Fall "Cicero": Bundesregierung lehnt "Journalistenprivileg" ab

Vor dem Bundesverfassungsgericht verteidigte die Bundesregierung das Vorgehen wegen eines Artikels, in dem aus einem internen Bericht des Bundeskriminalamts zitiert wurde. Der "Cicero"-Anwalt kritisierte die Maßnahmen als Verletzung der Pressefreiheit.

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  • dpa

Die Bundesregierung hat eine weitgehende Straffreiheit von Journalisten für die Veröffentlichung geheimer Dokumente abgelehnt und die umstrittene Razzia bei der Zeitschrift Cicero verteidigt. "Ein Journalistenprivileg kann es unseres Erachtens nicht geben", sagte Justizstaatssekretär Lutz Diwell bei einer Anhörung des Bundesverfassungsgerichts am heutigen Mittwoch in Karlsruhe.

Der Anwalt von Cicero-Chefredakteur Wolfram Weimer, Alexander Ignor, kritisierte die Durchsuchung der Redaktion durch die Potsdamer Justiz im September 2005 dagegen als Verletzung der Pressefreiheit. Dem Staat sei es zwar unbenommen, die Geheimhaltung vertraulicher Dokumente an der Quelle, also bei seinen Bediensteten, durchzusetzen, sagte Ignor. Würden aber Journalisten allein wegen der Entgegennahme und Veröffentlichung solcher Informationen mit Strafverfolgung überzogen, dann hätte es der Staat in der Hand, bestimmte Informationen beliebig dem öffentlichen Diskurs zu entziehen.

Verleger- und Journalistenverbände warnten am Mittwoch davor, dass solche Aktionen der Justiz den Informantenschutz aushebelten und letztlich den Zugang der Presse zu Informationen von öffentlichem Interesse erschwerten. Diwell dagegen beharrte darauf, dass sich Medienvertreter in solchen Fällen wegen Beihilfe zur Verletzung von Dienstgeheimnissen strafbar machten. "Die Pressefreiheit ist nach dem Grundgesetz nicht uneingeschränkt gewährleistet." Ein Karlsruher Urteil wird erst 2007 erwartet.

Mehrere Verfassungsrichter konfrontierten die Regierung mit kritischen Nachfragen. Da nach der derzeitigen Lesart der Gerichte ein Journalist schon durch die bloße Veröffentlichung vertraulicher Dokumente in den Verdacht einer Beihilfe geraten könne, bestehe keine wirkliche Hürde gegen Ermittlungen, sagte Wolfgang Hoffmann-Riem, in dem Verfahren als Gerichts-Berichterstatter federführend. Sein Kollege Reinhard Gaier vermutete ein strukturelles Problem: "Was der Gesetzgeber will – nämlich einen prophylaktischen Schutz der Pressefreiheit – findet nicht mehr statt."

Bei der vom Amtsgericht Potsdam angeordneten Durchsuchungs- und Beschlagnahmeaktion, gegen die Weimer zwei Verfassungsbeschwerden eingelegt hat, waren Datenträger sichergestellt sowie eine Kopie einer Computerfestplatte gezogen worden. Auslöser waren Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wegen eines im April 2005 veröffentlichten Artikels des Journalisten Bruno Schirra über den inzwischen getöteten Terroristen Abu Mussab al-Sarkawi. Darin wurde aus einem als "Verschlusssache" gekennzeichneten Bericht des Bundeskriminalamts (BKA) zitiert – der niedrigsten Geheimhaltungsstufe, die laut Verlegerverband so geheim ist "wie der Speiseplan der BKA-Kantine".

Wer den Bericht an die Presse weitergegeben hatte, ist bis heute ungeklärt. Hoffmann-Riem merkte an, dass rund 200 BKA-Bedienstete Zugang zu dem Papier hatten. Die Vorwürfe blieben letztlich fast ohne strafrechtliche Folgen für die Journalisten: Im Februar stellte die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Weimer gegen Zahlung von 1000 Euro ein; im Juli lehnte das Potsdamer Landgericht die Eröffnung eines Verfahrens gegen Schirra und einen weiteren Journalisten ab. (dpa) / (jk)