E-Book-Verleih: Internet Archive verliert Copyright-Prozess

Der E-Book-Verleih des Internet Archive ist ein Verstoß gegen US-Copyright. Teilerfolge vor dem Berufungsgericht reichen nicht aus, das Urteil umzudrehen.​

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WeiĂźes Copyright-Symbol

(Bild: MR Gao/Shutterstock.com)

Lesezeit: 7 Min.
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Während Google Books in den USA legal ist, gilt das nicht für die E-Book-Bibliothek des Internet Archive. Das hat ein US-Bundesberufungsgericht am Mittwoch bestätigt. Demnach verletzen die Ausleihen des Internet Archive US-Copyright und fallen nicht unter dessen Bestimmungen über Fair Use. Das ist ein herber Rückschlag für das Projekt. "Wir sind enttäuscht", sagt das Internet Archive, "Wir werden fortfahren, das Recht von Bibliotheken, Bücher zu besitzen, zu verleihen und zu erhalten, verteidigen." Immerhin enthält das Urteil eine wichtige Entscheidung zugunsten Fair Use im Allgemeinen, was für das konkrete Projekt aber zu wenig ist, um das Urteil der ersten Instanz insgesamt umzudrehen.

Das Internet Archive scannt Bücher ein und verleiht sie dann als DRM-gesperrtes E-Book, das sich Nutzer auch vorlesen lassen konnten. Dabei achtete das Internet Archive ursprünglich darauf, nie mehr elektronische Kopien gleichzeitig herauszugeben, als es papierene Kopien des jeweiligen Buches im eigenen Lager hat. Später fügte das Internet Archive zu dieser Zählung auch die gedruckten Bestände von Partnerbibliotheken hinzu. Jedenfalls waren (mit Ausnahme einer Phase während Coronavirus-bedingter Einschränkungen) keine zusätzlichen Werkstücke im Umlauf, aber eben elektronische Versionen anstatt gedruckter.

Damit wähnte sich das Internet Archiv rechtlich auf der sicheren Seite von Fair Use. Dem ist allerdings nicht so, wie nach dem US-Bundesbezirksgericht für das Südliche New York nun auch das Bundesberufungsgericht für den zweiten Bundesgerichtsbezirk entschieden hat. Die Klage wird von vier großen Verlagen geführt.

Ziel des US-Copyright ist, "den Fortschritt von Wissenschaft und nützlicher Kunst zu fördern". Wenn es hilft, dieses Ziel zu erreichen, kann ein fremdes Werk selbst dann genutzt werden, wenn der Rechteinhaber nicht zustimmt. Diese Doktrin ist als Fair Use bekannt. Wann genau Fair Use vorliegt, ist im Gesetz jedoch nicht abschließend geregelt. Das wäre auch sehr schwierig.

Im Streitfall müssen vier Elemente geprüft werden: Es kommt auf den Zweck der Nutzung an – kommerziell, nichtkommerziell oder für Bildung – sowie auf die Art des Werks, die genutzten Ausschnitte im Vergleich zum Gesamtwerk und schließlich die Auswirkungen auf den potenziellen Markt oder Wert des Werks. Gemeinsam mit dem Zweck der Nutzung ist auch zu prüfen, ob die fremden Werke einfach 1:1 übernommen werden, was gegen Fair Use spräche, oder aber in verändernder Weise (transformativ) genutzt werden. Die vier Prüfungsergebnisse müssen schließlich gegeneinander abgewogen werden.

Das haben die drei Richter des Berufungsgerichts getan. Das Argument des Internet Archive, wonach seine E-Bibliothek "verändernde" Nutzung (transformative use) sei, weil die Ausleihe bequemer und effizienter werde und sichergestellt sei, dass nur eine Person gleichzeitig das E-Book nutzen kann, haben sich die Richter nicht angeschlossen. Die komplette Zurverfügungstellung der Bücher ohne Kommentar, Kritik oder Zusatzinformation sei nicht verändernd, weil nichts Neues erzeugt, kein anderer Zweck erreicht und kein unterschiedlicher Charakter zum Ausdruck komme.

