Die "Moskau GmbH" und die Deutsche Telekom

AFK Sistema gilt als Musterbeispiel für das Übertragen von staatlichen Vermögenswerten auf ein Privatunternehmen. Wladimir Jewtuschenkow, Chef des Mischkonzerns, hat zudem enge Verbindungen zur Moskauer Stadtspitze.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 52 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Stefan Voß
  • dpa

Er ist der Oligarch des russischen Mobilfunkmarktes: Wladimir Jewtuschenkow (58), dessen Mischkonzern AFK Sistema die Fühler nach der deutschen Telekom ausstreckt. Damit kreuzen sich die Wege des Moskauer Milliardärs, mit engsten Verbindungen zur Stadtspitze, und des größten europäischen Telekommunikationskonzerns schon zum zweiten Mal. Im Jahr 2003 hielten die Bonner noch etwa 40 Prozent an der Sistema-Mobilfunksparte MTS, bevor die Anteile zur Schuldentilgung vollständig verkauft wurden. Und es gibt noch eine Verbindung: Der frühere Telekom-Boss Ron Sommer agiert seit 2003 als Berater für Sistema.

In Russland zählt Jewtuschenkow zur Gruppe jener Oligarchen, die öffentliche Auftritte scheuen. Er gibt keine Interviews und ist auch im Fernsehen so gut wie nie zu sehen. In Umfragen verwechseln viele Russen den Unternehmer mit dem beliebten Schriftsteller Jewgeni Jewtuschenko. "Jewtuschenkow schreibt keine Gedichte. Aber dafür weiß er, wie man Geld macht", porträtierte die Boulevardzeitung Moskowski Komsomolez den studierten Ingenieur.

Der Mischkonzern AFK Sistema gilt als Musterbeispiel für das Übertragen von staatlichen Vermögenswerten auf ein Privatunternehmen. Neben dem größten russischen Mobilfunkanbieter MTS gehören dem Konzern das traditionsreiche Moskauer Spielwaren-Geschäft Detski Mir, das aus Sowjetzeiten bekannte Tourismusunternehmen Intourist sowie Versicherungen, Medien und Immobilien. Sogar im internationalen Filmgeschäft tummelt sich Sistema über einen Luxemburger Ableger. Jewtuschenkow beteiligte sich an der Finanzierung des Kinofilms "Match Point" von Erfolgsregisseur Woody Allen mit Scarlett Johansson in der Hauptrolle.

Dass Sistema nun die Deutsche Telekom ins Visier genommen hat, könnte nach Expertenmeinung direkt mit Moskaus Oberbürgermeister Juri Luschkow zusammenhängen. Denn in der russischen Hauptstadt scheint eine enge familiäre Beziehung zum umtriebigen Oberbürgermeister Gold wert zu sein. Luschkow und Jewtuschenkow sind nicht nur Tennispartner, sondern über ihre Frauen verschwägert. Ebenso wie die Bürgermeister-Gattin Jelena Baturina hat es Jewtuschenkow zu einem Milliardenvermögen gebracht. Wenn der 70-jährige Luschkow wie angekündigt 2007 seinen Hut nimmt, verliert das Familiengeschäft seinen Patron.

Im Gegensatz zu vielen Rohstoffkonzernen unter Kreml-Kontrolle genießt Jewtuschenkos "Moskau GmbH" in der Branche einen guten Ruf. Seit Jahren zählen Analysten Sistema zu den bestgeführten Unternehmen in Russland. Das russische Wirtschaftsmagazin Expert stufte Sistema im Vorjahr auf Platz 15 der größten russischen Unternehmen ein. Die von Konzernmitarbeitern insgeheim bestätigten Gespräche mit dem Bonner Telekom-Riesen bedeuten für Sistema keineswegs unternehmerisches Neuland. Der Mischkonzern kooperiert seit Langem mit deutschen Unternehmen. Gemeinsam mit der Münchner Allianz führt Sistema den russischen Versicherungskonzern Rosno. Im Frühjahr gründete die Sistema-Tochter Sitronics mit Siemens ein Gemeinschaftsunternehmen zur Herstellung von Sicherheitselektronik für den russischen Markt.

Neben Sistema hat sich auch die russische Telekom-Firma Altimo von der Alfa-Gruppe auf die Suche nach einem Partner im Westen gemacht. Unter Rendite-Kriterien macht das angesichts des prosperierenden russischen Marktes wenig Sinn. Wer seine Aktivitäten ins Ausland verlagere, wolle das Risiko verringern, im eigenen Land Opfer politischer Intrigen zu werden, vermuten Experten des Moskauer Broker-Hauses Aton Capital. Andere raten zur Gelassenheit. Die in Russland am heftigsten diskutierten Fusionen seien bislang nie zustande gekommen, stellte die Investmentbank Renaissance Capital fest. Der russische Mobilfunkmarkt gilt bei Ausländern als schwierig. Der norwegische Konzern Telenor beispielsweise streitet seit Jahren mit der russischen Alfa-Gruppe um die Kontrolle über den Mobilfunkanbieter VimpelCom. (Stefan Voß, dpa) / (jk)