Die Zukunft der Archive: Games nicht nur bewahren, sondern spielbar erhalten

Seite 3: "Mann muss auch in Zukunft mit den Werken interagieren können"

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Interview mit Andreas Lange, Gründungsdirektor des Computerspielemuseum Berlin & Präsident der EFGAMP (European Federation of Game Archives, Museums and Preservation Projects)

heise online: Sie haben kritisiert, dass im Kulturbereich digitale Technologien überwiegend auf der Ebene von Werkzeugen zur Anfertigung von Digitalisaten oder als Vermittlungswerkzeuge wie in der Initiative Museum 4.0 diskutiert werden. Sie konstatieren, dass der digitale Wandel grundlegende Veränderungen auch unseres Kulturverständnisses mit sich bringt. Können Sie diesen Wandel kurz darstellen?

Andreas Lange

(Bild: Andreas Lange)

Andreas Lange: Museum 4.0 ist ein wichtiges und gutes Projekt, das allerdings um andere Projekte und Fragestellungen ergänzt werden muss. Damit meine ich vor allem die Frage nach der Bewahrung von originär digitaler Kultur, die in Computerspielen nur ihre populärste und älteste Erscheinungsform hat, mittlerweile aber tief in alle anderen Kulturbereiche eingreift.

Die andere Fragestellung die in Zukunft immer mehr in unser Bewusstsein drängen wird, ist die Erwartungshaltung der Museumsbesucher, die Kultur zunehmend eher prozessual und weniger objektgebunden erleben. Dazu werden in Museum 4.0 durchaus interessante Ideen entwickelt, wie zum Beispiel in dem Unterprojekt "Mein Objekt”, bei dem Ausstellungsobjekte mit Narrationen aufgeladen werden, um so den Besuchern eine persönliche Beziehung zu den Exponaten zu ermöglichen. Insofern repräsentiert diese Idee für mich mehr als nur ein weiteres digital gestütztes Vermittlungsangebot.

Wie sollten Museen den Veränderungen gerecht werden?

Sie müssen sich in einem ersten Schritt diesen Veränderungen bewusster werden. Dabei geht es im Vermittlungskontext meiner Meinung nach gar nicht darum, nun ganz viel digitale Technik einzusetzen. Im Gegenteil bin ich fest davon überzeugt, dass vor allem die sozialen Möglichkeiten des öffentlichen Ausstellungsraums eine Aufwertung erfahren werden. Ausstellungen werden immer mehr zu Erlebnisräumen und sind nicht mehr nur Plattformen für Wissensvermittlung.

Gibt es Museen, die Ihre Vorstellungen und Wünsche bereits umsetzen?

Es sei mir verziehen, dass ich als ehemaliger Kurator des Computerspielemuseums das Naheliegende aufgreife und darauf verweise, dass das kleine, nicht zentral gelegene Museum mit über 100.000 jährlichen Besuchern bereits ein Drittel so viele Besucher hat, wie die 10 mal größere und ungleich aufwendigere Berliner Gemäldegalerie. Dabei ist mir klar, dass dem Thema dabei eine große Bedeutung zukommt, was allerdings dazu führt, dass ein Ausstellungsbesuch zu einem besonderen Erlebnis wird. So verwandeln die vielen historischen und besonderen Hands-On Exponate die Ausstellung in einen lebendigen, sozialen Raum, aus dem die Besucher offenbar mehr mitnehmen als "nur" zusätzliches Wissen. So wird es in Zukunft immer mehr darauf ankommen, die Besucher auch emotional anzusprechen.

Im Bereich der Bewahrung originärer digitaler Kultur verweise ich gerne auf das Beispiel der Deutschen Nationalbibliothek, die mit EMiL (Emulation im Lesesaal), das auf dem "Emulation as a Service"-Ansatz basiert, ein zukunftsträchtiges System bereits prototypisch in Frankfurt im Betrieb haben.

Die EFGAMP setzt sich unter anderem für die Beseitigung rechtlicher Hemmnisse bei der langfristigen Bewahrung von Computerspielen als Kulturgut ein. Wo sind hier die Knackpunkte, was wünschen Sie sich?

Das Grundproblem besteht darin, dass Computerspiele als Kategorie noch gar nicht im Urheberrecht gefasst sind. Dort gibt es den audio-visuellen Bereich und den Softwarebereich, die rechtlich unterschiedlich gehandhabt werden. Da Games aber zweifelsfrei beides sind, können sie nicht sicher zugeordnet werden und verbleiben so in einer rechtlichen Grauzone.

Des weiteren schauen wir europäischen Gamesbewahrer mit Neid in Richtung USA, wo mit der Fair Use Regel umfangreiche Ausnahmen vom Urheberrecht in gemeinnützigen Bildungskontexten niedrigschwellig möglich sind. Dies ist besonders relevant, wenn man bedenkt, dass wir es im Bereich mit Computerspielen mit einer großen Anzahl von verwaisten Werken zu tun haben, bei denen man keinen Rechteinhaber mehr findet, der bestimmte für die Bewahrung notwendige Schritte erlauben könnte, wie zum Beispiel den Transfer vom originalen Datenträger.

Bewahrung von Games bedeutet nicht bloß speichern und konservieren. Im Idealfall sollen künftige Generationen die Möglichkeit haben, historische Titel selbst zu spielen. Können Sie die Grenze dieser Reproduzierbarkeit benennen, was ist schlechterdings technisch nicht machbar?

