EU-Gesundheitsdatenraum: Bundesrat fĂĽr Widerspruchsrecht vor Forschungsfreigabe
Europäischer Gesundheitsdatenraum: Den Ländern geht die von der EU-Kommission geplanten Regeln zur "Sekundärnutzung" von Gesundheitsdaten für Forschung zu weit.
Den Ländern geht die von der EU-Kommission vorgesehene Klausel zur "Sekundärnutzung" von Gesundheitsdaten für Forschung und Innovation zu weit. Der Bundesrat befürwortet prinzipiell die Initiative der EU-Kommission für einen European Health Data Space (EHDS). Zugleich fordert er aber umfassende Korrekturen vor allem an der Klausel, mit der die Brüsseler Regierungsinstitution die Weiterverwendung von Gesundheitsdaten "für Forschung, Innovation, Gesundheitswesen, Politikgestaltung und Regulierungszwecke" im großen Stil ermöglichen will ("Sekundärnutzung").
Mit dem Gesetzespaket sollen EU-Bürger Gesundheitsdaten wie Befunde, Röntgenbilder oder Rezepte in einem europäischen Datenraum speichern können. Vorgesehen ist im Kern eine grenzüberschreitend verwendbare elektronischen Patientenakte (ePA) für alle, also etwa auch für Privatversicherte. Laut eines am Freitag beschlossenen Verordnungsvorschlags unterstützt der Bundesrat die Bestrebungen, "es den Bürgern zu ermöglichen, ihre Gesundheitsdaten EU-weit zu kontrollieren und zu nutzen". Ferner sei auch der Ansatz gut, einen "kohärenten, vertrauenswürdigen und effizienten Rahmen für die Nutzung der Daten für Forschung, Innovation und die Politikgestaltung zu schaffen".
Europäische Standards einhalten
Dabei müssten die hohen europäischen Datenschutzstandards aber uneingeschränkt eingehalten werden. Aus Sicht der Länder "ist es zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts von Patienten und Versicherten notwendig, dass sie grundsätzlich frei darüber entscheiden können, welche gesundheitsbezogenen Daten sie Dritten zur Verfügung stellen". Daher sehe man es kritisch, dass nach dem Verordnungsvorschlag "im Rahmen der Sekundärnutzung unabhängig von einer Notsituation die betroffenen Personen weder vor einer beabsichtigten Weitergabe ihrer Daten unterrichtet werden müssen noch ein Widerspruchsrecht haben".
Der Bundesrat befürwortet grundsätzlich einen "in die Zukunft" gerichteten Opt-out-Anspruch der Betroffenen gegenüber den Gesundheitsdienstleistern, um eine hinreichende Datensouveränität zu gewährleisten. Im Bereich der Sekundärnutzung sollte ferner "eine einheitliche Zugangsstelle auf EU-Ebene eingerichtet werden", die für Datenfreigaben verantwortlich und bei Anfragen, welche Datenquellen mehrere Mitgliedstaaten betreffen, zuständig ist. In dieser Institution müssten auch Anfragen zur Datennutzung ethisch bewertet werden können, heißt es – sofern nicht schon im Vorfeld eine eigenständige ethische Prüfung erfolgt ist. Eine solche Zugangsstelle dürfte Gesundheitsdaten aber nicht auf Vorrat speichern und nicht selbst verarbeiten.
Patienten mĂĽssen vor Diskriminierung sicher sein
Angesichts des weit gefassten Rechts auf Sekundärnutzung sehen die Länder zudem die Gefahr, "dass Gesundheitsdaten mit nachteiligen Folgen für Verbrauchende ausgewertet werden". Sie bitten daher die Bundesregierung, in den weiteren Verhandlungen auf EU-Ebene auf eine effektive Gestaltung der Verarbeitungsverbote und der Transparenzregelungen hinzuwirken. Dazu zähle ein Schutz vor unangemessenen Diskriminierungen. Ferner müsse das für Versicherungen vorgesehene Verwertungsverbot umgehungssicher ausgestaltet werden.
Der Bundesrat hält es ferner für nötig, die Bürger mit einem Verbot besser davor zu schützen, "dass zunächst pseudonymisierte Daten beispielsweise durch Verknüpfung mit anderen Informationen einer konkreten Person zugeordnet werden können und damit die Pseudonymisierung aufgehoben wird". Die Länder haben auch Bedenken gegen einen direkten Zugriff auf einen einzelnen Dateninhaber, da hier etwa aufgrund eines offenkundigen örtlichen Bezugs und einer geringeren Anzahl von Datensätzen die Zuordnung der Gesundheitsdaten zu einzelnen Personen oder Gruppen erleichtert sein könne.
Daher sollte die Zugangsstelle auch für solche Fälle zuständig sein und eine Genehmigung bei Gefahren versagen können. Die Bundesregierung wird gemahnt, Sicherheiten – die die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und spezielle Vorschriften wie das Gendiagnostikgesetz vermitteln – durch die Verordnung und ihre Öffnung für Sekundärnutzungen nicht abzusenken. Eine mangelhafte Ausgestaltung des neuen Rahmens "würde sich fatal auf jede künftige Bereitschaft zum Datenaltruismus auswirken".
Privatsphäre muss sichergestellt sein
Die Grundsätze von Privacy by Design und by Default müssten eingehalten werden. Der Digitalverband Bitkom hatte es zuvor als entscheidend bezeichnet, dass mit dem Vorhaben der privaten Forschung "ein Antragsrecht auf die Nutzung von freiwillig zur Verfügung gestellten, pseudonymisierten Gesundheitsdaten" gewährt werden solle. Bürgerrechtler haben indes bereits gegen das hiesige Forschungsdatenzentrum, das ebenfalls der Sekundärnutzung dient, Klage erhoben.
Soweit das EU-Recht einen direkten Zugriff ausländischer Strafverfolgungsbehörden auf im Inland gespeicherte Gesundheitsdaten erlaubt, müsse die Vertraulichkeit der sensiblen Informationen dabei "ausreichend berücksichtigt" werden. Die Behörden des Staates, in dem die Daten gespeichert sind, müssten über einen Zugang dazu informiert werden. Hier sollten zudem unter bestimmten Voraussetzungen ebenfalls verbindliche Widerspruchsmöglichkeiten bestehen.
Mit dem Dossier sollen bestehende Systeme für die gemeinsame Datennutzung auch so weit wie möglich weiterverwendet werden. Das bezieht sich etwa auf Techniken zum Austausch von Nachweisen nach dem Grundsatz der einmaligen Erfassung ("Once Only"-Prinzip). Der Bundesrat sieht hier "dringenden Klärungsbedarf hinsichtlich der technischen Möglichkeiten einer Kontrolle der Datenverarbeitung". Sollten auch automatisierte Abrufe geplant sein, müssten die datenschutzrechtlichen Pflichten der Beteiligten definiert werden.
(mack)