Digitale Welt zwischen Düsternis und Erleuchtungshoffnung

Auf Einladung der Kulturstiftung des Bundes diskutieren am letzten Januarwochenende Philosophen, Künstler, Sozialwissenschaftler und Netzaktivisten über Tansparenz und Verborgenheit in der heutigen digitalen Welt.

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Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Falk Steiner
  • Kersten Auel

Einbruch der Dunkelheit – oder doch eher Aufbruch in eine neue Bürgergesellschaft? Mit einem bunten Programm aus Vorträgen, Diskussionen und Workshops versucht die Kulturstiftung des Bundes, mögliche Antworten auf das Bekanntwerden der Überwachungspraktiken von NSA und anderen Geheimdiensten zu finden. "Wo bleiben eigentlich wir, die Bürger, im digitalen Wettrüsten?", fragte Krystian Woznicki, Mitorganisator und Herausgeber des Netzkulturmagazins Berliner Gazette, zum Auftakt der Veranstaltung. "Was nützen transparentere Geheimdienste, wenn eine rundum digitalisierte Selbstausbeutung die gesellschaftliche Norm ist?" Im Sternfoyer des weltberühmten Veranstaltungsortes am Berliner Rosa-Luxemburg-Platz diskutieren an diesem Wochenende auf Einladung der Kulturstiftung des Bundes Richter, Parlamentarier, Aktivisten, Wissenschaftler und Künstler über die Zukunft einer Gesellschaft, die überwacht wirdn und über Wege aus dieser Überwachung heraus.

Der Politikwissenschaftler und Schriftsteller Evgeny Morozov warnte in Berlin: "Es ist unmöglich, die Veränderungen beim Datenschutz zu verstehen, wenn wir nicht auch zugleich die Veränderungen des modernen Kapitalismus verstehen." Er warnte auch davor, sich ausschließlich auf den Aspekt der Kontrolle über die eigenen Daten zu fokussieren. Es brauche eine moderne Kritikfähigkeit der Zusammenhänge. So sei der vordergründig kostenlose Google-Maildienst GMail ein simples Beispiel für die neue Welt. Im Kern stehe der Tausch von Einfachheit und Service gegen zentralisierte Überwachung – ob E-Mails, Fahrverhalten oder das eigene Schlafzimmer.

"Stellen sie sich vor, wir würden eine besser verschlüsselte und dezentralere Infrastruktur nutzen", so Morozov. "Wenn wir alle unsere Daten selber kontrollieren, was passiert dann? Als erstes würden wir ein Angebot von Facebook oder Google bekommen, weil sie diese Daten brauchen." Derzeit gäbe es einen diametralen Widerspruch in den Debatten: "Wir haben die Logik akzeptiert, dass mehr Daten gut seien, daher haben wir keine Antworten." Es gebe eine allgemeine Unfähigkeit, zu artikulieren, wie dies zusammengehe. Konkrete Lösungsvorschläge blieb freilich auch Morozov schuldig. "Wir müssen verstehen, dass NSA und Silicon Valley vielleicht eher die Konsequenz als die Ursache der Probleme sind."

Der Grünen-EU-Parlamentarier und Berichterstatter für das Parlament Jan Philipp Albrecht widersprach Morozov teilweise. Auch er verfolgte einen grundsätzlich kulturkritischen Ansatz: "Wir befinden uns in einer Revolution und das seit einigen Jahren." Diese technologische Revolution sei mindestens so tiefgreifend wie die industrielle, so Albrecht. "Während wir hier sitzen und diskutieren, findet parallel das Weltwirtschaftsforum in Davos statt, weitgehend zu den gleichen Themen." Was für die These Morozovs sprechen könnte.

Zu einem großen Teil gehe es aber bei der Überwachungsdebatte um die Erhebung von Korrelation, Kalkulation und Kontrolle zum gesellschaftlichen Standard. "Selbst Politik wird heute weitgehend anhand von Daten kalkuliert", so Albrecht. "Selbst bei der Strafverfolgung wird teilweise auf Algorithmen gesetzt." Etwa dann, wenn es um Delinquenzwahrscheinlichkeiten ginge. Albrecht erinnerte daran, dass die freie Entscheidung nach wie vor von informationeller Selbstbestimmung abhinge, wie sie vor fast exakt 30 Jahren vom Bundesverfassungsgericht definiert wurde. Hier sei der Kern der Debatte, insbesondere in Zeiten der transnationalen Regulierungsproblematik, wie sie die NSA-Affäre zeige. "Wir müssen in Europa und in der Welt für entsprechende Regelungen kämpfen", sagte Albrecht. Dies sei eine Chance, die auch Edward Snowden erst möglich gemacht habe.

Nebenan im sogenannten Roten Salon ist der erste Workshop zur anonymen Internetnutzung bereits in vollem Gange. Zahlreiche Menschen sitzen dicht um Jacob Appelbaum geschart. Der langjährige TOR-Programmierer, Aktivist und Mitautor zahlreicher Spiegel-Artikel zum NSA-Skandal, erläutert geduldig, warum Anonymisierung wichtig ist, wie sie funktioniert und wo die Schwierigkeiten liegen.

Die Veranstaltung der Kulturstiftung des Bundes geht noch bis zum Sonntagabend.

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(ka)