Tatsächlich halte ich die Möglichkeit, auch in Zukunft mit den Werken interagieren zu können, nicht nur für einen Idealfall sondern für ein Muss. Ein Game, das man nicht spielen kann, wäre so wie ein Theaterstück, das nicht mehr aufgeführt wird. Die Grenze der Bewahrungsmöglichkeiten wird sicher von Multiplayer-Spielen markiert, in denen soziale Interaktion zwischen den Spielern ein wesentlicher Aspekt sind. Werden sich doch diese nicht durch rein technische Maßnahmen in gleicher Weise auch zukünftig nacherleben lassen.

Welche alternativen Bewahrungsstrategien schlagen Sie hier vor?

Tatsächlich sehe ich traditionelle Dokumentation für viele Bereiche der digitalen Bewahrung als unabdingbar an. Dies trifft für die zeitgenössischen sozialen Interaktionen in historischen Multiplayer-Spielen ebenso zu wie auf historische Schnittstellen. Auch die an einzelne Games angrenzenden Kulturbereiche wie zum Beispiel E-Sport, Demoscene, Machinima oder die Modderszene sind wichtige Bestandteile unseres digitalen Kulturerbes. Idealerweise gelingt es uns, diese Erscheinungen nicht nur möglichst vollständig zu dokumentieren, sondern auch so zu beschreiben, dass sie in ihren ursprünglichen Zusammenhängen von nachfolgenden Generationen niedrigschwellig nachvollzogen werden können. Eine der zentralen Herausforderungen dabei ist es, Beschreibungsstandards zu entwickeln und zu etablieren, die global, also auch in mehreren Sprachen funktionieren.

In Ihren Texten und Interviews und in den EFGAMP-Statements ist viel von Emulatoren, aber wenig von der Bewahrung und funktionalen Instandhaltung historischer Computerhardware die Rede. Denken Sie, dass angesichts des von Ihnen konstatierten Wandels "vom Objekt zum Stream" die konkrete Hardware vernachlässigt werden kann?

Tatsächlich sind wir für den Betrieb und den Zugang zu unserem digitalen Erbe auf eine auch in Zukunft wachsende Anzahl historischer Systeme angewiesen. Da diese allerdings physisch bereits nach wenigen Jahrzehnten nicht mehr funktionieren, ist es notwendig, ihre Funktionalität zu bewahren, was man durch Virtualisierung in Form von Emulatoren machen kann. Richtig ist, dass man dabei aber nicht mehr die originalen Ein- und Ausgabeschnittstellen zur Verfügung hat, die einen wesentlichen Einfluss auf das Spielgefühl haben. Insofern ist es richtig, dass die Bewahrung des Codes nur ein Teil ist und dem Erhalt oder zumindest der Dokumentation der analogen Schnittstellen eine wichtige Funktion zukommt.

Wie beurteilen Sie die Politik der Bundesregierung im Hinblick auf den Digitalen Wandel?

Obwohl Digitalisierung mittlerweile in der Regierungsarbeit fest verankert ist, konzentriert sie sich dort wesentlich auf Fragen der Infrastruktur in Form von Glasfaserleitungen, 5G-Lizenzen oder Schulausstattungen. Auch wenn es sich dabei um notwendige technische Grundlagen handelt, setzen die relevanten Fragestellungen des digitalen Wandels erst danach ein. So sehe ich zum Beispiel keine Initiative Deutschlands originär digitale Kultur im Urheberrecht zu verankern. Auch die Entscheidung der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM), die 2016 vom Bundestag für den Aufbau der Internationalen Computerspielesammlung bereitgestellten Mittel dem Verkehrsministerium weiterzureichen, entspricht dieser Haltung. Dass in Deutschland die Bundesländer für Kultur verantwortlich sind, macht das notwendige breite Nachdenken über den digitalen Kulturwandel nicht leichter.

Haben Sie Wünsche, Ratschläge oder Denkanstöße?

Wir benötigen mehr Initiativen wie Museum 4.0 oder die kürzlich entschiedene Förderung von in Deutschland produzierten Computerspielen. Beide Projekte stehen für die Erkenntnis, dass der digitale Wandel nicht nur etwas mit technischen Innovationen und wirtschaftlichen Möglichkeiten zu tun hat, sondern beim Bürger vor allem als kultureller Wandel ankommt, der unser Zusammenleben in beispielloser Weise und Geschwindigkeit verändert. Wichtig dabei ist, dass man die Chancen ebenso ernst nimmt wie die Gefahren. Gerade Kulturvermittlungsinstitutionen wie Museen kommt dabei die Aufgabe zu, diesen Prozess zu begleiten. Insofern ist es wichtig, dass sie aus der defensiven Haltung eines Gefühls der Überforderung in zweifacher Hinsicht herauskommen. So falsch es ist, das Alte gegen das Neue verteidigen zu wollen, ist aber auch ein übermäßiger Druck wenig zielführend, nun alles digital ausrichten zu müssen.

Geben wir den Museen die Zeit und Ressourcen, zusammen mit ihren Besuchern und Partnern eine Balance zwischen Erleben, Wissensvermittlung und -bewahrung sowie Diskursführung in einem digital gestützten gesellschaftlichen Umfeld zu finden. Patentrezepte wird es dabei aller Voraussicht nach nicht geben, an Hilfestellungen hingegen sollte es im Sinne einer Weiterentwicklung unseres Gemeinwesens nicht mangeln. (mho)