Ex-Kanzleramtsmitarbeiter: BND-Routineaufklärung im rechtlichen Dunkelfeld
Beim Belauschen ausländischer "Routineverkehre" an Internetknoten agiere der BND in einem weitgehend ungeregelten Freiraum ohne parlamentarische Kontrolle, monierte ein Experte aus dem Kanzleramt im NSA-Ausschuss.
Joachim Mewes, der als Referatsleiter im Bundeskanzleramt von 2002 bis 2008 mit für die Geheimdienstkontrolle zuständig war, hat vor einem "rechtlichen Nirwana" bei der Aufsicht über den Bundesnachrichtendienst (BND) gewarnt. Die sogenannte Routineaufklärung der Behörde spiele sich in einem "Dunkelfeld" ab, "das sich keiner so richtig angesehen hat", erklärte der 66-Jährige am Donnerstag zu später Stunde im NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestags.
Kaum grĂĽndliche PrĂĽfungen
Mewes war in der Regierungszentrale zuständig für die Kontakte zum Parlamentarischen Kontrollgremium für die Geheimdienste und seit 2003 auch für Fälle, auf die das G10-Gesetz anwendbar ist. Diesem zufolge darf der BND das Telekommunikationsgeheimnis teils auch bei deutschen Bürgern einschränken, braucht dafür aber eine Genehmigung der G10-Kommission des Bundestags. Mewes hatte diese Anträge zu begutachten und an das zuständige Parlamentsgremium weiterzuleiten. Er räumte aber ein, dass Begehren meist eilbedürftig gewesen seien und es so kaum möglich gewesen sei, diese gründlich zu prüfen.
Generell war dem Zeugen zufolge eine effiziente Rechts- und Fachaufsicht über den BND kaum zu leisten. Dies habe schon am zahlenmäßigen Missverhältnis zwischen rund 6000 Geheimdienstlern und etwa 30 "Kontrolleuren" des Kanzleramts gelegen. Dazu komme, dass einige der Aufseher vormals im BND gearbeitet und so nicht dazu geneigt hätten, sich mit ihrer Herkunftsbehörde anzulegen.
"Vertrauensmissbrauch"
Als Bereich, in dem der Auslandsgeheimdienst besonders große Handlungsfreiheit gehabt habe, machte Mewes das Abfangen rein ausländischer "Routineverkehre" etwa bei der Operation Eikonal aus. Dabei leitete der BND Daten von einem Netzknoten der Deutschen Telekom in Frankfurt aus und teils an die NSA weiter. Vertreter der Sicherheitsbehörde seien hier an das Kanzleramt und die G10-Kommission herangetreten, um die Möglichkeiten für die Überwachung deutscher Bürger im Rahmen der "strategischen Fernmeldeaufklärung" auf den neuesten technischen Stand zu bringen. Nie sei die Rede davon gewesen, dass der BND in dem Fall primär jedoch die Routineverkehre im Auge gehabt und diese zudem in die USA transferiert habe.
Mewes wertete dieses Vorgehen zumindest als "Vertrauensmissbrauch". Dieser sei um so schlimmer einzuschätzen, als der Kabelzugriff in Frankfurt "praktisch unter den Augen der G10-Kommission genehmigt" worden sei. Er sei mit Mitgliedern der Kommission einer Einladung des BND gefolgt, sich vor Ort in einem unscheinbaren Frankfurter Bürogebäude von der geplanten Operation einen Eindruck zu verschaffen. Außer "Kabeln, Leuchten und Dioden" sei dort aber nichts zu sehen gewesen, der Umfang des im Bereich der Routineverkehre nicht kontrollierbaren Projekts den Teilnehmern verborgen geblieben.
"Pingpong" der Aufsichts- und Leitungsinstanzen
Generell sei das Thema "Routine" als "Beifang" von Operationen mit G10-Anordnung immer wieder hochgekommen, führte der Zeuge aus. Es habe im Kanzleramt und auch bei externen Experten "Ratlosigkeit" geherrscht, wie man derlei Aktivitäten besser einhegen könnte. Vor allem die Abteilung Technische Aufklärung des BND habe so ein "gewisses autonomes Leben" geführt.
Die Obfrau der Linken, Martina Renner, monierte im Zusammenhang mit der späteren Vernehmung des früheren BND-Chefs August Hanning ein "Pingpong-Spiel" der Aufsichts- und Leitungsinstanzen. Dabei lande der Ball immer im blinden Feld.
Zuvor hatte die Bundesregierung in nicht-öffentlicher Sitzung die kürzliche Löschung von sensiblen E-Mails mit Zielvorgaben für die Überwachung beim BND heruntergespielt. Diese Aktion sei nicht innerhalb des Untersuchungszeitraums erfolgt, gab SPD-Obmann Christian Flisek die Reaktion aus dem Kanzleramt wider. Man sei bemüht gewesen, die Daten über parallele Konten wiederherzustellen. Der Sozialdemokrat geht so davon aus, dass aus der überraschenden Andeutung des Zeugens "nicht wirklich ein größerer Problemfall wird".
Der grüne Obmann Konstantin von Notz sieht dies anders. Die lapidare Begründung der Regierung, dass es darum gegangen sei, "ein Postfach zu bereinigen", sei kaum glaubhaft. Die Aussage ziehe zudem die Vollständigkeit die vom BND vorgelegten Akten generell in Zweifel. Als kurios bezeichnete er es auch, dass bei der Behörde überhaupt "streng geheime Informationen" über Selektoren zwischen der Außenstelle Bad Aibling und der Zentrale in Pullach "einfach per E-Mail versandt" würden. Untersuchungsgegenständlich sei der Vorfall, da es dafür nicht auf den Zeitpunkt der Aktion ankomme. (anw)