Einstein und Doppelkopf

Im Café Zeitlos, irgendwo im Jenseits, treffen sich allezeit viele illustre Gestalten, sei es, um über neue und alte Erkenntnisse zu plaudern, über das aktuelle Dies-seits zu lästern oder einfach, um sich die Zeit beim Spiel zu vertreiben und sich so von den Anstrengungen des Frohlockens und Hosianna-Singens zu erholen. Manchmal streitet man sich aber auch oder stellt sich knifflige Aufgaben.

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Von
  • Andreas Stiller

Als Albert Einstein zusammen mit seinem indischen Freund Satyenda Nath Bose wie schon oft zuvor das reichlich verräucherte Café Zeitlos (Rauchverbot gibts im Jenseits derzeit noch nicht, wird aber gerade diskutiert) betrat, schallte ihnen wie üblich ein lautes Hallo entgegen. „Da naht Ihr Euch ja wieder, Ihr schwankenden Gestalten“ hörte man einen für seine farbige Lehre und farbigen Worte bekannten Literaten den neuen Gästen zurufen. Werner Heisenberg - im Dunst nur unscharf zu erkennen - winkte freundlich herüber, ebenso sein Gesprächspartner Max Planck, der ein kleines Quäntchen deutlicher wirkte. Mit großer Aufenthaltswahrscheinlichkeit steht dann meist auch Erwin Schrödinger in der Nähe, der mit seiner halb toten Katze spielend meist irgendwas von Ephi und Haphi brummelt.

„Paralleluniversen oder Multiversen - ich hab’s ja immer schon gesagt“ tönte von der Theke herüber, wo Leibniz und Newton ihre Jahrhunderte alten Differenzen bei dem einen oder anderen Glas Calvados austrugen, begleitet zumeist von spöttischen Kommentaren von François-Marie Arouet, besser bekannt als Voltaire. Daneben diskutierten Galileo Galilei und Hendrik Antoon Lorentz über das schwergewichtige Mitbringsel von Werner von Siemens: ein dicker Transformator, der allein ob seines Gewichtes recht invariant erschien.

Zielsicher steuerten Bose und Einstein an ihnen vorbei einen allmählich aus dem Dunst heraus kondensierenden Tisch in der hinteren Ecke an, wo schon zwei Herren sowie ein Stapel Spielkarten auf sie warteten: der italienische Amerikaner Enrico Fermi, der schweizerische Engländer Paul Dirac und ein Doppelkopfblatt. Dirac sah just so aus wie seine Funktion: überall nichts, nur in der Mitte Substanz. Schaute man auch nur knapp an ihm vorbei, nahm man ihn gar nicht mehr wahr. „Dann wollen wir mal loslegen“, freute sich Einstein händereibend, leicht irritiert durch diverse Geräusche von den Nachbartischen. Zu seiner Verwunderung setzte an einem der Hausherr - allgemein liebevoll nur der Alte genannt - höchst persönlich munter auf das Glück der Karten. Mehr aber noch lenkte ihn die lärmende Combo am anderen Nachbartisch ab, die mit „achtzehn, zwanzig, zwo ...“ lautstark auf sich aufmerksam machte. Hier drosch James Maxwell mit seinem Kumpel Ludwig Boltzmann und zusammen mit Heinrich Hertz unverkennbar einen klassischen Skat.

Grand hier und Solo da, Null und Fleischloser, Spitze und Schweinchen, Schneider und keine 90 ... zwei beste aller möglichen Welten begegneten sich. „Könnt Ihr bei Eurem Primitivspiel nicht ein wenig leiser sein“, provozierte Einstein die Skatbrüder. „Von wegen Primitivspiel“, konterte Maxwell. „Skat ist doch weit komplexer als Euer elitäres Doppeldummkopf, zumal ihr ja auch noch ohne Neunen, also nur mit 20 Paaren spielt. Wenn ich das richtig rechne - und die Gebrüder Trinomi geben mir bestimmt recht -, gibt es für ein einzelnes Blatt beim Skat eine größere Besetzungszahl als beim Doko ohne Neunen.”

Na bitte, wie ich gesagt habe: Der Alte wĂĽrfelt nicht!

Daraufhin brauste Einstein hoch: „Sorry, James, wenn ich Dein wenig bedeutsames Gepappel unterbreche, aber da liegst Du getrocknetes, eingebüchstes Stück Seele mal wieder im Argen. [Anm. der Redaktion: Der Umgangston im Café Zeitlos ist offenbar nicht anders als auf Erden.] Auf ein Blatt bezogen magst Du zwar Recht haben, aber Du weißt: Alles ist relativ. Für das Spiel insgesamt ist die Verteilung aller Blätter von Bedeutung und wenn ich mir die möglichen Verteilungen anschaue, 20 Paare hier, verteilt auf vier Hände gegenüber 32 Einzelkarten da auf drei Hände samt einem kleinen Rest, das macht ... murmel, murmel, Eins im Sinn ... bestimmt einen Faktor von nahezu 30 zu Gunsten von Doppelkopf. Eure einfache Skatverteilung kann überdies jedes Schulkind mit dem Mini-ENIAC ausrechnen: 32!/10!/10!/10!/2!. Wenn Ihr zügig spielt, sagen wir eine Minute pro Spiel, dann braucht Ihr kaum mehr als läppische fünf Milliarden Jahre, um alle Verteilungsmöglichkeiten einmal durchzuspielen. Bei Doppelkopf hingegen ist allein diese Rechnung weit komplizierter, denn hier gibt es Pärchen aus ununterscheidbaren Karten, deren Vertauschung keine neue Verteilung ergibt - nicht wahr, Wolfgang?“ [Wolfgang Pauli war derweil mit einigen anderen Gästen zu den Streitenden gekommen.]

„Das macht die Sache so schön spannend - wie das Spiel auch“. Sprach’s, streckte genüsslich dem verdutzten Maxwell die Zunge raus (das Bild gelangte irgendwie ins Diesseits) und setzte sich wieder. Anerkennend nickten Bose, Fermi und Dirac mit dem Kopf und plauderten dann eine Zeitlang von Verteilungen, Zuständen, Besetzungszahlen und ununterscheidbaren Elementen.

„Das will ich jetzt aber genau wissen“, tönte Blaise Pascal, der am Nebentisch mit Lady Ada Schach spielte, holte seine Rechenmaschine heraus, programmierte ein bisschen hier und schaltete da und hatte schon bald die Lösung: - aber halt, die verraten wir nicht. Das, lieber Leser, müssen Sie jetzt mal selbst ausrechnen - sei es mit BASIC, Fortran, C/C++, Pascal, Java , C# , Mathematica oder mit Papier und Bleistift. Was kommt denn genau an Verteilungen heraus bei 20 Kartenpärchen, verteilt auf vier Hände à 10 und was bei 24 Pärchen und 12 Karten pro Hand? Wie man die Karten innerhalb einer Hand steckt, ist natürlich irrelevant, nicht aber die Reihenfolge der Spieler: Vorhand, Mittelhand ...

Albert Einstein verstarb am 18. April vor 50 Jahren. Mehr zum Thema Einstein, Zeit und annus mirabilis ab Seite 168, c't 9/05 (as)