Experten: "Trojaner-Blindfluggesetz" würde "Kultur der IT-Unsicherheit" fördern

Seite 2: "Diese Büchse der Pandora nicht öffnen"

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Auch mit dem Osnabrücker Strafrechtler Arndt Sinn kam sich der Sicherheitsexperte ins Gehege. Der Professor führte aus, dass Telekommunikationsanbieter "ihre Infrastruktur zur Verfügung stellen" müssten, damit "autorisierte Personen" die Überwachungssoftware aufspielen könnten. Wenn aber etwa der Smartphone-Hersteller helfen solle, würde Verschlüsselung insgesamt geschwächt, gab Neumann zu bedenken. Die Krypto-Eckpunkte der Regierung wären damit hinfällig. Der Hacker beschwor die Abgeordneten, "diese Büchse der Pandora nicht zu öffnen", sonst werde den Herstellern und Diensteanbietern niemand mehr vertrauen.

Auch mit der skizzierten Freigabe "werden wir keine flächendeckende Überwachung haben", versicherte Alfred Huber, Oberstaatsanwalt für Nürnberg und Fürth. Er verwies die Sorge, dass die Polizei bei einem Fahrraddiebstahl Smartphones hacken werde, ins Reich der Fantasie. Michael Greven vom Deutschen Richterbund verwies in einer Stellungnahme darauf, dass schon die klassische Telefonüberwachung nur in 0,1 Prozent der Ermittlungsfälle zum Tragen komme und sich an diesem Verhältnis mit der neuen Befugnis wenig ändern werde. Für Neumann blieb unverständlich, "wieso für so wenige Fälle 100 Prozent der Rechner weltweit mit Sicherheitsschwächen versehen werden sollen".

Für Huber führt an der Quellen-TKÜ aber "kein Weg vorbei". Es handle sich dabei angesichts des gezielten Einsatzes von Kryptografie durch Kriminelle um ein ganz wichtiges Werkzeug. Die Politik müsse den Fahndern hier den Schlüssel zur Verfügung stellen, "damit wir wieder auf Augenhöhe mit den Straftätern agieren können". Wer "lieber die Daten" schütze, schütze die Täter. Matthias Krauß, Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof, hielt den Entwurf ebenfalls "für sachgerecht und praktikabel". Ein milderes Mittel könne er nicht erkennen.

Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff, die nicht geladen war und nach eigenen Angaben von dem Plan erst aus den Medien erfuhr, warnt derweil in einer Stellungnahme vor "erheblichen datenschutzrechtlichen Risiken" und einem "klaren Verfassungsverstoß". Letzterer drohe durch eine Klausel, mit der die Quellen-TKÜ im Einzelfall zur "vollwertigen" Online-Durchsuchung ausgebaut werde.

Voßhoff spricht von einer "Grenzüberschreitung". Laut dem Artikel dürften Ermittler auch auf dem System der betroffenen Person gespeicherte Daten auslesen, "wenn diese Gegenstand früherer Kommunikation waren", schreibt die CDU-Politikerin. Gestattet werde ein Zugriff "bereits für den Fall einer hypothetischen Überwachung", wenn Informationen auch während eines laufenden Vorgangs hätten erlangt werden können. Dies solle offenbar einen Abruf "gespeicherter E-Mail-Postfächer, WhatsApp-Accountdaten, gespeicherter SMS, Anruflisten des Mobiltelefons etc." sowie von Daten in der Cloud zulassen.

Voßhoff hat ferner "erhebliche Zweifel" an einem Bedarf von Polizeibehörden, die Quellen-TKÜ beim gesamten Katalog des Paragrafen 100a Strafprozessordnung (StPO) zu nutzen. Ferner sei fraglich, ob bei dem offenbar geplanten "flächendeckenden Einsatz" von Staatstrojanern "im Bund und bei den Strafverfolgungsbehörden in allen Bundesländern der dafür notwendige technische Aufwand geschaffen und aufrechterhalten werden kann". Für "beachtlich" hält die Kontrolleurin auch den vorgesehenen Straftatenkatalog bei der Online-Durchsuchung, der "sage und schreibe 74 Paragrafen" nenne. (axk)