E-Government für wen?

Die Vereinigte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di will sich im Internet genauso engagieren wie gegen den Sozialabbau.

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Von
  • Richard Sietmann

Die Gewerkschaften sind in diesen Tagen nicht wohlgelitten, sind sie es doch hauptsächlich, die sich der Agenda 2010 des Bundeskanzlers entgegenstellen. Dafür werden sie schon einmal -- wie etwa im Spiegel -- als "Lobby des Stillstands" bezeichnet. "Wir sind öffentlich als die Schuldigen der Arbeitslosigkeit festgemacht worden, aber deshalb lassen wir uns die demokratischen Rechte nicht nehmen", erklärte Bundesvorstand Kurt Martin heute auf dem dreitägigen ver.di-Kongress eDemokratie -- eGovernment -- öffentliche Dienste. Die "große Politik" hat der Veranstaltung ein wenig die Schau gestohlen, aber letztlich sind E-Government und Agenda 2010 doch zwei Seiten derselben Medaille: Der Kampf der Arbeitnehmerorganisation richtet sich gegen die Ausrichtung gesellschaftlicher Strukturen allein an wirtschaftlichen Interessen. Deshalb, fordert Martin, "müssen wir uns im Internet genauso engagieren wie gegen den Sozialabbau".

"Die Beschneidung des öffentlichen Raumes liegt global im Trend", erklärte Martin und befürchtet, "die Welthandelsorganisation wird weiter die Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen durchsetzen". In den GATS-Verhandlungen im Rahmen der WTO steht die Rolle des Staates als Dienstleister weitgehend zur Disposition. Gegen das Modell des durch zwischenstaatliche Vereinbarungen erzwungenen Strukturwandels setzt die Gewerkschaft die Partizipation und Mobilisierung demokratischer Kräfte von unten. "Wenn die Entscheidungen erst einmal gefallen sind, kann sich niemand, auch kein Stadtparlament, dem mehr entziehen", kritisiert Annette Mühlberg, die bei ver.di das Referat "eGovernment, neue Medien und Verwaltungsmodernisierung" leitet, das neoliberale Modernisierungsprojekt. "Wir brauchen eine große gesellschaftliche Diskussion".

Während unter dem Banner E-Government den Bürgern der einfachere Zugang zu Verwaltungsdienstleistungen und bessere Beteiligungsmöglichkeiten an politischen Entscheidungen versprochen werden, haben die Unternehmenssteuerreform und insbesondere der Einbruch des Gewerbesteueraufkommens -- der wichtigsten Einnahmequelle der Kommunen -- viele Städte und Gemeinden in eine dramatische Finanzkrise gestürzt und teilweise bis an den Rand des Zusammenbruchs geführt. Zum Beispiel Hagen. Die Stadt von 200.000 Einwohnern schiebt einen Schuldenberg von 120 Millionen Euro vor sich her und operiert seit drei Jahren ohne genehmigten Haushalt. Das engt den Spielraum für die Angebote im virtuellen Rathaus natürlich ein. "Bei einem Defizit von 120 Millionen Euro können wir im Internet nicht viel umsonst anbieten", erklärte der Hagener IT-Leiter Peter Klinger auf der Veranstaltung in Berlin.

Ähnlich Bremen. Der Stadtstaat befindet sich in einer Haushaltsnotlage und unterliegt einem Sanierungsprogramm, das seit Jahren immer weniger freie Investitionsmittel für neue Projekte übrig lässt. "Wir betrieben E-Government nicht als schöne Dienstleistung für den Bürger", gibt Gisela Schwellach, Referatsleiterin beim Senator für Finanzen und Geschäftsführerin der Bremer Online Services GmbH, unumwunden zu. "Wir müssen mit weniger Mitarbeitern die alten Aufgaben erfüllen, und dazu brauchen wir die Technikunterstützung." E-Government, das heißt für sie Bürokratieabbau, Optimierung der Verwaltungsabläufe und Beteiligung der Bürger.

Der Schwerpunkt der E-Government-Aktivitäten verschiebt sich von den ursprünglich propagierten Verbesserungen für den Bürger vor allem auf die Ausschöpfung der Rationalisierungsmöglichkeiten in der internen Verwaltung und in der Interaktion mit der Wirtschaft, hat Raimund Echterhoff vom ver.di-Landesbezirk Nordrhein-Westfalen beobachtet. Die Erfahrungen in Bremen scheinen das zu bestätigen. Von inzwischen 100 Dienstleistungen, die über das Internet abgewickelt werden können, sind zwar 80 für die Bürger gedacht, werden aber nur etwa 300 Mal imMonat in Anspruch genommen, während es die 20 Online-Angebote für die Wirtschaft es auf rund 3000 Transaktionen bringen. "Die sehr viel größeren Rationalisierungspotenziale liegen in der Kommunikation innerhalb und zwischen den Verwaltungen als nach außen zu den Bürgern", meint Herbert Kubicek von der Universität Bremen, der das Media@Komm-Projekt wissenschaftlich begleitet.

Mit der Initiative governet will die Dienstleistungsgewerkschaft das Thema E-Government nun wieder auf eine breitere Basis stellen. In dem Zehn-Punktekatalog für ein öffentliches und demokratisches E-Government, den sie zurzeit auf dem Berliner Kongress mit Vertretern von Betriebs- und Personalräten diskutiert, finden sich daher nicht nur ureigene gewerkschaftliche Anliegen. Neben einer Qualifizierungsoffensive für die Beschäftigten und ihre Einbindung in die Konzeption der E-Government-Vorhaben gehören dazu beispielsweise die Forderung nach Kostentransparenz beim Einsatz proprietärer Software und offenen Standards bei Dokumentformaten, digitalen Signaturen und Softwareanwendungen. Statt digitaler Spaltung müsse Wissen für alle zu fairen Bedingungen zugänglich bleiben, verlangt ver.di; "der Bestand von frei zugänglichem, gemeinfreiem Wissen muss wachsen, nicht schrumpfen." (Richard Sietmann) / (jk)