FDP wirft Bundesregierung falsches Spiel beim Bundestrojaner vor

Die Liberalen empfinden es als Skandal, dass die Regierung den Verfassungsschutz bei den umstrittenen Online-Durchsuchungen bereits gewähren lässt, und haben zahlreiche technische Fragen zu der Bespitzelungsmaßnahme.

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Die Liberalen empfinden es als Skandal, dass die Bundesregierung den Verfassungsschutz bei den heftig umstrittenen Online-Durchsuchungen bereits gewähren lässt. Auf eine parlamentarische Anfrage der FDP-Fraktion im Bundestag hatte die Bundesregierung zuvor erklärt, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz schon jetzt das Recht zum heimlichen Ausspähen von vernetzten PCs und geschützten Datenspeichern im Internet habe. Sie bezieht sich dabei unter anderem auf Paragraph 8 Absatz 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. Demnach dürfen die Staatschützer "Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung wie den Einsatz von Vertrauensleuten und Gewährspersonen, Observationen, Bild- und Tonaufzeichnungen, Tarnpapiere und Tarnkennzeichen anwenden." Die gestatteten Mittel habe das Bundesinnenministerium in einer Dienstvorschrift zu benennen. Eine Lizenz zu Online-Durchsuchungen ist damit nach Ansicht der FDP aber "ausdrücklich nicht vorgesehen".

Der Bundesgerichtshof hatte das heimliche Ausspähen über das Internet durch staatliche Ermittler wegen fehlender Rechtsgrundlage Anfang Februar untersagt. Konkret ging es in dem Fall um ein Vorhaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Insbesondere Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Polizeivertreter pochen seitdem auf eine rasche gesetzliche Regelung, die Strafverfolgern die staatliche Verwanzung von PCs und Online-Datenträgern erlaubt.

"Offenbar hat die Regierung die Öffentlichkeit in der Diskussion um Online-Durchsuchungen bisher getäuscht", beklagen der FDP-Innenexperte Hartfried Wolff und die innenpolitische Sprecherin der Faktion, Gisela Piltz, nun in einer gemeinsamen Stellungnahme angesichts des Anlegens zweierlei Maßes in Berlin. Die Bundesregierung erwecke mit ihrer Aussage zum Einsatz des Bundestrojaners für den Verfassungsschutz den Verdacht, dass sie – ohne ausreichende gesetzliche Grundlage – umfangreicher als bisher zugegeben Online-Durchsuchungen praktiziert habe. Zuvor hatte der Innenexperte der SPD-Fraktion im Bundestag, Dieter Wiefelspütz, bereits indirekt eingeräumt, dass staatliche Trojanerangriffe bereits praktiziert würden. Für ihn mit ein Grund, möglichst schnell die juristischen Befugnisse für die tief in die Grundrechte eingreifende Maßnahme für alle relevanten Sicherheitsbehörden zu schaffen.

Geht es nach den Liberalen, muss die Bundesregierung "umgehend und umfassend darlegen, welche Grundlagen und Dienstvorschriften bislang zum Thema Online-Durchsuchungen existieren und inwieweit Verfassungsschutz und andere Dienststellen Online-Durchsuchungen durchgeführt haben." Darüber hinaus hat die FDP eine umfangreiche Anfrage zu der geplanten Rechtsbefugnis für den Strafverfolgungsbereich gestellt. Darin will sie zunächst wissen, ob die bereits im Programm zur Stärkung der inneren Sicherheit des Innenministeriums vorgesehene Entwicklung von Möglichkeiten zur Durchsuchung "entfernter PCs" auf "verfahrensrelevante Inhalte" weiter verfolgt werde.

Des Weiteren haben die Liberalen eine Reihe von Fragen zur geplanten technischen Durchführung der Netzbespitzelung. Sie bitten die Bundesregierung in einer kleinen Anfrage etwa um Aufklärung, ob "sich selbst installierende Programme" zur Installation von Schadsoftware auf Computer vorgesehen sind oder ob Absprachen mit Softwareherstellern angestrebt sind zum Offenlassen von Sicherheitslücken für die Behörden. Bei Letzterem will die Fraktion in Erfahrung bringen, inwieweit auch Kriminelle oder fremde Geheimdienste sich diese etwa für Wirtschaftsspionage zunutze machen könnten und welche Gegenmaßnahmen auch gegen das Kopieren eines erkannten Bundestrojaners vorgesehen seien.

Sei die Gefahr eines "digitalen Wettrüstens" vorprogrammiert, wenn immer neue Schwachstellen für die staatliche Spyware geschaffen werden müssten, und wie könne dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) auf der einen Seite die Aufgabe der technischen Prüfung der technologischen Sicherheit und auf der anderen die der Entwicklung technischer Möglichkeiten zur Überwindung solcher Sicherheitsarchitekturen zugewiesen werden, bohrt die FDP nach. Ferner möchte sie Informationen über den technischen und wissenschaftlichen Stand der Computerforensik. Damit will sie klären, ob nicht auch dieses Mittel zur beweisfähigen Datensicherung statt einer Online-Durchsuchung eingesetzt werden könnte. Ein von der Regierung zu lüftendes Rätsel ist es für die Liberalen zudem, wie beim Online-Zugriff auf Festplatten Erhebungen von Daten aus dem besonders geschützten Kernbereich der privaten Lebensgestaltung des Benutzers verhindert und welche Filter oder Schlagwortsuchverfahren eingesetzt werden sollen.

Darüber hinaus hat die Fraktion mehrere rechtliche Nachfragen, die sich etwa auf die mögliche Berührung fremder Staatssouveränität bei der Netzspionage oder das Herausfinden von Absender-PCs bei der Benutzung von Anonymisierungsservern beziehen. Unklar erscheint den Liberalen auch, wie die Überprüfbarkeit staatlichen Handelns bei den heimlichen Durchsuchungen gewährleistet werden könne. Sie bitten zudem um eine Bewertung gleichzeitig erfolgender Eingriffe in die digitale Privatsphäre beziehungsweise in den "Mitgewahrsahm" unbeteiligter Dritter an dem zu durchsuchenden Datenträger oder in einem weiteren Netzwerk angeschlossener Rechner. Die abschließende Frage richtet sich nach der Bemessung der Eingriffsschwere im Unterschied etwa zum großen Lauschangriff, da bei der Online-Durchsuchungen auch persönliche Aufzeichnungen und nicht nur "aktuelle Kommunikation" erfasst werden könne.

Zu den Auseinandersetzungen um die Online-Durchsuchung und die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung siehe auch die Übersicht über die bisherige und die aktuelle Berichterstattung im Online-Artikel zum Start der Anti-Terror-Datei:

(Stefan Krempl) / (vbr)