "Ich werde dem Prekariat alle Jobs wegnehmen!" Zum Schluss kam er darauf zurück. Er wisse jetzt, was er hätte antworten sollen: "Ja, bitte tu das! Damit unsere Arbeit befreit wird und wir endlich wieder Freude daran haben können." (jk)