Ex-EuGH-Richterin gegen flächendeckende Scans auf Kinderpornografie

Die geplante Ausnahme von der E-Privacy-Richtlinie zum Rastern von Inhalten verstößt laut einer rechtswissenschaftlichen Studie gegen Grundrechte.

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(Bild: Shutterstock/metamorworks)

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Die EU-Kommission will per Eilverordnung Ausnahmen von der Anwendung einiger Bestimmungen der E-Privacy-Richtlinie im Kampf gegen die Verbreitung sexueller Missbrauchsdarstellungen von Kindern zulassen. Doch diese Initiative ist mit dem europäischen Recht nicht vereinbar. Zu diesem Schluss kommt die frühere Richterin am Europäischen Gerichtshof (EuGH), Ninon Colneric, im Lichte der EuGH-Rechtsprechung in einem jetzt veröffentlichten Gutachten.

Zur Suche nach "Kinderpornografie" will die EU-Kommission die gesamte private digitale Kommunikation automatisiert durchleuchten und im Verdachtsfall Strafanzeige erstatten lassen. Eine aktuell verhandelte EU-Übergangsverordnung soll Anbietern von E-Mail-, Chat-, Dating- und Messenger-Diensten dies erlauben, ein für Sommer angekündigter zweiter Gesetzentwurf der Brüsseler Exekutivinstanz soll dann alle Anbieter dazu verpflichten. Zu diesem Vorhaben läuft bis 15. April eine öffentliche Konsultation.

Colneric, die im Jahr 2000 als erste deutsche Richterin beim EuGH anfing, untersucht das geplante Verfahren der "Chat-Kontrolle" auf knapp 40 Seiten. Die 72-Jährige arbeitet dabei heraus, dass die zwei europäischen Gesetzesvorhaben nicht im Einklang mit der Linie der Luxemburger Richter stehen und die Grundrechte aller EU-Bürger auf Achtung der Privatsphäre, auf Datenschutz und auf freie Meinungsäußerung verletzen.

Dies würde umso mehr gelten, wenn Ende-zu-Ende-verschlüsselte Kommunikation in die Vorschriften einbezogen würde, betont Colneric. Damit drohe das Aus für durchgehend kryptografisch geschützte Online-Kommunikation. Wenn es den Anbietern freigestellt wäre, ein solches Rasterverfahren zu praktizieren, bliebe das Ergebnis im Kern unverändert. Nur das Grundrecht auf unternehmerische Freiheit würde in diesem Fall nicht berührt.

"Zweifelsohne ist die Bekämpfung von Online-Material zum Kindesmissbrauch von größter Bedeutung", hebt die Rechtswissenschaftlerin hervor. Die Klausel in der EU-Grundrechtecharta, wonach das Wohl von Kindern bei dieser betreffenden Maßnahme vordringlich in Erwägung zu ziehen sei, bedeute aber nicht, dass diese Interessen Vorrang vor allen anderen hätten: "Den Rechten des Kindes muss besonderes Gewicht beigemessen werden, aber sie können die Rechte und Freiheiten anderer nicht vollständig verdrängen." Zuvor war der Wissenschaftliche Dienst des EU-Parlaments in einer eigenen Analyse zu einem ähnlichen Resultat gekommen.

Diensteanbieter wie Google und Microsoft scannen momentan verdachtsunabhängig und flächendeckend Nachrichten auf Kinder- und Jugendpornographie sowie auf Anzeichen von Cybergrooming. Mit dem seit 21. Dezember anwendbaren europäischen Kodex für die elektronische Kommunikation fallen "nummernunabhängige interpersonelle Kommunikationsdienste" aber in den Bereich der E-Privacy-Richtlinie. Diese enthält keine ausdrückliche Rechtsgrundlage für die freiwillige Verarbeitung von Inhalten oder Verbindungs- und Standortdaten im Kampf gegen Missbrauchsdarstellungen.

In Auftrag gegeben hatte das neue Gutachten der EU-Abgeordnete Patrick Breyer von der Piratenpartei. In einem Brief fordern der Jurist und vier weitere Parlamentarier der Grünen-Fraktion aus Belgien, Frankreich und den Niederlanden nun die EU-Kommissare Margrethe Vestager, Věra Jourová, Thierry Breton, Didier Reynders und Ylva Johansson auf, ihre Bemühungen zum Schutz vor sexuellem Missbrauch auf die Unterstützung und Koordinierung gezielter Ermittlungen und Prävention sowie die Hilfe für Opfer zu konzentrieren.

Die Brüsseler Regierungseinrichtung soll demnach davon absehen, ein System der allgemeinen und wahllosen Überwachung von Online-Aktivitäten zu schaffen oder zu dulden, das Internetkonzerne und ihre fehleranfälligen Algorithmen mit der Durchsuchung nach angeblich kriminellen Aktivitäten betraue. Der Zweck heilige auch hier nicht alle Mittel, zumal die Effektivität und Effizienz der debattierten Maßnahmen äußerst fraglich seien.

Federführende EU-Abgeordnete haben sich grundsätzlich hinter die Initiative der Kommission gestellt, forderten aber zunächst noch Korrekturen. In den laufenden Trilog-Verhandlungen zwischen den EU-Gremien werden nun aber laut dem daran beteiligten Breyer "auch noch die wenigen vom Parlament ursprünglich geforderten Auflagen" wie eine maximale Fehlerquote der Algorithmen und die Ausnahme von Berufsgeheimnisträgern wie Anwälten, Ärzten und Journalisten schrittweise abgebaut. Die "haarsträubenden Pläne" dürften vor Gericht aber keine Chance haben.

(bme)