Die Musikindustrie pflegt ihre Feindbilder

Heitere Töne waren bei den Managern der Musikindustrie auch im Jahr 2002 kaum zu hören.

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Von
  • Alexander Missal
  • dpa

Heitere Töne waren bei den Managern der Musikindustrie auch im Jahr 2002 kaum zu hören. Wenn man die richtige Hintergrundmusik für die Stimmung in der Branche aussuchen müsste, würde die Wahl wohl nicht auf Rock oder heißen Latin-Pop fallen, sondern auf den Andante-Satz eines Violinkonzerts oder einen Blues. Zum dritten Mal in Folge wird der Umsatz der deutschen Musikkonzerne in der Größenordnung von zehn Prozent schrumpfen. Hauptgrund sind nach Einschätzung des Bundesverbands der Phonographischen Wirtschaft Hunderte von Millionen illegal kopierter CDs. Hinzu kommt nach Ansicht der Musikindustrie das kostenlose Herunterladen von Musikdateien aus dem Internet.

Da kommt in den Vorstandsetagen der Musikkonzerne gelegentlich Sehnsucht nach der guten alten Schallplatte auf. Die konnte zwar auch auf Kassette kopiert werden, aber das dauerte und die Qualität sank mit jeder Kopie. Die CD brachte der Industrie in den 1980er Jahren zwar einen gewaltigen Aufschwung: Fast jeder Hit und jedes bereits veröffentlichte Album konnte nochmal auf der glitzernden Scheibe herausgebracht und verkauft werden. Hinzu kam in Deutschland die Wiedervereinigung, die dazu führte, dass ostdeutsche Musikfans ihre Sammlungen innerhalb weniger Jahre kräftig aufstockten. Doch die CD brachte auch das Unheil mit sich: Seit es preiswerte CD-Brenner gibt, lässt sich digitale Musik schnell und einfach vervielfältigen.

Im Jahr 2001 überstieg die Zahl der mit Musik bespielten Rohlinge erstmals die der verkauften CDs, meinen die Verbände der Musikindustrie. Eifrig unterstützt die Industrie Razzien auf Flohmärkten, die Musikpiraten das Handwerk legen sollen. Im Internet registrierte der Phonoverband 2001 allein in Deutschland 500 Millionen illegaler Downloads. "Wenn wir nur ein Prozent davon als Singles verkauft hätten, wäre das schon ein super Kick gewesen", meint Sprecher Hartmut Spiesecke. Die Industrie überzieht die oft in den USA ansässigen Austauschbörsen daher mit Klagen. Doch das Internet ist schnell: Wenn bei Audiogalaxy nichts mehr geht, sind KaZaA oder imesh nur einen Mausklick entfernt. Mögliches Pech für die Kläger: die Muttergesellschaft von KaZaA sitzt im Südsee-Inselstaat Vanuatu, der kein Rechtshilfeabkommen mit anderen Ländern hat.

Dabei ist durchaus umstritten, dass die Internet-Downloads dem Absatz der Musikindustrie schadet. Es gibt auch Studien, die dieses Angebot eher als Appetithappen für den Kauf ganzer Alben im Laden werten; einzelne Marktforscher sehen Musikdownloads sogar als Mittel gegen die Krise der Branche -- wenn sie es richtig angehen würde. Bertelsmann versuchte mehrere Jahre lang verzweifelt, die einst angesagte Tauschbörse Napster zu erwerben und in ein legales Angebot umzuwandeln, doch im September untersagte ein US-Gericht dem Medienkonzern endgültig die Übernahme. Andere Musikkonzerne starteten unter Namen wie Rhapsody und Pressplay legale Dienste. In Deutschland rief Universal im August Popfile ins Leben. Das Herunterladen eines Songs kostet dort 99 Cent. Doch Experten bezweifeln, dass die Nutzerzahlen auch nur annähernd an die der Seiten mit nicht lizenzierten Angeboten herankommen.

Um aus dem Umsatztief wieder herauszukommen, setzt der Phonoverband unter anderem auf das neue Urheberrecht, den weiter expandierenden DVD-Markt und eine Radio-Quote für neue Songs. Kritiker halten der Industrie hingegen musikalischen Einheitsbrei und mangelnde Kreativität vor: Die CD sei immer noch ein Einheitsprodukt, das in der bestehenden Form entweder zu teuer sei oder zu wenig Mehrwert biete. Kleine Labels wie zu Beispiel Winter & Winter in München setzen stattdessen auf aufwendig produzierte CDs mit spezieller Verpackung und Booklets, die oft von bekannten Künstlern gestaltet werden. Gewisse Extras, die sich eben nicht in digitale Form gießen oder kopieren lassen. (Alexander Missal, dpa) / (jk)