Filmkritik und visuelle Effekte: "Indiana Jones und das Rad des Schicksals"

Am 28. Juni läuft Indiana Jones zum fünften Mal im Kino – nach schwieriger Produktion und mit einem digital verjüngten Harrison Ford. Das Fazit: durchwachsen.

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Peitsche und Hut sind seine Markenzeichen: Zum fünften Mal kämpft Indiana Jones im Wettlauf gegen Nazis um ein magisches Artefakt.

(Bild: Lucasfilm Ltd.)

Lesezeit: 8 Min.
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Harrison Ford kämpft zum fünften Mal als Indiana Jones auf der Leinwand gegen Nazis und diesmal auch gegen die Zeit – stolze 15 Jahre nach dem vierten Teil und 42 Jahre nach dem Debut des actionerprobten Archäologen. Der Titel "Indiana Jones und das Rad des Schicksals" soll die Reihe beschließen, das zumindest ließ die Produktionsfirma Walt Disney Pictures beziehungsweise deren Tochter Lucasfilm verlauten. Mit einem Budget von rund 300 Millionen US-Dollar handelt es sich mit Abstand um den teuersten Film der Reihe.

Der Film beginnt mit einer Einstellung im Jahr 1944, rund sechs Jahre nach den Ereignissen von "Indiana Jones und der letzte Kreuzzug", dem dritten (und für viele Fans ultimativen) Teil der Reihe von 1989. Im Jahr 1944 hilft Indiana Jones seinem Kollegen Basil Shaw, das mystische Rad des Schicksals aus den Händen der Nazis zu entwenden. Rund eine halbe Stunde kämpft ein beeindruckend glaubwürdig verjüngter Indiana Jones gegen seine Erzfeinde und im Kinosessel vergisst man beinahe, dass die Achtzigerjahre lange vorbei sind.

Selten trifft das Wort "ikonisch" so sehr zu: Indy erkennt man schon an der Silhouette.

(Bild: Lucasfilm Ltd.)

Dann der Bruch: 25 Jahre später, im Jahr 1969, helfen ehemalige Nazis der US-Regierung, den Wettlauf zum Mond gegen die Sowjets zu gewinnen; es beginnt eine Jagd nach dem McGuffin, wie Hitchcock den Gegenstand nannte, um den sich Agentenfilme drehen – in diesem Fall das Rad des Schicksals.

Indy sitzt in seinem Sessel, ein verbitterter alter Mann, die Whiskeyflasche auf dem Tisch, der Kontrolle über sein Leben beraubt und die jugendlichen Nachbarn anschreiend. Er wird in den Ruhestand geschickt, sein Sohn stirbt in Vietnam und die von Karen Allen verkörperte Marion lässt sich scheiden. Darauf noch einen Doppelten.

Die Rolle von Indys Sidekick übernimmt seine Patentochter Helena Shaw (Phoebe Waller-Bridge) statt wie im vorigen Film Shia LaBeouf. In weiteren Rollen sind Mads Mikkelsen als Hauptantagonist Jürgen Voller sowie Antonio Banderas und Thomas Kretschmann zu sehen. John Rhys-Davies bekommt einen Cameo-Auftritt als Salah, ebenso Karen Allen als Marion Ravenwood.

Regie führte James Mangold. Mehr als einmal bewies er, auch ausgeblutete Themen wiederbeleben zu können (Cop Land, Logan – The Wolverine, Le Mans 66 – Gegen jede Chance). Das Drehbuch stammt von David Koepp, Jez Butterworth, John-Henry Butterworth und von Mangold selbst. Es ist nie ein gutes Zeichen, wenn verschiedene Drehbuchautoren an einem Skript schreiben. In der Regel bedeutet das, die Produzenten hielten die erste Fassung für zu schlecht oder mit anderen Worten: Sie passte nicht zu den Vorstellungen des Studios. Je größer das Autorenteam wird, desto mehr Köche rühren im Brei.

Mads Mikkelson verkörpert den Antagonisten und Ex-Nazi Jürgen Voller.

(Bild: Lucasfilm Ltd.)

So war es anscheinend auch hier: Indy V ist der erste Film der Reihe, in dem weder Steven Spielberg Regie führte, noch George Lucas das Drehbuch schrieb. Dabei war Spielberg zunächst durchaus als Regisseur am Set. Nach Streitereien mit Ford und Disney über das Skript warfen Regisseur Spielberg sowie Autor Koepp jedoch das Handtuch und Mangold übernahm. Immerhin eine Konstante gibt es: Die Musik stammt wieder von John Williams.

In der Anfangsphase wirkt der Film wie ein klassisches Indiana-Jones-Abenteuer. Kindheitserinnerungen an eine einfache, unbeschwerte Zeit werden wach, und genau das lieferte Indiana Jones in seinen goldenen Tagen: Eskapismus aus dem komplexen, eintönigen und manchmal auch schmerzhaften Alltag. Als Indy von profanen Problemen und problematischem Alkoholkonsum geschüttelt wird, ist es vorbei damit, als käme das Publikum, um die hässliche Fratze menschlichen Abgrunds zu sehen, wie im Dschungelcamp.

