Digitalisierung der Justiz: Vorläufiges Aus für "Sofa-Richter"

Die Gesetze zur Videoverhandlung und der digitalen Dokumentation der Hauptverhandlung scheitern im Bundesrat. Der Vermittlungsausschuss muss tätig werden.​

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Richter auf dem Sofa bei der Arbeit

(Bild: everything possible/Shutterstock.com)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Imke Stock
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Der Bundesrat hat beschlossen, zwei Reformen für die Digitalisierung der Justiz an den Vermittlungsausschuss zu verweisen. Zur digitalen Dokumentation in der Hauptverhandlung hat der Bundesrat erhebliche Bedenken. Auch bei den Plänen zur Ausweitung von Videoverhandlungen seien Änderungen nötig. Somit ist ein Urteil aus dem Homeoffice erstmal vom Tisch. Der Hessische Justizminister Poseck sagte in seiner Rede vor dem Bundesrat, man wolle keinen "Sofa-Richter" aus dem Homeoffice in einer "vollvirtuellen Gerichtsverhandlung". Das sei "mit der Würde und der Bedeutung des gerichtlichen Handelns nicht vereinbar".

Der Bundesrat verlangt sowohl für das Hauptverhandlungsdokumentationsgesetz (Gesetz zur digitalen Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung und zur Änderung weiterer Vorschriften – DokHVG) als auch für das Gesetz zur Förderung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in der Zivilgerichtsbarkeit und den Fachgerichtsbarkeiten eine "grundlegenden Überarbeitung". Dies hatte ihm auch der Rechtsausschuss in einer Empfehlung zu den beiden Gesetzesvorlagen zuvor empfohlen. Richterliche Verfahrensgestaltung ist kein Bestandteil der Dispositionsbefugnis der Parteien.

In seiner Begründung führt der Bundesrat aus, dass er die Bemühungen des Deutschen Bundestags unterstütze, um die Durchführung mündlicher Verhandlungen im Wege der Bild und Tonübertragung zu erleichtern. Da die mündliche Verhandlung "das Herzstück eines jeden Gerichtsprozesses" ist, kommt ihrer Gestaltung "eine herausragende Bedeutung bei der Wahrheitsfindung" zu.

Der Vorsitzende und andere Mitglieder des Gerichts müssen bei einer Verhandlung per Bild- und Tonübertragung im Sitzungssaal anwesend sein. Eine Verhandlungsleitung aus dem Homeoffice werde "der besonderen Bedeutung der Gerichtsverhandlung als Grundlage der gerichtlichen Entscheidung nicht gerecht und widerspricht der Außendarstellung der Justiz und dem Ansehen der Gerichte als Institution".

Der Bundesrat erkennt keinen nachvollziehbaren Bedarf und keine fachliche Notwendigkeit für eine digitale Dokumentation der strafgerichtlichen Hauptverhandlung. Die vorgesehenen Änderungen der Strafprozessordnung würden "auf teils heftige und einhellig ablehnende Kritik in der justiziellen Praxis" stoßen. Mängel an der bisherigen Verfahrensweise seien "nicht empirisch belegt, sondern beruhen vielfach auf bloßen Behauptungen".

Die Wahrheitsfindung sei beeinträchtigt, da Zeugen und Angeklagte allein durch das Wissen um eine Aufzeichnung und "die damit einhergehende Möglichkeit der missbräuchlichen Verbreitung", eingeschüchtert sein können. Sie seien dadurch in ihrer Aussagefähigkeit und Aussagebereitschaft "mindestens unbewusst" beeinflusst. Auch andere noch nicht vom Gericht gehörte Beteiligte könnten durch eine Überlassung von Transkripten beeinflusst werden. Die geplante Videodokumentation stieß von Anfang an auf Kritik. Opferzeugen, die eine Vernehmungssituation "ohnehin schon als stark belastend" empfinden, könne das Wissen um eine Aufzeichnung zusätzlich belasten. Eine unbefugte Weitergabe von Aufzeichnungen kann bei Opferzeugen zu einer Retraumatisierung führen.

Als weiteres Problem sieht der Bundesrat die fehlende und ungenügende technische, räumliche und personelle Ausstattung an den Gerichten. Die Umsetzung der Aufzeichnungs- und Transkriptionspflicht und virtuellen Gerichtsverfahren würden bis zum Inkrafttreten der Gesetze in der Praxis "an vielen Gerichten faktisch nicht realisierbar sein". Gerade Flächenländer bräuchten für die Umsetzung eines "derartigen Großvorhabens" mehr Zeit – die vorgesehene Frist bis zum 1. Januar 2030 für die Aufzeichnungs- und Transkriptionspflicht bei den Landgerichten sei "viel zu kurz" bemessen.

Die Bundesrechtsanwaltskammer bedauert die Entscheidung des Bundesrats, der in seiner 1040. Sitzung damit "zwei große Chancen" zur Modernisierung des Rechtsstaates verstreichen lassen habe, wie aus einer Pressemitteilung hervorgeht. "Wir wollen eine digitale und moderne Justiz, aber dieses Gesetz ist der falsche Weg" sagt der Hessische Justizminister und ist überzeugt, dass sich im Vermittlungsverfahren "zügig Lösungen finden lassen und am Ende ein gutes Ergebnis stehen wird".

(mack)