Dringend gesucht: Direktor für die Internet-Verwaltung

Wahlen hat die ICANN abgeschafft. Jetzt bietet sie "integren","intelligenten", "objektiven" und "dem Gemeinwohl verpflichteten" Kandidaten die Chance, selbst ins Geschehen einzugreifen.

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Von
  • Monika Ermert

Wahlen hat die Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (ICANN) abgeschafft. Jetzt bietet sie "integren","intelligenten", "objektiven" und vor allem "dem Gemeinwohl verpflichteten" Kandidaten die Chance, selbst ins Geschehen einzugreifen. Noch bis zum 5. Mai nimmt das vom ICANN-Vorstand eingesetzte Nominierungskomitee Bewerbungen um einen von acht Vorstandsposten, drei Sitze im Domainrat (Generic Names Supporting Organisation) und fünf Mitgliedschaften in dem Gremium entgegen, das nach der Abschaffung der Wahl die Belange der Internetnutzer vertreten soll.

Nicht viel mehr als ein halbes Dutzend Bewerbungen liegen dem Nominierungskomitee bislang vor. Wie viel Interesse an den unbezahlten Jobs besteht, ist laut Marc Schneiders, der für die nichtkommerziellen Organisationen im Nominierungskomitee sitzt, kaum vorauszusehen. Die Kandidaten, die sich selbst bewerben oder von Dritten vorgeschlagen werden können, müssen viel Zeit, gute Englisch-Kenntnisse und, vor allem im Fall der Nutzervertreter, eigenes Geld fürs Reisen mitbringen. Während für die Direktoren nämlich Reisespesen übernommen werden, müssen sich die Nutzervertreter darum selbst kümmern.

Auch mit Blick auf die neuen regionalen Nutzerräte, die sogenannten "Ralos", schreibt ICANN schlicht: "Sorgen Sie für sich selbst (erwarten Sie keine Finanzierung durch ICANN)." Mehr arbeiten sollen die Nutzervertreter allerdings schon: Während die zeitliche Belastung eines ICANN-Direktors mit "einem vollen Tag alle zwei Wochen" angegeben wird, sollen die Nutzervertreter mit rund 7 Stunden pro Woche rechnen. Einige Aktivisten, die sich noch vor drei Jahren als so genannte At-large-Direktoren zur Wahl stellten, haben daher mit Blick auf diese Posten schon dankend abgewunken. Der Einfluss der Nutzervertretung ist extrem begrenzt, entschieden wird im Vorstand.

Offensichtlich ist, dass die Vertretung der Nutzer trotz der gebetsmühlenhaft wiederholten Bekenntnisse der ICANN-Spitze auf mehr als wackeligen Füßen steht. Bezeichnend dafür war der kurz vor Ostern wiederholte Aufruf an die regionalen Dachorganisationen für die Nutzervertretungen (RALOs). Ihre Mitgliedsorganisationen sollen laut dem zur Debatte stehenden Vorschlag zwar von der Nutzervertretung (ALAC), aber zudem zentral "zertifiziert" werden. Ob die lokalen Organisationen die Einmischung eine gute Idee finden, ist doch sehr fraglich. Beobachter Schneiders sieht derzeit selbst im aktivistischen europäischen Umfeld nur wenig Bewegung. In anderen Regionen -- Asien-Pazifik, Lateinamerika, Afrika und auch Nordamerika -- tendiert die Aufmerksamkeit gegen Null.

Die ICANN-Spitze hat nichtsdestotrotz in ihrem obligatorischen Vierteljahresbericht an das US-Handelsministerium auch die Schaffung der Strukturen für die internationale Nutzerbeteiligung auf die Liste der Fortschritte gesetzt, wie sie überhaupt die ICANN-Reform als erfolgreich bezeichnet. Das inzwischen 23-köpfige Büro mit dem neuen Präsidenten Paul Twomey kann ohne die zu Wahlzeiten hitzigen Debatten in der Öffentlichkeit sehr gut leben. So stört sich niemand an den engen Beziehungen von Twomeys Firma Privacy Solutions Asia Pacific zum australischen Nachrichtendienstes Defence Signals Directorate. Ohne große öffentliche Diskussion wird auch niemandem auffallen, wenn Direktoren, die seit 1998 im Amt sind, auf ihrem Posten bleiben, oder wenn Streitfragen um Markenrecht und Datenschutz im Sinne der beteiligten Unternehmen der Domainwirtschaft gelöst werden. (Monika Ermert) / (jk)