Digitalgipfel: Habeck schwärmt vom Bezahlen mit Iris-Scan

Mit aller Macht will die Bundesregierung erreichen, dass mehr Daten bereitgestellt und genutzt werden. Die Beispiele könnten teils auch von Orwell stammen.

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(Bild: Shutterstock)

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"Eine Datenkultur, an der alle mitwirken", hat Volker Wissing (FDP), Bundesminister für Digitales und Verkehr, auf dem Digitalgipfel der Bundesregierung in Berlin gefordert. "Wir wollen, dass deutlich mehr Daten bereitgestellt und auch genutzt werden", betonte der Minister nicht nur unter Verweis auf den Mobilitätssektor. Dafür seien "Mut und Offenheit" erforderlich. Das Motto der zweitätigen Veranstaltung, die als IT-Gipfel startete und zum 16. Mal stattfindet, lautet daher: "Daten – Gemeinsam digitale Werte schöpfen".

Generell müsse Deutschland bei der Digitalisierung besser werden und auch bei datengetriebenen Geschäftsmodellen in die Umsetzung kommen, ist die zweite Parole, die vor Ort kaum ein Redner vermeidet. Robert Habeck (Grüne), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, ließ sich da als Co-Gastgeber neben Wissing mal wieder von seinen Auslandsreisen inspirieren. Dabei schwärmte er aber von Beispielen mit potenziellem "Big Brother"-Charakter.

In einem von ihm besuchten Flüchtlingslager in Jordanien hätten die Migranten Geld bekommen, was zu Missbrauch und einem florierenden Schwarzmarkt geführt habe, berichtete Habeck. Die Lösung sei gewesen: "Die Leute bezahlen mit einem Iris-Scan." Über das Auslesen des biometrischen Merkmals, das prinzipiell als höchst sensibel und besonders schutzwürdig gilt, werde einfach abgebucht, "was sie sich genommen haben".

Nicht entgangen sind Habeck auch Tests mit Supermärkten in westlichen Ländern, wo "beim Reingehen eine Face-ID-Scannung" erfolge. Der Kunde nehme dann Produkte aus Regalen, wobei alles gemessen und aufgezeichnet werde. Der Computer rechne die Summe aus und bestelle gleich nach. Der Minister freute sich: "Das ist keine abgefahrene Spökenkiekerei." Viele aktuellen gesellschaftlichen Probleme und Krisen inklusive Klimawandel und Pandemien könnten und müssten digital beantwortet werden, hob der Grünen-Politiker hervor.

In Südafrika liege die Jugendarbeitslosigkeit bei 70 Prozent, habe er bei seinem jüngsten Trip gelernt. Die dortige Regierung habe nun jedem Heranwachsenden eine "digitale ID" gegeben, die mit persönlichen Daten wie einem potenziellen Schulabschluss und Berufswunsch unterfüttert sei. Darüber sollten sie ein passendes Ausbildungsangebot bekommen. Habeck verwies aber auch auf die Ambivalenz von Daten, da diese auch die Macht derjenigen steigerten, die sie besitzen. Große Online-Plattformen wüssten längst mehr als ganze Staaten und könnten das menschliche Leben beeinflussen – "for better or worse".

Auf sozialen Netzwerken sei es ein Geschäftsmodell geworden, Follower zu haben. Partnerschaftsbörsen hätten den Charakter des Liebens und Verliebens ökonomisiert. Die Bundesregierung mache sich dagegen für den Erhalt des Modells der sozialen Marktwirtschaft stark, versicherte der Minister. Daten sollten so auch "der Gesellschaft, der Bevölkerung, dem Land dienen". Gefragt sei eine besondere Form von Normierung, Teilen und Nutzung des Wertschöpfungsstoffes etwa über kollaborative Plattformen wie Gaia-X und darauf aufbauenden Projekten wie Catena-X. Das "Recht auf Datensouveränität" müsse gewahrt bleiben.

Vom Schutz der Privatsphäre war keine Rede. Wissing stelle nur das Prinzip "Security by Design und by Default" in den Vordergrund, also das Ausliefern und Anbieten von Produkten und Diensten mit Einstellungen für IT-Sicherheit "ab Werk". So blieb es Klaus Meyer-Cabri, Leiter Digitalpolitik im Bundesjustizministerium, überlassen, auf einer Konferenz der Stiftung Datenschutz am Mittwoch darauf hinzuweisen, dass auch bei dem angestrebten Kulturwandel die informationelle Selbstbestimmung "kein Grundrecht zweiter Klasse" werden dürfe und praxistaugliche Anonymisierungsmodelle unabdingbar seien.

