Elektronischer Krankenschein belastet kleine und mittelständische Unternehmen
Digitalisierung sorgt für Mehraufwand: Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist für viele kleine und mittelständische Unternehmen eine Belastung.
Seit drei Monaten ist das Arbeitgeberverfahren für die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) verpflichtend. Gesetzlich Versicherte müssen im Krankheitsfall keinen Krankenschein mehr vorlegen, sich aber – je nach Arbeitsvertrag – trotzdem krankschreiben lassen. Anlässlich der Vorstellung der neuen geplanten Digitalstrategie des Bundesgesundheitsministeriums haben wir bei verschiedenen Verbänden nachgefragt, wie gut die Einführung funktioniert hat. Vor allem für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) stellt sie offenbar nach wie vor eine Herausforderung dar:
"Statt zu vereinfachen und zu beschleunigen – das ist der Sinn von Digitalisierung –, bedeutet die eAU mächtig Mehraufwand für die Unternehmen. Da sie proaktiv Daten bei den Krankenkassen abrufen müssen, bleibt ihnen nichts anderes übrig, als innerbetriebliche Workflows anzupassen und zusätzliche Arbeit in die Bürokratie zu investieren. Das Fehlerpotenzial ist hoch, Streitfälle zwischen Arbeitgeber und Beschäftigten sind vorprogrammiert – gerade in der Anfangsphase", moniert Volker Tschirch, der Hauptgeschäftsführer des norddeutschen Unternehmensverbands AGA. Die eAU gehöre in die Kategorie "gut gedacht, schlecht gemacht".
"Die eAU ist das Ergebnis eines digitalen Wunschdenkens der gesetzlichen Krankenkassen und der politischen Entscheider, ohne die Realität in Arztpraxen und Unternehmen zu berücksichtigen. Im Ergebnis leiden insbesondere kleine und mittlere Unternehmen unter einem massiv gestiegenen Verwaltungsaufwand und Kontrollverlust", sagt auch Marc. S. Tenbieg, der geschäftsführende Vorstand des Deutschen Mittelstands-Bund e.V.
Unterschied zwischen privat und gesetzlich Versicherten
Zwar würden sich die neuen Routinen Tschirch zufolge mit der Zeit einpendeln, "aber unter dem Strich bleibt ein signifikanter Zusatzaufwand für die Arbeitgeber". Zumal Privatversicherte ihre Krankschreibung weiterhin in Papierform vorlegen müssten. Das Durcheinander zwischen analog und digital beschreibt er als "Zumutung für Personalabteilungen". Arbeitgeber müssen die eAU für gesetzlich versicherte Arbeitnehmer beim Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) anfragen – allerdings darf dies nicht zu früh erfolgen. Für Dr. Hans-Jürgen Völz, Chefvolkswirt des Bundesverbands mittelständische Wirtschaft (BVMW), ist daher zu klären, "wie mit unterschiedlichen Fristen für die Vorlage von AU-Bescheinigungen umzugehen ist".
Bei Krankheit verschiedene Nachweisfristen
Ein Teil der Beschäftigten ist dazu verpflichtet AU-Bescheinigungen am ersten Tag vorzulegen, andere müssten am vierten Tag nachweisen, dass sie krank sind – durch einen Arztbesuch. Trotz Einführung der eAU bleiben diese vertraglichen Verpflichtungen bestehen, weshalb der pünktliche Abruf der eAU besonders wichtig sei. "Andernfalls drohen arbeitsrechtliche Konsequenzen", sagt Völz. So sei es möglich, dass ein Arbeitnehmer sich krankgemeldet hat, die eAU aber nicht abrufbar sei und das nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz fortgezahlte Entgelt vom Arbeitgeber zurückgefordert werden kann. Weiter erklärt Völz, dass die Verzögerungen möglicherweise auch dann zu Problemen führen, "wenn Unsicherheit über den Krankheitsstatus eines Arbeitnehmers besteht und der Arbeitgeber daraufhin die Weiterzahlung des Entgelts vorerst einstellt. Sollte dann verspätet die eAU abgerufen werden können, müsste das dem Arbeitnehmer zustehende Entgelt nachgezahlt werden."
Eine Umfrage des BVMW unter 1.600 Unternehmen hatte Mitte Februar ergeben, dass sich 87 Prozent eine automatische Zusendung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU) durch die Krankenkassen wünscht. 78 Prozent gaben an, dass die Einführung problematisch war. Gerade in der wirtschaftlich angespannten Lage hätten diese Mehraufwände berücksichtigt werden müssen, so Völz.
AOK kann Kritik nachvollziehen
Der Bundesverband der AOK kann die Forderung der Unternehmen nach einer automatischen Zusendung der eAU für ihre Beschäftigten "mit Blick auf die zusätzlichen Aufwände durch das gewählte Abrufverfahren" nachvollziehen. Jedoch sei das Verfahren eine "politische Entscheidung des Gesetzgebers, die unter Berücksichtigung datenschutzrechtlicher Beweggründe getroffen wurde". Die gesetzlichen Vorgaben hätten daher dem Verfahren zwischen Krankenkassen und Unternehmen keinen Spielraum geboten, sagt eine Sprecherin des AOK-Bundesverbands gegenüber heise online.
Kassenärztliche Bundesvereinigung warnte mehrfach
Für Arzt- und Psychotherapiepraxen ist die eAU bereits seit Oktober 2021 verpflichtend. Eine freiwillige Testphase für Arbeitgeber startete zum 1. Januar 2022. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) gibt an, bereits "mehrfach gewarnt und gefragt [zu haben], ob alle Arbeitgeber und Unternehmen mit Beginn 2023 wirklich das Verfahren der eAU anwenden werden können und über die Abläufe informiert sind. Offenbar scheint es gelegentlich Reibungsverluste im Zusammenspiel Krankenkasse/Arbeitgeber zu geben", sagt KBV-Pressesprecher Roland Stahl. Bei den niedergelassenen Ärzten würden die bisherigen Erfahrungen und Rückmeldungen zeigen, dass die eAU insgesamt gut funktioniere. Die eAU in Papierform werde vor allem dann noch ausgestellt, "weil beispielsweise der Arbeitgeber das digitale Verfahren (noch) nicht kennt oder anwendet". In diesem Fall sei der Aufwand in den Praxen groß, die Arbeit werde dann auch nicht entlastet.
Absatz mit Stellungnahme des AOK-Bundesverbands eingefügt
(mack)