Ein europäischer Rettungsroboter stellt sich vor

Der Centauro kann rollen, laufen und sich zu menschlicher Größe aufrichten – an der Schnelligkeit seiner Bewegungen wird noch gearbeitet.

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ICRA: Ein europäischer Rettungsroboter stellt sich vor

(Bild: Centauro)

Lesezeit: 5 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske
Inhaltsverzeichnis

Über neun Jahre nach dem Kernreaktorunfall in Fukushima stellt das Ereignis immer noch einen wichtigen Bezugspunkt für Robotikforscher dar, insbesondere für diejenigen, die Roboter für Rettungseinsätze in Katastrophengebieten entwickeln. Denn wohl nirgendwo sonst ist die Lücke zwischen dem, was Roboter hätten leisten können, und dem, was sie tatsächlich zur Klärung der Situation beitrugen, so deutlich geworden.

Das lag in Fukushima zwar nicht allein an Mängeln der Technologie selbst, sondern vor allem daran, dass es keine Menschen gab, die vorab mit Robotern trainiert hatten, um mit ihrer Hilfe im Fall eines Unglücks rasch den Schaden eindämmen zu können. Doch bei einer Robotikkonferenz wie der ICRA (International Conference on Robotics and Automation), die gerade online stattfindet, steht natürlich die Technik im Vordergrund: Dort wird unter anderem ein Rettungsroboter vorgestellt, der im Rahmen des dreieinhalb Jahre laufenden EU-Projekts Centauro gebaut und erprobt wurde.

Inspiriert von den Zentauren der griechischen Mythologie, Mischwesen aus Pferd und Mensch, vereint der Roboter einen zweiarmigen Oberkörper mit einer vierbeinigen Basis. An den Enden der Beine, die jeweils über sieben Freiheitsgrade verfügen, befinden sich allerdings keine Hufe, sondern Räder. Insofern ist der Unterkörper selbst auch wieder eine Mischung aus Pferd und Fahrzeug.

Auf ebenem Untergrund kann Centauro mit diesen um 360 Grad steuerbaren Rädern bis zu 1,6 Meter pro Sekunde zurücklegen. In schwierigerem Gelände versteift er die Räder und verlegt sich aufs Laufen. Wenn er die Beine streckt, erreicht er mit 171 cm ungefähr menschliche Größe. Das ist insofern von Vorteil, als der Oberkörper des Roboters vom Operator mithilfe eines Exoskeletts ferngesteuert wird, das seine Körperbewegungen direkt auf den Roboter überträgt. Lauf- und Fahrbewegungen werden per Joystick gesteuert, unterstützt durch autonome Funktionen, etwa bei der Navigation oder beim Greifen von Werkzeugen.

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Zum Abschluss des Projekts wurde Centauro bei der Kerntechnischen Hilfsdienst GmbH (KHG) auf einen Parcours geschickt, bei dem er mit Aufgaben konfrontiert wurde, die aus Erfahrungen mit realen Unfällen abgeleitet wurden. Er sollte etwa einen Feuerwehrschlauch mit einem Füllstutzen verbinden, mit einem Akkuschrauber eine Holzleiste befestigen, an vormarkierten Stellen Löcher bohren oder Treppen steigen. Alle Tests wurden ohne vorheriges Training und ohne direkten Sichtkontakt durchgeführt.

Die Videopräsentation bei der ICRA, die die 32 Autoren passend zur virtuellen Konferenz von einer angenehmen und sehr gut verständlichen Computerstimme vortragen lassen, vermittelt mit ihren tabellarisch aufgelisteten Ergebnissen den Eindruck, als hätte der Roboter im ferngesteuerten Modus sehr zuverlässig funktioniert, wenn auch recht langsam, im autonomen Modus dagegen schneller, dafür aber nur mit 75 Prozent Erfolgsquote. So brauchte er ferngesteuert für drei Treppenstufen 10:02 Minuten, schaffte es autonom aber in 2:50 Minuten, einen Schutthaufen zu umfahren und ein zweistufiges Podest zu besteigen.

Die ausführlichere Schriftfassung der Studie bemerkt dazu, dass der ferngesteuerte Roboter, sobald er mit allen vier Beinen auf der Treppe stehe, den Bewegungsablauf einfach wiederholen könne. Bei höheren Treppen dürfte er also noch an Tempo zulegen. Warum der autonome Gipfelsturm nur zu drei Vierteln als erfolgreich gewertet wurde, erklärt das Paper damit, dass der Roboter die Balance verlor, als er mit dem Hinterfuß die erste Stufe erklimmen wollte. Was wiederum daran lag, dass in dem Robotermodell, mit dem die Software die Bewegungen kalkulierte, die letzten Veränderungen der Hardware nicht berücksichtigt waren und Centauro seinen Massenschwerpunkt daher an der falschen Stelle vermutete.

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Das unterstreicht einmal mehr, wie unscharf vermeintlich präzise Zahlen die Wirklichkeit abbilden können. Auch dem Centauro-Projekt ist offenbar nicht gelungen, woran sich alle Roboterwettbewerbe seit Jahrzehnten die Zähne ausbeißen: verbindliche quantitative Kriterien für den Leistungsvergleich von Robotern zu entwickeln. Im Paper heißt es dazu: "Es gab Missverständnisse zwischen Operator und Schiedsrichter, weil Details einzelner Aufgabenstellungen nicht präzise mitgeteilt wurden."

Zu den wichtigen Erkenntnissen des Projekts zählen die Autoren aber nicht nur die Lehre, "niemals den Vorbereitungsaufwand zu unterschätzen, den eine systematische Evaluierung erfordert". Die Unterstützung des Operators durch autonome Funktionen habe sich bewährt, schreiben sie und sehen in der Weiterentwicklung dieses Konzepts auch den Weg, die Geschwindigkeit des Systems zu erhöhen. Bei der Steuerung des Oberkörpers habe sich haptisches Feedback als sehr hilfreich erwiesen. Es müsse aber die Komplexität der Hardware noch weiter verringert werden. Alles in allem sehen die Forscher in Centauro einen "bedeutenden Schritt vorwärts, um Rettungskräfte bei ihrer Arbeit zu unterstützen und ihre Gesundheit zu schonen". Das erscheint nicht übertrieben.

(kbe)