Electronic Ticketing: Handy oder Chipkarte?
Konkurrierende Systemkonzepte erschweren die elektronische Fahrgelderfassung in Bussen und Bahnen. Auch fehlt es noch an überzeugenden Geschäftsmodellen.
Bedeutet das Handy-Ticketing das "Aus" für die Chipkarte im Öffentlichen Personenverkehr (ÖPV)? Für solche Fragen scheint ausgerechnet ein Chipkarten-Kongress nicht der rechte Ort sein, Wolfgang Schlüter von T-Systems stellte sie am heutigen Mittwoch Nachmittag auf dem Branchentreff omnicard in Berlin trotzdem. Seiner Ansicht nach haben sich Chipkarten als Fahrscheinersatz in Deutschland immer noch nicht flächendeckend durchgesetzt, weil es bislang an überzeugenden Geschäftsmodellen fehlte. So habe die Deregulierung und Abtrennung der Nahverkehrsbetriebe von den Stadtwerken die finanzielle Situation der Verkehrsunternehmen erheblich verschlechtert, die größere Investitionen nicht mehr zulässt. Mit Einsparungen lässt sich der Aufbau der entsprechenden Infrastruktur wirtschaftlich jedoch kaum rechtfertigen. In welchem Umfang die elektronische Fahrgelderfassung den auf zwei bis drei Prozent geschätzten Schwarzfahreranteil tatsächlich verringern würde, dafür gibt es keine belastbaren Zahlen.
Mehreinnahmen lassen sich durch die Einführung von Chipkarten auch nicht generieren, denn dazu müsste man die Wenig- und Gelegenheitsfahrer dazu bewegen, häufiger mal Bus und Bahn zu benutzen, "aber gerade die schreckt es eher ab, erst eine Chipkarte kaufen zu müssen", meint Schlüter, der sich bei der T-Systems GEI GmbH in Hamburg seit zehn Jahren mit den Problemen des Electronic Ticketing beschäftigt. Die interessante Gruppe der Gelegenheitsfahrer wird dadurch nicht erreicht, die ÖPV-Chipkartensysteme in Deutschland wenden sich in erster Linie an registrierte Stammkunden.
"Eine Chipkarte hat auch subjektive Nachteile", analysierte Schlüter die Lage. Sie bedeutet nicht nur eine weitere Karte in der Brieftasche, sondern um das Restguthaben einzusehen, benötigt der Kunde zusätzlich ein Lesegerät. All diese Nachteile hat das Handy-Ticketing nicht, denn die Infrastruktur ist im Wesentlichen vorhanden. "Der Kunde holt sich sein Ticket mit dem Handy selbst" und benötigt dazu kein zusätzliches Equipment; das Verkehrsunternehmen wiederum muss kein Kartenmanagement aufbauen und benötigt keine Kartenleser in den Fahrzeugen, sondern braucht "letztlich nur ein Web-Portal".
Auf den zweiten Blick jedoch haben auch die Handy-Ticketing-Systeme mit Schwierigkeiten zu kämpfen. Das einfachste Verfahren – den elektronischen Fahrschein per SMS auf das Handy zu übertragen – bietet kaum Schutz vor Missbrauch, weil sich die Echtheit der Tickets in der Praxis kaum überprüfen lässt. "Da bekomme ich noch mehr Schwarzfahrer als mit dem konventionellen Ticket", befürchtet Schlüter.
Sicherer ist da schon das "Java-Ticket", das gegenwärtig zehn Nahverkehrsunternehmen in Deutschland testen. Dabei wird das Ticket kryptografisch abgesichert in einer Java-Applikation auf dem Handy gespeichert. Allerdings kann ein Kontrolleur auch bei diesem Verfahren nicht die Fahrscheindaten selbst überprüfen, sondern nur das, was ihm das Display anzeigt. "Das ist ein Schwachpunkt der Methode", meint Schlüter, den auch die von der Deutschen Bahn praktizierte Variante des Java-Tickets nicht überzeugt, bei der die Bahncard als zusätzlicher Identifikator bei Kontrollen dient. "Eigentlich will man nicht noch zusätzlich eine Chipkarte zum Handy haben – als Fahrschein würde die Chipkarte ja auch allein reichen."
Sein Favorit ist das Electronic Ticketing mit einer zusätzlichen NFC-Schnittstelle (Near Field Communication) in den Handys, die über Entfernungen von einigen Zentimetern das direkte Auslesen der Fahrscheindaten aus einer Java-Applikation heraus erlaubt und so die Schwachstelle einer eventuellen Manipulation der Display-Anzeige umgeht. Bisher gehört die NFC-Schnittstelle jedoch nicht zur Standardausstattung von Handys, und ob sie es wird, darauf haben weder die Verkehrsunternehmen noch T-Systems einen Einfluss, bedauert Schlüter. Hinzu kommt: wie bei kontaktlosen Chipkarten benötigt auch diese Lösung eigene Lesegeräte für das Checkin/Checkout in den Fahrzeugen und verursacht damit zusätzliche Kosten für die Infrastruktur.
Einen Ansatz, diese zusätzlichen Kosten für die Infrastruktur zu vermeiden, verfolgt T-Systems gemeinsam mit der Deutschen Bahn, zwei Nahverkehrsunternehmen und einigen Forschungsinstituten in dem Projekt "Ring&Ride" des Bundesforschungsministeriums. Bei diesem System meldet sich der Fahrgast bei Antritt der Fahrt mit dem Anruf unter einer bestimmten Nummer an und willigt darin ein, dass die Reiseroute durch die Mobilfunkortung seines Handys ermittelt wird; am Zielort meldet er sich dann wieder ab. Nach ausgiebiger Diskussion der Datenschutzaspekte – sie gelten als gelöst, weil der Fahrgast beim Checkin explizit seine Einwilligung in die Erhebung der Daten geben muss – soll zur kommenden CeBIT für zwei Monate ein erster nicht-öffentlicher Pilotversuch auf der Strecke zwischen Frankfurt und Berlin starten. (Richard Sietmann) / (pmz)