Medienwissenschaftler Morozov will Datenhandel bannen

Der Forscher Evgeny Morozov hat davor gewarnt, alle Nutzer hauptsächlich als Datenquelle zu sehen. Aktivisten forderte er auf, "mehr über Banken zu lernen" als über Technologie.

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Evgeny Morozov, aus Weißrussland stammender Medienwissenschaftler, hat vor der vorherrschenden marktgetriebenen Logik gewarnt, alle Nutzer in "Daten-Unternehmer" zu verwandeln. Persönliche Informationen würden verstärkt als neuer Weg zum Bezahlen von Diensten und Gütern verstanden, führte der Medienwissenschaftler am Samstag auf der Konferenz Einbruch der Dunkelheit in Berlin aus, die mit Mitteln des Bundes "Theorie und Praxis der Selbstermächtigung in Zeiten digitaler Kontrolle" beleuchten will.

Auf dieser Basis könnten die beteiligten Unternehmen laut Morozov personenbezogene Profile anlegen, Risikoabschätzungen für zahlreiche Lebensbereiche wie den Verkauf einer Versicherung durchführen und Scoring-Verfahren etwa zum Prüfen der Kreditwürdigkeit einsetzen. Der "ultimative Preis" für dieses Paradigma könnte sein, dass ein demokratisches, selbstbestimmtes Leben kaum mehr zu führen sei.

Medienwissenschaftler Morozov kritisiert massiv den überhand nehmenden Datenhandel.

Internetkonzernen wie Amazon, Facebook oder Google gehe es darum, dass die Nutzer ihr "komplettes Datenportfolio" in die von diesen betriebenen Clouds hochladen. Sie wollten dann damit genauso handeln wie heute mit einem gängigen Finanzprodukt in Form etwa eines Fonds. Quasi ein Nebeneffekt dieser Geschäftsmodelle sei die Zerstörung der Privatsphäre der Anwender, die mit dem Internet an sich nichts zu tun habe.

Dieselbe Denkweise greift Morozov zufolge auf den modernen Staat über. Wenn persönliche Informationen der Bürger immer häufiger anfielen und deren Sammeln billiger werde, setze auch die Verwaltung verstärkt auf das reine Beobachten der Datensubjekte. Die Entscheidungsfindung werde auch hier damit möglichst weit automatisiert. Die technischen Infrastrukturen dafür seien jetzt mit Big Data und vergleichbaren Techniken da. Dies entspreche einem alten Wunschtraum von Bürokraten, die generell so wenig wie möglich mit den Bürgern zu tun haben wollten.

Das Bezahlen mit Geld statt Daten für digitale Dienste oder neue Services im "Internet der Dinge" hält der in Weißrussland geborene, derzeit an der US-Ostküste forschende Vordenker für keine echte Alternative. Auch dieser Ansatz bleibe dem Paradigma der Informationsökonomie mit ihrem wie auch immer gearteten Preismodell verhaftet. Zudem halte er es für keine gute Idee, für die eigene Privatheit zahlen zu müssen.

Aktivisten forderte der Publizist daher auf, "mehr über Banken zu lernen" als über Technologie. Es sei zwar schön, wenn alle programmieren könnten oder ein Verständnis für Moores Law oder die "kreative Zerstörung" entwickelten. Wichtiger sei es aber zu wissen, "wie der Markt funktioniert und sich Technologien zunutze macht". Der Überwachungswahn der NSA und die Datensammelwut im Silicon Valley seien letztlich nur Konsequenzen der vom Finanzwesen vorangetriebenen Logik.

Der aufgeklärte Netzbürger darf es Morozov so nicht mehr allein den Marktkräften überlassen, "wie unsere persönlichen Informationen genutzt werden können". Es sei nötig, sich von den strukturellen Abhängigkeiten von Geld, Banken und Lobbyisten zu lösen. "Bannt den Datenhandel", forderte der Forscher. Als Vorbild für entsprechende Schritte könnten Sanktionen etwa gegen das Geschäft mit menschlichen Organen dienen.

Nötig sei es vor allem, Technologien mit ihrem "breiteren ökonomischen Kontext zu verbinden", erläuterte Morozov. Wer dagegen versuche, allein mithilfe dezentraler Infrastrukturen, technischen Werkzeugen etwa zum Verschlüsseln oder eines strengeren Datenschutzrechts die Kommunikation zu "deamerikanisieren", ändere an den sozialen und wirtschaftlichen Dimensionen der Überwachung nichts.

Auf den Alltag bezogen bezeichnete es der Kapitalismuskritiker als Anfang, auf die Personalisierung etwa bei einer Suchmaschine zu verzichten und im Gegenzug ein oder zwei Sekunden länger auf die Ausgabe eines Restaurants in nächster Umgebung zu warten. Jeder müsse für sich hinterfragen, für welche Versicherung er sich entscheide, welche Waren oder Medikamente er kaufe oder welches Bildungssystem er wolle. Auch wer "Fair-trade"-Kaffee kaufe, zeige damit, dass er "anderen Werten" als rein wirtschaftlichen ein besonderes Gewicht einräume.

"Die Möglichkeit, sich selbst komplett digital zu exponieren, bringt derzeit ökonomische Vorteile", spann Jan Philipp Albrecht, Innenexperte der Grünen im EU-Parlament, den Faden weiter. Künftig würden Algorithmen eingesetzt, um die Wahrscheinlichkeit zu berechnen, mit der eine Person am nächsten Tag einen Mord begehe. Er bezeichnete eine "digitale Unabhängigkeitserklärung" für nötig, um den Grundrechtsschutz auszubauen und die Autonomie der Individuen von großen Konzernen und Einrichtungen zurückzuerobern. Die sich weiter verzögernde EU-Datenschutzreform könne ein Baustein dafür sein.

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(hb)