Evernet heißt auch Ende der Privatheit

Ideen und Technik fürs Evernet, dem "immer-da, immer-drin"-Netz der nahen Zukunft, sind den zugehörigen gesellschaftspolitischen Lösungen voraus.

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Von
  • Monika Ermert

Ideen für fantastische Endgeräte und Dienste des Evernet, des "immer-da, immer-drin"-Netzes der nahen Zukunft, gibt es bereits viele – vom märchenerzählenden TQ-Roboter fürs Kind aus dem Hause Deutsche Telekom bis zum visionären "Everset" als ultimativem all-in-one-Endgerät. "Die Vorstellungen der Endnutzer werden in diese Überlegungen derzeit aber noch viel zu wenig einbezogen," warnte der Sprecher des Instituts für Angewandte Informatik und Formale Beschreibungsverfahren an der Universität Karlsruhe (AIFB) , Direktor Professor Wolffried Stucky. Das AIFB widmete das gemeinsam mit dem Verein für Angewandte Informatik Karlsruhe (AIK) veranstaltete Symposium zum 30-jährigen Bestehen des Instituts den technischen und gesellschaftlichen Fragen zum Evernet.

"Der Tagesbedarf eines Menschen wird in einigen Jahren nicht nur 2700 Kilokalorien und drei Liter Flüssigkeit, sondern auch 30 Gigabyte Informationen umfassen," prophezeite Bernd Hindel, Vorstandsvorsitzender der method park Software AG. Schon heute sei ein Teil der 40 bis 60 Steuergeräte eines PKW im Prinzip in das Evernet eingebunden, beispielsweise zur Navigationshilfe. Mit steigender Vernetzung wächst aber nicht nur die Abhängigkeit der Nutzer vom Netz, die Privatheit muss dabei auf der Strecke bleiben.

"Meine Theorie ist, dass ohne die Aufgabe von Privatheit von Seiten der Nutzer dieses System nicht funktionieren kann und auch nicht finanziert werden wird," sagt Professor Gerhard Müller von der Universität Freiburg. Die Entwicklung des Ubiquitous Computing, der Möglichkeiten spontaner Vernetzung und der dafür erforderlichen Adhoc-Funknetze – nichts anderes sei das Evernet – mache aus Sicht der Unternehmen, die den Aufbau finanzieren, nur Sinn, wenn damit Datamining und One-to-One-Marketing möglich sind. Man könne sich Privatheit einfach nicht mehr leisten. Vielleicht, so Müllers Hoffnung, erhöhe sich die Sicherheit gerade auch durch zunehmende Offenheit aller Beteiligten wieder, weil alle Vorgänge unterschiedslos transparent würden.

Technisch sei man auf dem Weg zur Dauervernetzung tatsächlich schon weiter als bei der Beantwortung gesellschaftlicher Fragen oder der Schaffung gesetzlicher Rahmenbedingungen, sagte auch Daniel Sommer nach der Vorstellung des handygroßen "Everset". Ein Gerät wie das Everset soll einmal den Nutzer permanent durch seinen Alltag begleiten. Der soll darüber alle Kommunikation abwickeln, vom verteilten Arbeiten bis zum Kartoffeleinkauf am Abend, wofür er auch mal ein Zugriffsrecht auf die Einkaufsliste des Ehepartners bekommen kann. Zukünftig dürfte daher die Abwahl eines Bundesnetzministers durch eine Volksabstimmung per Everset-Daumenabdruck weniger an unzulänglichen biometrischen Verfahren scheitern als vielmehr daran, dass das deutsche Gesetz keine Volksabstimmung vorsieht.

Ein paar technische Schwierigkeiten müssen die Entwickler aber durchaus noch lösen, bevor ein Everset zum Dauerbegleiter werden kann. Vor allem der massive Ausbau der Netze und die aufwendige Integration der verschiedenen Services und Endgeräte dürften noch dauern, urteilten in Karlsruhe auch die Experten. "Wir stehen vor einer verteilten Entwicklung verteilter Systeme", so Hindel. Das mache gerade auch die Software-Entwicklung extrem komplex. So bleibt Politikern und Nutzern im Rennen mit der Technologie noch etwas Zeit, den gesellschaftlichen Rahmen für ein akzeptiertes und funktionierendes Evernet zu schaffen – und da ist sicherlich noch einiges zu diskutieren. Bei manchem Service, etwa dem am Telekomnetz hängenden TQ-Roboter als Elternersatz für die Kleinsten, stellen selbst Informatiker die Frage: "Wollen wir das wirklich?" Monika Ermert (gr)