EU-Parlament: Roaming-Kosten fallen, Netzneutralität ausgehöhlt
Der Industrieausschuss des EU-Parlaments empfiehlt, Roaming-Gebühren bis Mitte 2016 gesetzlich abzuschaffen. Parallel sollen Provider "Spezialdienste" einführen dürfen, was zu einem Zwei-Klassen-Netz führen könnte.
Die von der EU-Kommission angeschobene Reform des europäischen Telekommunikationsmarkts hat eine Hürde im EU-Parlament genommen. Der Industrieausschuss (ITRE) hat die Pläne für einen "digitalen Binnenmarkt" am Dienstag mit einigen Änderungsvorschlägen abgenickt. Die Abgeordneten stimmten für die Abschaffung der Roaming-Gebühren bis Ende 2015. Zudem sollen weitere Funkfrequenzen für die mobile Breitbandversorgung freigegeben sowie Lizenzinhabern eine flexiblere Nutzung des Spektrums erlaubt werden.
Änderung in letzter Minute
Angenommen wurde auch ein in letzter Minute eingebrachter Änderungsvorschlag der spanischen EU-Abgeordneten Pilar del Castillo Vera (EVP), die als Berichterstatterin im Ausschuss für das Vorhaben zuständig ist. Demnach sollen Zugangsanbieter Datenpakete "ohne Diskriminierung, Einschränkung oder sonstigen Eingriffen unabhängig von Sender, Empfänger, Art, Inhalt, Gerät, Dienst oder Anwendung grundsätzlich gleich behandeln". Zugleich dürfen Provider allerdings "Spezialdienste" jenseits des offenen Internets anbieten und dazu gesonderte Verträge mit Inhalteanbietern wie YouTube oder Netflix für eine bevorzugte Durchleitung ihrer Angebote abschließen.
Die Mehrheit der Industriepolitiker unterstützte damit den gemeinsamen Antrag von EVP, der rechtskonservativen ECR-Fraktion und der Liberalen. Sozialdemokraten und Grüne fanden mit ihrem Alternativvorschlag keine Mehrheit, der Telekommunikationsfirmen das Aushandeln solcher Deals untersagt und Spezialdienste nur in Ausnahmefällen zugelassen hätte. In einer Entschließung hatte sich das vollständige EU-Parlament vergangene Woche für eine stärkere Fassung der Netzneutralität im Sinne des "Best Effort"-Prinzips ausgesprochen.
Die vom Industrieausschuss verabschiedete Vorlage kommt nun im Parlament zur Abstimmung, die Anfang April kurz vor der Europawahl ansteht. Sozialdemokraten und Grüne wollen dann auch ihre Vorschläge zur Netzneutralität erneut einbringen, Reinhard Bütikofer, industriepolitischer Sprecher der Grünen, beklagte einen "schweren Rückschlag" für das offene Internet. Der angenommene Text sehe nicht vor, dass im Netz auf jeden Fall jeglicher Verkehr gleich behandelt werden müsse.
"Hintertüren für Netzsperren"
Bürgerrechtsorganisationen kritisieren das Votum des Ausschusses. "Zwar wurden die für die Netzneutralität bedrohlichsten Passagen des Verordnungsentwurfs ein wenig entschärft, zugleich aber der Verbraucherschutz geschliffen und Hintertüren für die Einführung von Netzsperren sperrangelweit geöffnet", meint die Digitale Gesellschaft. La Quadrature du Net sieht den "massiven Lobby-Einfluss großer Netzbetreiber" am Werk. Die "European Digital Rights"-Initiative (EDRi) spricht von einem "verwirrenden, irreführenden und in sich widersprüchlichen Text", der dringend nachgebessert werden müsse.
Aber auch die etablierten Telekommunikations-Unternehmen sind mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Bei ihnen stößt die vorgesehene Streichung der Roaming-Gebühren auf Widerstand.
(vbr)