Die Ringe der Macht: Eine Legierung aus Genie und Unzulänglichkeiten

Seite 2: Vermeidbare und unvermeidbare Probleme

Inhaltsverzeichnis

Wenn die Serie an etwas krankt, dann vor allem an zwei Dingen. Das erste Problem ist das Tempo und das Timing der Handlung. Manche Szenen-Abfolgen wirken sehr überhastet, während wiederum andere ziemlich langsam vorankommen. Hätte man die acht Folgen der ersten Staffel in einen Film eingedampft, wäre das wahrscheinlich kaum aufgefallen. In Abenteuerfilmen akzeptieren die Zuschauer eher, dass monatelange Reisen scheinbar in Minuten stattfinden und einzelne Gespräche sich wiederum gefühlt über Jahre erstrecken. Diese Art des Pacings hat in Filmdrehbüchern mittlerweile seit über einem halben Jahrhundert Tradition und Drehbuchschreiber haben dafür filmemacherische Tricks entwickelt, um den Zuschauer auf dieser Reise mitzunehmen. Filmmusik spielt hier eine große Rolle. Das Ganze funktioniert in einer Fernsehserie aber nicht.

Die erste Staffel "Ringe der Macht" ist etwa so lang wie die gesamte Herr-der-Ringe-Trilogie von Peter Jackson, aber sie ist in acht statt nur in drei Teile zerschnitten. Was wiederum heißt, dass es statt drei gleich acht Handlungsbögen gibt, die jeweils mit den drei Akten der typischen Spielfilmdramaturgie gefüllt werden müssen. Bei der Menge an Terrain und Hintergrundgeschichte, welche die Serie abdecken will, leidet hierdurch das Timing und der Zuschauer verliert den Überblick, welche Figur sich gerade wo aufhält und wie viel Zeit zwischen den einzelnen Szenen vergangen ist.

Diese Orientierungslosigkeit der Zuschauer wird durch das zweite Problem noch verstärkt: Anstatt die facettenreiche Besetzung dazu zu nutzen, die verschiedenen Kulturen Mittelerdes in der Geschichte zu verankern, werden Schauspieler der verschiedensten ethnischen und kulturellen Hintergründe wild zusammengewürfelt. So gibt es dann sowohl bei den Elben, Zwergen, Harfüßen und den verschiedenen Menschenvölkern Schauspieler der unterschiedlichsten Hautfarbe und ethnischer Herkunft. Das soll wohl zeigen, dass am Ende alle Menschen (und Elben, Harfüße und Zwerge) unterschiedlich sind, aber doch in Harmonie zusammenleben können. Führt aber im Endeffekt dazu, dass ein ohnehin schon von der Dichte von Tolkiens Mythologie überforderter Zuschauer gar nicht mehr weiß, wer wessen Kind oder Geschwisterteil ist und in welchem Teil Mittelerdes die aktuelle Szene gerade spielt.

Eine ethnisch bunt zusammengewürfelte Multi-Kulti-Gesellschaft mag in unserer Realität allgegenwärtig sein, aber in Tolkiens Fantasy-Welt ergibt diese Darstellung wenig Sinn. Man hätte eine genauso bunte Besetzung viel besser einsetzen können, um den verschiedenen Völkern einen eigenen Charakter zu geben, mit denen der Zuschauer sie hätte besser auseinanderhalten können. Allerdings hätte man dann natürlich die gewünschte, und von Amazons PR-Abteilung viel beschrieene, politische Nachricht hinter der Serie subtiler und geschickter verpacken müssen – was eventuell einfach nicht im Rahmen des Könnens der Drehbuchschreiber lag.

So manch andere Kritik an der Serie scheint wenig nachvollziehbar. Natürlich sind die überraschenden Wendungen in der Geschichte wenig überraschend. Aber das bleibt ja auch nicht aus, wenn man Tolkiens Werk als Grundlage nimmt. Tolkien hat eine klassische, wenn nicht sogar die klassischste aller Fantasy-Welten erschaffen. Eine Welt, in der das absolute Böse gegen das strahlend-helle Gute kämpft. "Der Herr der Ringe" ist ein Abenteuer epischen Ausmaßes und das Buch ist sehr gut geschrieben, aber überraschende Plot-Twists sucht man auch dort vergebens. Das ist einfach nicht das Ziel dieser Art von Literatur. Und deswegen darf man sich auch nicht wundern, wenn dasselbe auf eine Fernsehserie zutrifft, die versucht, dieser literarischen Vorlage treu zu bleiben.

Und so ist es auch klar, dass Galadriel allen anderen Figuren in der Serie in allem haushoch überlegen ist. Sie ist eine legendäre Elbin und Überlegenheit ist bei Tolkien eine zentrale Charakteristik von Elben. Als Spieler des Tabletop-Spiels Warhammer, das sich große Teile seiner Mythologie von Tolkien zusammengeklaut hat, würde man eine Figur wie Galadriel als OP (overpowered) bezeichnen. Die Frage liegt nahe, ob es geschickt war, eine solch überlegene Figur zur Hauptprotagonistin der Serie zu machen, das ist wahr. In der Regel fällt es Zuschauern leichter, sich mit Figuren zu identifizieren, die, wie sie selbst, Schwächen haben. Aber dass Galadriel sich verhält, wie sie es in dieser Serie tut, passt durchaus in ihren Charakter und in die von Tolkien erschaffene Welt.

"Die Ringe der Macht" ist kein Meisterwerk und es ist durchaus diskutabel, ob die Serie die hohe Investition wert war. Trotzdem sind die acht Folgen der ersten Staffel eine solide, klassische Fantasy-Serie, die dem Setting von Tolkiens Meisterwerk größtenteils würdig ist. Besser als Peter Jacksons Umsetzung vom kleinen Hobbit ist sie allemal und wenn Game of Thrones mit "House of the Dragon" in den letzten Folgen der ersten Staffel nicht gehörig über seinen Schatten springt, hat Amazon auch den Direktvergleich mit dem HBO-Blockbuster fürs Erste für sich entscheiden können.

Trotz kleinerer Schwächen der Hintergrundgeschichte, diverser Timing-Probleme des Plots und einiger merkwürdiger Besetzungs-Entscheidungen haben Zuschauer hier eine bodenständige erste Staffel einer Abenteuer-Serie vor sich, die sich sehen lassen kann. Vielleicht ist das Abenteuer ein kleines bisschen zu bombastisch und der Kampf zwischen Gut und Böse manchmal zu abstrakt und holzschnittartig für manche Zuschauer, aber diese müssten dann eigentlich dasselbe Problem mit der literarischen Vorlage Tolkiens haben. Wer sich auf die Geschichte einlässt, kann durchaus viel Spaß an der Serie haben.

Die erste Staffel, insgesamt acht Folgen, von "Die Ringe der Macht" ist exklusiv auf Amazon Prime Video im Streaming-Abo verfügbar.

(fab)