Einwanderung: "Deutschland kein attraktives Land für IT-Profis aus dem Ausland“
Deutschland braucht IT-Fachkräfte aus dem Ausland. Bislang funktioniert die älteste Methode, Leute zu gewinnen, am besten und die ist schon über 50 Jahre alt.
Seit 1968 dürfen die Bürger Europas ihren Arbeitsplatz frei wählen. 2012 wurde die Europäische Blue Card eingeführt, die es Akademikern aus Nicht-EU-Staaten erlaubt in einem EU-Land zu arbeiten. 2020 kam dann in Deutschland das Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Es soll auch IT-Fachkräfte anlocken, dafür wurden sogar Sonderregelungen für diesen Personenkreis geschaffen. Welches der drei Gesetze bringt der IT am meisten? Darüber haben wir mit Dr. Ehsan Vallizadeh gesprochen. Er ist Arbeitsmarkt- und Migrationsforscher am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit.
Am 1. März 2020 ist das Fachkräfteeinwanderungsgesetz in Kraft getreten und am 22. März kam der erste Lockdown in Deutschland. Wurden dennoch Visa an qualifizierte Fachkräfte aus Drittstaaten erteilt?
Ja, nach Angaben des Auswärtigen Amtes wurden seit Inkrafttreten des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes gut 31.000 Visa für Fachkräfte ausgestellt, darunter 241 für IT-Personal.
Fachkräfte im Sinne des Gesetzes brauchen einen Hochschulabschluss oder eine Berufsausbildung. Weil es in vielen anderen Ländern keine Ausbildung im klassischen Sinn gibt, darf diese Gruppe allein mit praktischer Berufserfahrung einreisen. Hat diese Sonderregelung etwas gebracht?
Das lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht beantworten. Aufgrund der Corona-Pandemie wurden und werden teilweise noch die Reisemöglichkeiten international stark einschränkt. Interessierte ITler konnten daher nicht nach Deutschland einreisen. Voraussichtlich werden wir erst im nächsten Jahr sehen, ob positive Zuwanderungseffekte durch diese Sonderregelung entstehen. Das Fachkräfteeinwanderungsgesetz hat richtige und wichtige Rahmenbedingungen festgelegt, dazu zähle ich auch diese Ausnahme für IT-Praktiker. Sie ist aber auch an Bedingungen geknüpft: Die Bewerber müssen Sprachkenntnisse nachweisen, brauchen mindestens drei Jahre Berufserfahrung und sie müssen einen Job in Deutschland haben, in dem sie Minimum 51.000 Euro brutto pro Jahr verdienen. Das ist ein hohes Hindernis beim Anwerben von IT-Spezialisten.
Mithilfe der Einwanderung will Deutschland die Digitalisierung meistern. Digitalisierung findet aber weltweit statt, insofern dürfte es ein globales Ringen um IT-Profis sein. Welche Chancen hat Deutschland?
Da brauchen wir uns wohl keine allzu großen Illusionen machen. Wir stehen im internationalen Wettbewerb um IT-Spezialisten gegenüber Ländern wie den USA, die in den IT-Technologien führend sind, und Großbritannien als bedeutendstem europäischen Konkurrenten. Diese Länder sind meist die erste Wahl für Migranten, weil dort auch eine flächendeckende IT-Infrastruktur besteht. Insbesondere in den USA haben global agierende IT-Mutterkonzerne ihren Sitz. Die ziehen IT-Profis an, in Deutschland fehlen solche globalen Player. Insgesamt sind wir kein attraktives Land für IT-Berufe.
Für Akademiker aus Nicht-EU-Staaten gilt parallel zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz weiterhin die Europäische Blue Card, die es seit 2012 gibt. Was hat sie bewirkt?
Nach Angaben des BAMF sind im Jahr 2019 gut 13.000 Personen mit einer europäischen Blau-Karte nach Deutschland gekommen. Darunter waren etwa 40 Prozent für eine Beschäftigung in Mangelberufen, zu denen die IT zählt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Anzahl der Blue-Card-Arbeitskräfte weit unter den Erwartungen liegt. Wir stellen fest, dass viel mehr Fachkräfte über andere Wege zu uns kommen. Der Familiennachzug ist für die Erwerbsmigration wesentlich bedeutender als die Karte.
Innerhalb Europas besteht Freizügigkeit für Arbeitnehmer: Jeder darf arbeiten, wo er möchte. Gibt es Zahlen, wie häufig diese Möglichkeit in Deutschland genutzt wird?
Wir beobachten, dass durch diese Freizügigkeit Zuwanderung aus den EU-Ländern nach Deutschland sehr stark gestiegen ist. In den letzten zehn Jahren sind durchschnittlich 250.000 EU-Bürger zu uns gekommen. Von den 8 Millionen Beschäftigten in den MINT-Berufen hat jeder Zehnte, also 800.000, eine ausländische Staatsangehörigkeit. Unter den sozialversicherungspflichtig-Beschäftigten in den IT-Berufen ist es jeder 6. Somit sind von den rund 900.000 Beschäftigten in den IT-Berufen 150.000 Ausländer.
Zuwanderung soll die Lücke füllen, die der demografische Wandel bewirkt. Wie viele Migranten braucht Deutschland, damit genügend Arbeitskräfte vorhanden sind?
Aktuell gibt es in Deutschland rund 47 Millionen Erwerbstätige. Ohne Migration würde diese Anzahl bis 2025 um 7,5 Millionen sinken. Das sind immerhin 16 Prozent. Um das Beschäftigten-Potential konstant zu halten, brauchen wir jährlich um die 400.000 Migrantinnen und Migranten.
Wenn es gelingt, Ausländer anzuwerben, dann müsste sich Deutschland doch auch anstrengen, dass die Menschen hierbleiben. Das scheint nicht der Fall zu sein: Zuletzt zogen gut zehn Prozent der hier lebenden Ausländer im erwerbsfähigen Alter wieder weg. Diese Quote ist deutlich höher als in anderen Ländern. Kennen Sie die Gründe dafür?
Seit Ende des Zweiten Weltkriegs sind insgesamt mehr Menschen ein- als ausgewandert. In den Zeiten dazwischen gab es mal mehr Ab- als Zuwanderung, was unter anderem an der wirtschaftlichen Situation Deutschland lag. In Krisenzeiten gehen mehr Menschen aufgrund der Arbeitsmarktlage in ihre Länder zurück oder in andere Länder. Andererseits kommen mehr Menschen zu uns, wenn es anderen Ländern wirtschaftlich nicht gut geht, etwa während der EURO- und Finanzkrise. Einwanderung ist ein Auf und Ab mit positivem Saldo für Deutschland.
Wie können wir es schaffen, dass die Menschen auch bleiben, die wir brauchen?
Die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen spielen dabei eine zentrale Rolle. Genauso wichtig ist aber auch, dass Migranten es überhaupt zu uns schaffen, denn die bürokratischen Hürden für eine Einwanderung sind ziemlich zermürbend: Einreisewillige Fachkräfte müssen bis zu 12 Monate auf ein Visum warten. In anderen Ländern geht das viel schneller. Der Abbau der Bürokratie war ein Ziel des Einwanderungsgesetzes. Ob das erreicht wurde, darüber gibt es ebenfalls noch keine belastbaren Statistiken.
(axk)