Einen Erfolg kann das Internet Archive beim nächsten Prüfschritt verbuchen: Das Bezirksgericht stufte die Nutzung als kommerziell ein; zwar handelt es sich um geliehene, nicht um gemietete Bücher, aber das Internet Archive bitte um Spenden und verdiene Provisionen, wenn Leser über einen Link zu einem Partnerbuchhändler surfen und dort Bücher kaufen. Das Berufungsgericht sieht das anders: Das Internet Archive ist unbestritten gemeinnützig, muss sich aber irgendwie finanzieren. Spenden und die Partnerschaft mit einem Buchhändler seien keine Grundlage, das Angebot als kommerziell einzustufen.

Das ist zwar eine wichtige Entscheidung in Hinblick auf andere gemeinnützige Projekte, hilft dem Internet Archive in diesem Fall aber nicht. Mangels verändernder Nutzung spricht das erste Element der Fair-Use-Prüfung immer noch gegen das Internet Archive.

Hier machen die Richter kurzen Prozess, die betroffenen Bücher liegen eindeutig im Kernbereich des US-Copyright. (Gemeinfreie Bücher sind nicht Teil der Klage.) Das zweite Element wiegt also schwer zugunsten der klagenden Rechteinhaber, nämlich Hachette, HarperCollins, John WIley & Sons sowie Penguin Random House.

In diesem Abschnitt gehen die Richter ausdrücklich auf die Unterschiede zur Entscheidung im Fall Google Books ein. Genau wie das Internet Archive auch, habe Google Bücher komplett eingescannt, mache diese kompletten Scans aber nicht öffentlich zugänglich.

Vielmehr mache Google die Inhalte durchsuchbar und für statistische Auswertung zugänglich; das sei, im Unterschied zum vorliegenden Fall, verändernde Nutzung. Und um diese zu ermöglichen, habe Google die gesamten Werke einscannen müssen. Das Internet Archive hingegen habe die Bücher eingescannt, um E-Books der Verlage zu ersetzen. Auch bei diesem Element gewinnen also die Verlage.

Die Auswirkungen auf den (potenziellen) Markt fĂĽr die Werke sind fĂĽr die Richter das schwerwiegendste der vier Elemente. Entgegen dem Wunsch der Verlage betrachten die Richter alle Buchversionen (gedruckt oder elektronisch) als gemeinsamen Markt. Dennoch hilft das dem Internet Archive nicht.

Es habe nicht zeigen können, dass die Online-Bibliothek dem Buchmarkt nicht schade. Vielmehr meinen die Richter, das Projekt sei geradezu dazu angelegt, Kauf oder Miete durch Leihe zu ersetzen. "Das Internet Archive hat einen Markt, der den Copyright-Inhabern ordentlich zusteht, an sich gerissen", führt die Urteilsbegründung aus.

Etwaige Wohlfahrtsvorteile würden diesen Schaden nicht aufwiegen. Überhaupt seien die Vorteile lediglich kurzfristiger Natur. Langfristig wäre die Ausleihe schädlich, weil Verlage dann weniger Geld verdienen und weniger Bücher verlegen würden.

Damit fallen alle vier Elemente zugunsten der Verlage aus; die Abwägung ist schnell erledigt: Die E-Bibliothek des Internet Archive verstößt gegen US-Copyright.

Das Internet Archive kann versuchen, eine erweiterte Richterbank des selben Gerichts und/oder den US Supreme Court fĂĽr eine neuerliche ĂśberprĂĽfung zu interessieren. Rechtsanspruch darauf hat es keinen, und die Aussichten sind auch bescheiden. Also dĂĽrfte sich das US-Bezirksgericht mit einem von den Buchverlagen und dem Internet Archive bereits ausgehandelten Vorschlag fĂĽr ein Copyright-Urteil in dem Fall befassen. Vergriffene BĂĽcher dĂĽrfte das Internet Archive demnach weiterhin verleihen; offen ist, ob die Werke als E-Books verfĂĽgbar sein mĂĽssen, um nicht als vergriffen zu gelten, oder ob gedruckte Versionen ausreichen.

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Das Verfahren heiĂźt Hachette et al v Internet Archive et al und wird am US-Bundesbezirksgericht fĂĽr das SĂĽdliche New York unter dem Az. 20-cv-4160 gefĂĽhrt. Am Bundesberufungsgericht fĂĽr den zweiten Bundesgerichgtsbezirk lautet das Az. 23-1260.

(ds)