Patzer beim Timing: Eigentlich wollte die Bundesregierung auf dem Gipfel ihre neue Datenstrategie vorstellen, die den Vorläufer aus schwarz-roten Zeiten ablösen soll. Doch das Papier ist noch nicht fertig, sodass das ebenfalls noch nicht ganz gare Dateninstitut in den Fokus rückte. Die Strategie werde derzeit noch im Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) gemeinsam mit den Ressorts für Wirtschaft und Inneres erarbeitet, teilte Wissing mit. Sie soll auf das Ziel der Exekutive einzahlen, "eine attraktive, sichere und agile Datenwirtschaft zu gestalten". Damit werde nicht zuletzt die Basis geschaffen für "innovative Anwendungen der Schlüsseltechnologie Künstliche Intelligenz" (KI).

Hier investiert das BMDV in ein neues Qualitäts- und Innovationszentrum, in dem die Entwicklung vertrauenswürdiger KI-Lösungen etwa fürs autonome Fahren oder einen besser vernetzten ÖPNV unterstützt und konkrete Anwendungen in einem Labor erprobt werden. Ein eigenes KI-Prüflabel soll das Vertrauen in solche Dienste und Systeme stärken. Aufgabe des mit 30 Millionen Euro geförderten Zentrums ist es auch, über standardisierte Schnittstellen und vernetzter Datenräumen den Austausch zu erleichtern. Projektkoordinator ist die Akademie der Technikwissenschaften (Acatech). Der erste von zwei Standorten soll 2023 in Berlin entstehen.

Ferner will das BMDV die Bereitstellung von Mobilitätsdaten signifikant steigern und dazu eine vertrauenswürdige Dateninfrastruktur aufbauen. Mit einer Mobilithek werde ein nationaler Zugangspunkt zu öffentlich verfügbaren Mobilitätsinformationen wie Fahrplandaten oder Angaben zur Verkehrslage in Echtzeit geschaffen, heißt es dazu aus dem Ressort. Der Mobility Data Space für das freiwillige Teilen und Handeln von Daten sei bereits am Start. Durch die Verknüpfung beider Plattformen entstehe ein gemeinsames Datenökosystem, mit dem Mobilitätsangebote verbessert werden könnten.

Daten müssten frei zugänglich sein und verpflichtend zur Verfügung gestellt werden, wenn öffentliche Gelder reinfließen, skizzierte Wiebke Zimmer von der Denkfabrik Agora Verkehrswende Nachbesserungsbedarf. Entscheidend seien "klare Schnittstellen, kein Plattformdschungel". Moderne Fahrzeuge seien in der Lage, ihr Umfeld permanent zu scannen, verdeutlichte Sabine Scheunert, Digitalexpertin von Mercedes-Benz. Der Autobauer aggregiere die Daten und nutze sie "immer anonymisiert".

Mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) gebe es eine "recht komplexe Regulierung". Die Politik sollte ausloten, ob derart enge Vorgaben in jedem Fall "noch notwendig sind".Der Gipfel solle "projektbezogener, internationaler und schlanker" werden, schrieb die Regierung vorab in ihrer Antwort auf eine Anfrage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu der Veranstaltung. Sie gehe von Kosten in Höhe von 2,1 Millionen Euro aus, die jeweils zur Hälfte aus dem Haushalt des Bundeswirtschaftsministeriums sowie des BMDV getragen werden.

Aus der Zivilgesellschaft seien etwa der netzpolitische Verein Load, die Stiftung digitale Chancen, die Research Data Alliance und die Open Knowledge Foundation (OKF) geladen gewesen. Das digitalpolitische Bündnis F5, dem Reporter ohne Grenzen, AlgorithmWatch, die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF), die OKF und Wikimedia Deutschland angehören, beklagt indes auch in Zeiten der Ampel-Koalition "eine mangelnde Einbindung der Zivilgesellschaft". Bei dem Gipfel handle es sich um ein "staatlich organisiertes Lobbyfest" mit Schwerpunkt auf der Wirtschaft. Dabei sei die Zukunft der Digitalpolitik zu wichtig, "um sie nur aus gewinnorientierter Unternehmenssicht zu diskutieren". Der Chaos Computer Club (CCC) monierte, wieder einmal keine Einladung erhalten zu haben. IT-Sicherheit werde im Gipfelprogramm auch gar nicht berücksichtigt.

(mack)