European Chips Act: Sofortmaßnahmen gegen Lieferengpässe umstritten

Die EU-Kommission will mit dem geplanten Chips-Gesetz massiv Investitionen fördern. Mitgliedsstaaten und die Industrie sehen noch Bedarf zum Nachjustieren.

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(Bild: Dragon Images/Shutterstock.com)

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Für Daphne Dernison, Leiterin der globalen Regierungsbeziehungen bei Philips, kommen die Pläne der EU-Kommission für ein europäisches Chips-Gesetz zu spät. "Wir befinden uns mitten in Krise", erklärte sie am Dienstag bei einem Online-Forum des Branchendachverbands DigitalEurope. "Wir können nicht auf den Chips Act warten." Der Hersteller von Gesundheitstechnologie und Haushaltsgeräten sei gerade im Medizinbereich vom Chipmangel betroffen und leide unter massiven Unterbrechungen in der Lieferkette mit Verzögerungen bis zu 42 Wochen.

2022 rechne der Konzern mit weiteren Verschlechterungen, berichtete Dernison. Bestätigten sich Vorhersagen für den Sektor, seien in diesem Jahr 70 bis 90 Prozent weniger Computerchips verfügbar. Damit könnten bei Philips Produktionsbänder zum Stillstand kommen. Da die Lieferkette sehr komplex sei, lasse sich kaum herausfinden, "wo die Flaschenhälse sind". Die EU müsse daher jetzt mit der geplanten Halbleiter-Expertengruppe und dem von der Kommission ins Spiel gebrachten Notfallkoffer starten.

Die Mechanismen, die helfen sollen, künftige Lieferengpässe zu bewältigen, befinden sich in der sogenannten dritten Säule des Gesetzes- und Maßnahmenpakets der Kommission. Hier soll die EU-Kommission in Kooperation mit einem neuen Aufsichtsgremium in Form des European Semiconductor Board die Lieferketten überwachen. Für Krisenzeiten ist die Option vorgesehen, in die Geschäftstätigkeiten von Unternehmen einzugreifen und Exportkontrollen zu verhängen. Diese Säule soll über Sofortmaßnahmen bereits vor Inkrafttreten des Chips Act aktiviert werden können.

Jürgen Sturm, der bei Texas Instruments für die Pflege der Beziehungen zu Regierungen und zur Öffentlichkeit zuständig ist, mahnte zur Vorsicht. Ihm zufolge sind die Kriterien bereits schwammig, wann wirklich von einer Chip-Krise gesprochen werden sollte. Während der Corona-Pandemie sei die Nachfrage deutlich gestiegen, was auch mit dem von der EU forcierten digitalen und grünen Wandel zu tun habe. Alle Unterbrechungen der Lieferkette seien auch kaum zu verhindern, da diese schon durch kurzfristige Stromausfälle oder Wassermangel bedingt sein könnten.

Angesichts der aktuellen "Ausnahmesituation" komme es vor allem auf eine "stärkere Kooperation zwischen allen staatlichen und privaten Akteuren" an, betonte Sturm. Der Einsatz des vorgesehenen Werkzeugkastens für Notfälle sollte dagegen klar umrissen sein und Ultima Ratio bleiben. Auch der Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) moniert, dass mit der Skizze für die dritte Säule die Marktwirtschaft auf der Strecke bleibe.

Umkämpft ist auch der Ansatz der Kommission, nur modernste und einzigartige Fertigungstechnik fördern zu wollen. Dazu sollen etwa Halbleiter mit Strukturen von 2 Nanometern und feiner sowie Chips der "nächsten Generation" zählen. "Wir hängen von der zweiten und dritten Generation ab", hielt Dernison dagegen. Es dürfe "nicht nur um die schnellsten und neuesten Chips" gehen, ergänzte Magnus Rentzhog vom schwedischen Ministerium für Unternehmen und Innovation. Neben spezialisierten Lösungen müsse die gesamte Bandbreite abgedeckt werden. Zudem bleibe bislang offen, was mit einer Fertigungsfirma sei, die eine vergleichbare neue Funktion anbiete.

Auch Martin Pioch vom Elektroindustrieverband ZVEI forderte auf Basis eines Empfehlungspapiers von DigitalEurope, "die ganze Wertschöpfungskette auszuschöpfen". Eine große Nachfrage nach Chips nicht nur nach dem neuen Stand der Technik gebe es etwa auch in der Automobilindustrie. "Es ist wichtig, die Quellen der Gesamtsumme von 43 Milliarden Euro zu klären, die mit dem Chips-Gesetz mobilisiert werden sollen", heißt es zudem in der Stellungnahme. Generell sei eine "geopolitisch ausgewogenere Produktion von Chips" entscheidend.

Alle Ökosysteme sollten einbezogen werden, verlangte Stefano Pisotti von der Ständigen EU-Vertretung Italiens. Er erwartet einen Konkurrenzkampf zwischen einzelnen Mitgliedsstaaten, ausländische Investitionen anzuziehen. Es gelte daher auf europäischer Ebene, die richtige Balance zwischen Wettbewerb und Kooperation zu finden. Der spanische Industrieattaché Alberto Ruiz Rodríguez warb dafür, mit gleichgesinnten Ländern wie den USA zusammenzuarbeiten, um über ein Frühwarnsystem zentrale Fehlerquellen zu verhindern. In Krisenzeiten sei eine gemeinsame Beschaffung wichtig.

(axk)