"Faire Gehaltsverhandlungen motivieren mehr als eine Gehaltserhöhung“

Die wenigsten wissen, was ihre Kollegen verdienen. Das ist schlecht, denn daraus kann ein Ungerechtigkeitsempfinden entstehen, warnt Soziologe Stefan Liebig.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 50 Kommentare lesen

(Bild: beeboys/Shutterstock.com)

Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Peter Ilg

Gehälter sind im Kollegenkreis tabu, denn darüber zu sprechen, verbieten Arbeitgeber oft. Sie wollen hohe Gehaltsforderungen unterbinden, indem sie vermeiden, dass der eine weiß, was seine Kollegin verdient. Damit schaden sich die Arbeitgeber, meint der Soziologieprofessor Stefan Liebig, "weil Transparenz bei der Entlohnung und Fairness bei den Gehaltsverhandlungen zu höherer Motivation führen". Liebig vermutet, dass gerade bei Informatikern und Ingenieuren ein gerechtes Gehalt eine ganz zentrale Rolle auf das Engagement hat.

heise jobs – der IT-Stellenmarkt

Zu Arbeitsplätzen und Stellenangeboten in der IT-Branche siehe auch den Stellenmarkt auf heise online:

Stefan Liebig ist Professor für Soziologie an der Freien Universität Berlin und wissenschaftliches Vorstandsmitglied des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung DIW. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit der Wahrnehmung und Bewertung sozialer Ungleichheiten.

Herr Liebig, über das Gehalt spricht man im Kollegenkreis meist nicht. Wieso eigentlich nicht?

Weil manche Arbeitgeber dies ausdrücklich verbieten.

Obwohl es seit einigen Jahren das Gesetz zur Lohntransparenz gibt, das den Mitarbeitenden einen Anspruch darauf gewährt zu erfahren, was der Kollege verdient?

Ich vermute, dass es dennoch in manchen Unternehmen interne Regelungen dafür gibt, dass nicht über das Gehalt gesprochen werden darf. Wir wissen aus Studien vor Einführung des Gesetzes 2017, dass etwa einem Drittel die Höhe des Einkommens der Kollegen bekannt ist und zwei Dritteln nicht. Dieses Verhältnis wird das Lohntransparenzgesetz vermutlich nicht wesentlich verschoben haben.

Wenn wir wissen, was die Kollegin verdient, dann vergleichen wir wohl ihres mit unserem Einkommen?

Wir vergleichen uns mit Personen aus dem Betrieb und externen, die uns gleich sind. Kriterien dafür sind etwa Alter, Ausbildung und Geschlecht. Mit diesem Wissen urteilen wir darüber, ob das eigene Gehalt angemessen ist oder nicht. Hinter diesem Vergleich steckt unser Bedürfnis nach Gerechtigkeit. Wir Menschen haben ein zentrales und starkes Gerechtigkeitsempfinden. Die zentrale Frage bei der Beurteilung, ob ein Gehalt gerecht ist, lautet stets: Wird mein Einsatz für das Unternehmen adäquat belohnt? Wer viel leistet soll viel bekommen, wer wenig leistet, wenig. Diese Norm leitet uns bei der Bewertung und sie wird ganz besonders in der Arbeitswelt angewandt.

Was ist die Konsequenz daraus, wenn man sein eigenes Gehalt als ungerecht empfindet?

Erstens versuchen wir das Verhältnis zwischen eigener Leistung und dem Gehalt wieder ins Gleichgewicht bringen. Entweder, indem man bei der nächsten Gehaltsverhandlung einen ordentlichen Aufschlag fordert oder bei einem zu niedrigen Gehalt seine Leistung reduziert – also die Leistung an das Gehalt anpasst. Wenn das nicht klappt, schaut man sich nach einer neuen Stelle in einem anderen Betrieb mit einem höheren Gehalt um. Wenn auch das nicht klappt, kündigt man innerlich.

Ungerechtigkeitsempfinden wirkt sich also auf die Arbeitsleistung aus.

