Experte: KI kann im Kampf gegen seltene Krebserkrankungen helfen

Dank KI und mehr Gesundheitsdaten machen Diagnostik und Therapie von Krebskrankheiten laut Technikfolgen-Abschätzern Fortschritte. Aber die Regulierung bremse.

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Arzt schaut auf einem Tablet auf Gesundheitsdaten

(Bild: greenbutterfly/Shutterstock.com)

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Durch Verfahren des maschinellen und insbesondere des tiefen Lernens (Deep Learning) mittels künstlicher neuronaler Netze und der zunehmenden Verfügbarkeit digitaler Gesundheitsdaten machen Diagnostik und Therapie von Krebskrankheiten große Fortschritte. Dies schreibt der Biologe Marc Bovenschulte in einer jetzt veröffentlichten Kurzstudie des Büros für Technikfolgen-Abschätzung beim Bundestag (TAB). Von derartigen Ansätzen auf Basis von Künstlicher Intelligenz (KI) könnten ihm zufolge auch Menschen profitieren, die an seltenen Krebserkrankungen leiden. Doch solche Weiterentwicklungen, bei denen es um den Umgang mit einer zunehmend personalisierten und datengetriebenen Medizin gehe, stünden vor zahlreichen technischen und regulatorischen Herausforderungen.

Von seltenen Tumorleiden spricht man, wenn weniger als 6 von 100.000 Menschen daran neu erkranken. Hierzulande sind das zum Beispiel Speiseröhren, Kehlkopf- und Schilddrüsenkrebs, Morbus Hodgkin (bösartige Erkrankung des lymphatischen Systems) sowie bestimmte Leukämieformen. Durch die Berücksichtigung der individuellen genetischen, physio- und morphologischen Merkmale von Patienten steigt laut der Untersuchung die Chance "auf eine exakt passende, möglichst wirksame und nebenwirkungsarme Behandlung". KI-Ansätze könnten hier bei der Diagnose, der Auswahl der geeigneten Therapiemaßnahmen, der Prognose des Krankheitsverlaufs und der therapeutischen Begleitung der Betroffenen eingesetzt werden. Zudem spiele die Technik eine Rolle bei der Entwicklung von Medikamenten und neuartigen, auf Personen zugeschnittenen Therapieansätzen.

KI-Systeme seien besonders gut geeignet, unterschiedliche Daten wie Röntgenbilder, molekularbiologische Informationen, Sequenzangaben aus DNA-Analysen oder Literaturdatenbanken auszuwerten, miteinander zu vergleichen, in Beziehung zu setzen und daraus Schlüsse zu ziehen, erläutert Bovenschulte. CAD-Systeme etwa führten ergänzend zum Menschen eine Analyse der Bildinhalte durch und bezögen Muster aus Vergleichs- oder Referenzdaten ein, um auffällige Bereiche hervorzuheben. Bei geringen Fallzahlen gelinge dies aber schlechter. In einer Studie zur Detektion heterogener Tumore sei eine Deep-Learning-KI im Vergleich mit der klassischen Methode aber fast doppelt so gut in der Lage gewesen, den Grad der Aggressivität der Erkrankung anhand von Computertomografiebildern einzuschätzen. Als vielversprechend bezeichnet der Autor ferner etwa das Erstellen eines digitalen Zwillings, um anhand einer virtuellen Nachbildung von Patienten eine Behandlung modellieren zu können, sowie personalisierte mRNA-Impfstoffe im Kampf gegen erneute Krebserkrankungen.

Angesichts des Booms generativer KI loten Experten laut Bovenschulte auch aus, inwiefern ChatGPT & Co. in der Präzisionsmedizin zur Krebsbehandlung genutzt werden können. Hintergrund sei, dass sich mit dem Wissen um die Biologie eines Tumors auch die Möglichkeiten zu seiner Behandlung verbesserten. Bei ersten Experimenten etwa an der Charité hätten die Bots zwar "zum Teil brauchbare Vorschläge und Hinweise" geliefert und in zwei Fällen sogar "einzigartige Therapieansätze", auf die noch niemand gekommen sei. In der Regel reichten die Resultate bisher aber nicht an die Qualität der menschlichen Experten heran. Mitunter komme es zur Integration erfundener Informationen (Halluzinationen). Zudem sei die Konsistenz der Ergebnisse über verschiedene Versionen der großen Sprachmodelle hinweg gering.

Die beschriebene Individualisierung therapeutischer Ansätze passt dem Verfasser zufolge aber "nur schwer in den Rahmen bestehender Zulassungsregime", die bisher möglichst auf umfangreichen klinischen Studien mit zahlreichen Probanden, standardisierten Produkten und Vorgehensweisen beruhen. Experimentelle Behandlungen seien zwar im Rahmen der therapeutischen Freiheit und als Heilversuche in engen Grenzen zulässig, um einzelne Patienten mit neuartigen und wenig erprobten Ansätzen zu behandeln. Dennoch hält Bovenschulte "eine verlässliche Rahmensetzung" für nötig, um auch bei personalisierter Diagnose und Therapie deren Wirksamkeit zu belegen. Dies gelte auch für KI-basierte Verfahren. Eine "Verantwortungsdiffusion", die neben dem medizinischen Fachpersonal etwa die Klinikleitung, IT-Spezialisten oder die Hersteller einbeziehe, sollte vermieden werden.

(nie)