Indiana Jones wirkt hier nicht, wie in seinen drei klassischen Filmen, stärker als die Widrigkeiten des Alltags, als Parktickets, ein leerer Kühlschrank und die im Vorjahr verstorbene Katze. Passiv geschehen ihm vielmehr die Schicksalsschläge, und passiv wird er nicht nur vom Naziwidersacher Voller, sondern auch von seiner Patentochter Helena durch die Story geschoben.

Helena macht fleißig Witze über Indys Alter, und man weiß nicht, ob zur Demontage des Superhelden, oder um das Offensichtliche, das Unglaubwürdige am achtzigjährigen Actionhelden etwas abzumildern. Momente wie der, als Salah ruft "Give them hell, Indy!", dürfen nicht scheinen, sondern werden Sekundenbruchteile später durch einen dummen Witz auf Kosten Indys verödet.

So sieht Disneys Blaupause zum Umgang mit altgedienten Helden aus: Wie Luke Skywalker, der im wohl unbeliebtesten Star-Wars-Film aller Zeiten "Die letzten Jedi" blaue Milch direkt von der Alienkuh trank, demontiert Lucasfilm unter dessen Präsidentin Kathleen Kennedy auch Indiana Jones, um an dessen Stelle eine junge und unfehlbare Protagonistin zu setzen.

Das Resultat fällt immer gleich aus: Die beliebtesten Geschichten, seit die Bilder laufen lernten, finden unter Disney ein jähes Ende – einem Unterhaltungskonzern, der es schafft, selbst die größten popkulturellen Phänomene aller Zeiten zu blutleerem Streamingcontent verdorren zu lassen.

Besser denn je wirken hingegen die visuellen Effekte, die fast vergessen machen, dass es den jungen Indiana Jones so nicht mehr gibt. Der 1942 geborene Harrison Ford war während der Dreharbeiten im Juni 2021 bereits fast 79 Jahre alt. Disney nutzte das selbst entwickeltes System FRAN (face re-aging network), um ihn mithilfe künstlicher Intelligenz digital zu verjüngen. Der erste Teil des Films zeigt einen 35-jährigen Ford, der weniger als halb so alt ist wie zu den Dreharbeiten. Nie wirkte solch ein Effekt glaubwürdiger als hier.

Unerlässliche Voraussetzung für die digitale Frischzellenkur ist Bildmaterial der zu verjüngenden Person in ähnlichen Posen und mit vergleichbarer Beleuchtung in einem jüngeren Lebensalter. Disney hat dafür auf das Lucasfilm-Archiv zugegriffen, in dem Material des jungen Harrison Ford zuhauf zu finden ist.

Die Filmaufnahmen für Indy V entstanden indes in mittlerweile üblicher Manier: Harrison Ford trug Punkte auf dem Gesicht, die dem 3D-System das Tracking erleichterten. Es dauerte laut Regisseur James Mangold zwei Tage, bis das Material mit dem verjüngenden visuellen Effekt bereitstand.

Verjüngungskuren gab es schon in früheren Filmen, beispielsweise für Samuel L. Jackson in Captain Marvel sowie für Robert De Niro, Joe Pesci und Al Pacino in Martin Scorseses Mafiadrama "The Irishman". Auch in letzterem setzte Industrial Light & Magic (ILM) für insgesamt 1750 Einstellungen künstliche Intelligenz ein, die aber im Jahr 2019 noch nicht völlig überzeugen konnte.

So glaubwürdig wie nie: Disney Research entwickelte ein Software-Modell, um den Schauspieler mit künstlicher Intelligenz zu verjüngen.

(Bild: Lucasfilm Ltd.)

Für den Effekt kamen bereits verschiedene Methoden bei Lucasfilm zum Einsatz: Im Star-Wars-Prequel "Rogue One" aus dem Jahr 2016 ließ ILM Grand-Moff Tarkin und die junge Prinzessin Leia aus Star Wars Episode IV (früher, liebe Kinder, hieß der Film schlicht "Krieg der Sterne") wiederauferstehen. Die Charaktere entstanden als 3D-Modelle. Eine Kombination aus Motion-Capture von Schauspielern mit weißen Punkten im Gesicht und Keyframe-Animation direkt am Rechner erweckte sie zum Leben. Das Resultat wirkte halbwegs überzeugend, jedoch digital und künstlich.

In den Disney+-Serien "The Mandalorian" und "Das Buch von Boba Fett" verjüngte ILM Luke Skywalker unter anderem mit Deep-Learning-Technik. Solche Methoden funktionieren gut bei einzelnen Bildern, müssen in Videoaufnahmen aber aufwendig nachbearbeitet werden.

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Forscher von Disney Research haben eine Methode entwickelt, die Ende November 2022 auf der Siggraph vorgestellt wurde und stabilere Resultate liefert. Sie erstellten mehrere tausend synthetische Porträts und ließen sie digital altern, um damit ein neuronales Netzwerk zu trainieren. Das Face-Re-Aging-Netzwerk kann im Resultat sowohl verjüngen als auch altern. Vor allem produziert es weniger Artefakte und weniger Flimmern als frühere Ansätze. FRAN steht als sogenannte Node für das Compositing-Programm Nuke zur Verfügung (zu Geometry-Nodes siehe auch den Blender-Praxisartikel in c't 17/2023).

(akr)