Ja und das typischerweise in kreativen Jobs wie denen von Ingenieuren und Informatikern. Sie sollen innovativ sein, sich engagieren und nicht Dienst nach Vorschrift machen. Die Erwartung an sie ist, dass sie Neues entwickeln. Das funktioniert nicht mit Vorschriften, die Motivation dazu muss aus ihnen selbst kommen. Deshalb vermute ich, dass gerade in diesen beiden Berufsgruppen die Gerechtigkeit des Einkommens eine ganz zentrale Rolle auf das Engagement hat. Auch gerade deshalb, weil für Informatikerinnen und Ingenieure eine besondere Arbeitsmarktsituation herrscht. Sie sind begehrt und deshalb ist der Druck für deren Arbeitgeber, gerecht zu entlohnen, deutlich höher, als in anderen Berufsgruppen. Gerechte Gehälter helfen dabei sie zu halten und spornen sie an, innovativ und engagiert im Unternehmen tätig zu sein.

Wenn Firmen ihren Mitarbeitern verbieten, untereinander über die Gehälter zu reden, schaden sie sich damit wohl selbst?

Ja, aber nicht ohne Grund. Sie wollen damit verhindern, dass die Beschäftigten wegen ihres Wissens über die Gehälter von besserverdienenden Kollegen hohe Gehaltsforderungen stellen. Das Ungerechtigkeitsempfinden ihrer Mitarbeitenden durch intransparente Gehälter stört manche Arbeitgeber offensichtlich weniger als höhere Personalausgaben. Indem Gehälter als Thema unter Kollegen tabu sind, öffnen die Firmen wilden Einkommensspekulationen Tür und Tor.

Um das zu vermeiden, sollten die Unternehmen wohl die Gehälter ihrer Mitarbeiter intern offenlegen?

Viel wichtiger ist, dass die Regeln der Entlohnung und die Verhandlungen über das eigene Gehalt als gerecht wahrgenommen werden. Entscheidend ist dabei, Gehaltsunterschiede klar zu begründen und die Gehaltsverhandlungen fair zu gestalten. In Tarifsystemen gibt es bestimmte Kriterien, wer wann nach welcher Entgeltstufe bezahlt wird. In dem Moment, wenn Unternehmen nicht mehr auf solche Systeme bei der Entlohnung zurückgreifen, müssen sie die Legitimität der Einkommen und Einkommensunterschiede selbst schaffen. Ein Tarifsystem entlastet die Unternehmen in der Begründung für unterschiedliche Gehälter. Das ist zwar einfach, aber wenig hilfreich.

Entsteht das Gefühl, ungerecht behandelt zu werden, aus nicht transparenten Gehältern?

Das ist sicherlich eine Ursache. Viele Studien haben gezeigt, dass, wenn Gehaltsverhandlungen nach klaren Regeln geführt werden und die Gründe für eine bestimmte Gehaltshöhe klar kommuniziert wurden, dass dann auch Gehälter als gerecht angesehen worden sind, die unter anderen Bedingungen als ungerecht empfunden wurden. Verfahrensgerechtigkeit ist deshalb für die Menschen wichtiger als Verteilungsgerechtigkeit.

Wie äußert sich das?

Wenn sich die Beschäftigten bei der Gehaltsverhandlung oder von ihren Vorgesetzten ungerecht behandelt fühlen, dann hat dies einen viel größeren negativen Effekt als würden sie 200 Euro weniger verdienen im Vergleich zur Kollegin. In vielen Studien waren Arbeitnehmer eher bereit, geringere Einkommen zu akzeptieren, wenn sie den Eindruck hatten, dass das Verfahren, welches zur Festsetzung des Einkommens geführt hat, gerecht war. Transparenz und klare Regeln bei den Gehaltsverhandlungen sind eine Bedingung für Gerechtigkeit im Unternehmen und entscheidend für die Motivation der Mitarbeitenden.

(axk)