"Epidemie-Fußfessel": Datenschützer gegen Handy-Tracking von Coronavirus-Infizierten

Seite 2: Kein allgemeines Pandemie-Recht

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Rolf Schwartmann, Leiter der Kölner Forschungsstelle für Medienrecht, sieht jenseits auch nicht ganz unproblematischer "Datenspenden" etwas mehr Spielraum für Regulierer: Das deutsche Recht kenne zwar "kein 'allgemeines Pandemie-Recht', das die Befugnisse des Staates in Katastrophenfällen einheitlich regelt und Zuständigkeiten und Kompetenzen bündelt", betont auch er. Gleichwohl gebe es verschiedene Spezialgesetze, "die im Einzelfall die Befugnisse des Staates in derartigen Fällen erweitern".

Der Jurist denkt dabei etwa an das Infektionsschutzgesetz, das angesichts der Allgemeinheit drohender Gefahren Abwehrmaßnahmen wie eine allgemeine "Beobachtung" zulasse, das Bundespolizeigesetz sowie das Telekommunikationsgesetz. Letzteres erlaube es, gegebenenfalls Daten an eine Gefahrenabwehrbehörde der Länder zu übermitteln. Ob sich damit das Sammeln und Auswerten von Standortinformationen der Bevölkerung rechtfertigen lasse, sei jedoch "insgesamt fraglich". Aufgrund der Schwere des Grundrechtseingriffs müssten wohl kurzfristig weitere einschlägige Rechtsgrundlagen geschaffen werden.

"Technisch sind die Funkzellendaten viel zu ungenau, um damit Kontaktpersonen zu ermitteln", geben Martin Degeling und Christine Utz vom Horst-Görtz-Institut für IT-Sicherheit der Ruhr-Universität Bochum zu bedenken. "Würden alle, die sich über einen längeren Zeitraum in der Nähe einer infizierten Person aufgehalten haben, benachrichtigt werden, wäre die Zahl viel zu hoch." Zugleich könne eine "großflächige Benachrichtigung" dazu führen, dass sich viele potenziell Betroffene aus Sorge bei den Gesundheitsämtern oder gar direkt im Krankenhaus meldeten, was das System weiter belasten würde.

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Mit digitalen Anwendungen die Verbreitung der Corona-Pandemie verlangsamen

"GPS-Daten werden in Deutschland nicht flächendeckend erhoben", stellen die beiden Wissenschaftler weiter klar. Um damit die Positionen von Nutzern etwa zur Kontrolle einer Ausgangssperre genau bestimmen zu können, wäre ein "Zwang zur Nutzung eines Smartphones mit einer bestimmten, mindestens teilstaatlichen App" vorauszusetzen. Im Zweifel dürften alle Betroffenen, die einen Verstoß planen, ihr Handy einfach zu Hause lassen oder sich auf die erlaubten Ausnahmen berufen. Auch in einer Krise müssten alle Maßnahmen verhältnismäßig sein.

Die Hauptfrage ist für Jörn Müller-Quade, Professor für Kryptographie und Sicherheit am Karlsruher Institut für Technologie, wie ein Missbrauch von Bewegungsdaten bei Anwendungen zur Gesundheitsvorsorge verhindert werden kann. Als Lösung komme es etwa in Frage, die Daten verschlüsselt zu speichern und den Schlüssel dazu auf mehrere Institutionen zu verteilen. Dies stelle sicher, dass wirklich nur im Krisenfall darauf zugegriffen werden könne. Nötig sei eine breite gesellschaftliche Debatte: "Ansonsten könnten einige eine umfangreiche Vorratsdatenspeicherung 'durch die Hintertür' befürchten."

Der EU-Abgeordnete Patrick Breyer kritisierte Telekommunikationsfirmen wie die Telekom, die österreichische A1 und Proximus in Belgien scharf "für die massenhafte Herausgabe" von Standortdaten: "Die Bewegungen der kompletten Bevölkerung vermeintlich anonymisiert zu überwachen, schützt niemanden vor Infektion, erlaubt aber eine bisher ungekannte Massenüberwachung." Hier droht laut dem Mitglied der Piratenpartei "ein Präzedenzfall zur Massenkontrolle nicht-öffentlicher Zusammenkünfte und Begegnungen geschaffen zu werden". Im nächsten Schritt könnten Personen nach Blockwart-Art wegen "auffälligen Verhaltens" automatisiert gemeldet werden. (jk)