EU-Kommissarin: "Macht euch keine Sorgen mehr wegen ACTA"
Neelie Kroes, die Hüterin der Digitalen Agenda in Brüssel, erklärte auf der re:publica das umstrittene Anti-Piraterie-Abkommen für mehr oder weniger als erledigt. Eine Copyright-Reform an sich sei aber dringend erforderlich.
Neelie Kroes, die für die Digitale Agenda in Brüssel zuständige EU-Kommissarin, hat am Freitag auf der re:publica in Berlin ACTA für mehr oder weniger erledigt erklärt. "Macht euch keine Sorgen mehr wegen ACTA", sagte die Niederländerin. Sie skizzierte eine Welt, die "wahrscheinlich" ohne das Anti-Piraterie-Abkommen oder vergleichbare Pläne der USA wie der SOPA (Stop Online Piracy Act) auskomme.
Ganz sicher sein in dieser Vermutung kann sie sich freilich nicht. Federführend für ACTA in Brüssel ist ihr Ressortkollege Karel De Gucht. Der Handelskommissar ist ein Verfechter des Vertrags zur besseren Durchsetzung der Rechte an immateriellen Gütern. Derzeit liegt ACTA ohnehin dem EU-Parlament vor. Der dortige Berichterstatter David Martin hat sich zwar gegen die Ratifizierung des Abkommens in seiner jetzigen Form ausgesprochen, aber Nachverhandlungen gefordert. Die Berichterstatterin im federführenden Rechtsausschuss, die Französin Marielle Gallo, rät dazu, ACTA anzunehmen.
Dass Tausende im Kampf gegen den Vertrag auf die Straße gegangen seien und gegen Regeln protestierten, die ihrer Ansicht nach das Internet zu sehr einengten, sei ein Weckruf für Brüssel gewesen, schilderte Kroes. Der Kommission sei klar geworden, dass eine Copyright-Reform dringend und rasch erforderlich sei. Kroes zeigte sich in dieser Frage fest überzeugt, dass "Kreative eine angemessene Vergütung" für ihre Arbeit erhalten müssten. Insbesondere das gegenwärtige Verteilungssystem über die traditionellen Verwertungsgesellschaften sei dabei aber eher hinderlich als förderlich.
95 Prozent der vertretenen Künstler hierzulande erhielten nur Ausschüttungen in Höhe von 1000 Euro pro Jahr, knüpfte Kroes an ihre Grundsatzrede zur Urheberrechtsnovellierung im Herbst an. Bei den Verwertungsgesellschaften handle es sich um Monopole, denen es nur um den Schutz des Systems selbst gehe. Gefragt seien stattdessen alternative, kreative Vergütungsverfahren. Flatrate-Angebote wie die des Streaming-Portals Spotify wiesen hier in die richtige Richtung. Das hierzulande und in Frankreich diskutierte Modell der Kulturflatrate sprach die Kommissarin nicht direkt an. Sie unterstrich aber, dass es auch in einer digitalen Welt nicht alle Inhalte für lau geben könne.
Keine neuen Initiativen hatte Kroes in puncto Netzneutralität im Gepäck. Hier stellte sie nach wie vor hauptsächlich auf die Transparenz der Angebote von Zugangsanbietern und den Wettbewerb ab, damit der wohl informierte Kunde gegebenenfalls rasch von einem Provider zum nächsten wechseln könne. Weitere Einzelheiten zu einer eventuellen stärkeren Absicherung des Prinzips des offenen Internets werde ihr demnächst erwarteter Regelungsvorschlag für diesen Bereich bringen.
"Wir müssen unseren Fokus auf die Online-Freiheit richten", forderte Kroes. Sie appellierte an ihre Zuhörer, sie hier mit Gestaltungsvorschlägen und Aktivitäten zu unterstützen. Als Sonderberater hierfür hat Kroes bereits den früheren deutschen Minister Karl-Theodor zu Guttenberg angeheuert. Es gebe viele Gruppen, denen der Wandel zu schnell gehe und zu zerstörerisch in Bezug auf bestehende Geschäftsmodelle sei. Trotzdem müssten alle Seiten im Auge behalten, dass das Internet die freiheitliche Zielmarke für westliche Demokratien und die ganze Welt neu abgesteckt habe. Offen und frei solle das Netz sein, aber "kein gesetzloser Wilder Westen". Die Internetfreiheiten müssten auf die gesamte Bevölkerung passen, nicht nur auf eine "technische Avantgarde".
Kroes ergänzte, es sei auch ein Ausgleich mit der Sicherheit zu finden. Die Nutzer müssten etwa davon ausgehen können, dass ihre Daten nicht gestohlen oder zweckentfremdet werden. Besonders am Herzen liege ihr der Schutz von Kindern und Jugendlichen, weshalb sie gerade gemeinsam mit führenden Vertretern der Internetindustrie einen neuen Vorschlag eingebracht hat, wie Inhalte für die jüngere Zielgruppen beschaffen sein müssten. Vermieden werden müssten aber "Kollateralschäden" für die Netzarchitektur durch zu viele Restriktionen.
Anregungen aus der Netzgemeinde erwartet Kroes auch in der von Teilnehmern aufgeworfenen Frage, wie mit Internetriesen wie Apple, Facebook oder Google und mit ihren neuen Monopolstellungen umzugehen sei. Dafür seien klare Spielregeln nötig. Der Staat könne hier aber nicht zu stark in die Nutzerfreiheiten eingreifen.
Kroes kündigte einen Regelungsvorschlag fürs Cloud Computing an. Sie werde dazu eine Strategie vorbereiten, damit die USA in den Datenwolken nicht allein die Linie vorgäben. Die Cloud könne auch für den Mittelstand und die Bürger große Vorteile haben, wenn damit "Vertrauen und Sicherheit" verknüpft würden. Auch ein Dossier zur Meinungsfreiheit lässt Kroes eigenen Angaben zufolge derzeit von einem Beratergremium erarbeiten. Die im Raum stehenden Prinzipien dazu dürften ihrer Ansicht nach für viel Aufsehen im Parlament sorgen. (anw)