Finanzskandal erschĂĽttert belgische Hightech-Branche

Der Skandal um die falschen Bilanzen von Lernout & Hauspie schädigt die gesamte Hightech-Branche in Belgien.

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Von
  • Christian Rabanus

Schon seit über zwei Wochen sind die Aktien des Softwareherstellers Lernout & Hauspie (L&H) an der europäischen Easdaq und US-amerikanischen Nasdaq vom Handel ausgesetzt. Grund: Am 9. November teilte das auf Spracherkennungs- und Übersetzungs-Software spezialisierte Unternehmen mit, dass man die Finanzberichte der Jahre 1998 und 1999 sowie den Bericht über das erste Halbjahr 2000 korrigieren müsse. Während L&H in den USA noch Glück hatte, dass der Handel mit seinen Aktien am 9. November erst gar nicht aufgenommen wurde – am 8. November schlossen die Aktien bei 6,22 US-Dollar –, fiel der Kurs der Aktie an der Easdaq bis zur Aussetzung des Handels um über 35 Prozent und landete bei 3,53 US-Dollar.

Die Software-Firma kam wegen ihrer Bilanzen ins Gerede, nachdem das Wall Street Journal im August über Unregelmäßigkeiten in der Abrechnung des Asiengeschäfts von L&H berichtet hatte. Die US-Börsenaufsicht Securities and Exchange Commission (SEC) und auch die belgische Justiz ermitteln mittlerweile wegen L&Hs Geschäftsberichten. So soll laut Bilanz der Umsatz in Süd-Korea von 1,2 Millionen US-Dollar im ersten Halbjahr 1999 auf 127 Millionen US-Dollar im ersten Halbjahr 2000 gestiegen sein. Außerdem nehmen die Behörden die Verrechnung des Umsatzes von rund 30 Startups unter die Lupe, in die L&H investiert hatte. Der Umsatz dieser Unternehmen macht im Jahresbericht 1998 rund zehn Prozent, im Jahresbericht 1999 rund 25 Prozent aus.

Auch L&H überprüfte seine Bilanzen erneut und gab dann am 9. November tatsächlich Fehler und Unstimmigkeiten zu. Außerdem führte das Unternehmen massive personelle Veränderungen durch: Der erst im August als neuer Chef zu der Software-Firma gekommene John Duerdon gab am Donnerstag letzter Woche bekannt, dass die beiden Gründer Jo Lernout und Pol Hauspie und eine ganze Reihe von leitenden Managern, unter anderem der ehemaligen Finanzchef und der Leiter des Asiengeschäfts, der rund 30 Millionen US-Dollar veruntreut haben soll, ihre Posten zur Verfügung gestellt hätten. Mit neuen Leuten wolle man alle Fakten aufdecken und die Integrität und Zuverlässigkeit seines Bilanzierungssystems wiederherstellen.

Der Ruf des Unternehmens ist freilich mittlerweile völlig ruiniert. Ganz unabhängig von dem Finanzskandal – der auch ein außerordentlich schlechtes Licht auf die Wirtschaftsprüfer von KPMG wirft, die die Bilanzen von L&H abgesegnet hatten – musste L&H die Umsatzerwartungen in den letzten Wochen mehrmals drastisch nach unten korrigieren: So erwartet die Firma im dritten Quartal einen gegen den ursprünglichen Prognosen von 165 bis 185 Millionen US-Dollar um 40 Millionen US-Dollar geringeren Umsatz.

Inzwischen reichen weltweit frustrierte Anleger Schadensersatzklagen gegen das belgische Unternehmen ein. Und nicht nur das: Auch mit L&H assoziierte Unternehmen kommen in die Klemme. Die Easdaq setzte letzt Woche die Aktien der Investmentgesellschaft Flanders Language Valley Fund (FLV Fund) vom Handel aus. FLV Fund, selbst zu einem Drittel in der Hand einer von Lernout und Hauspie gegründeten Non-Profit-Gesellschaft, hält Anteile an Startups, die wiederum abhängig von der Zusammenarbeit mit L&H sind. Die 30 Millionen US-Dollar, die der ehemalige Asienchef von L&H, Joo Chul Seo, veruntreut haben soll, stammen von FLV Fund.

L&H wird es schwer haben, sich wieder zu berappeln. Viele Analysten sehen die einzige Chance für das Unternehmen in einem radikalen Schnitt: Es müsse Beteiligungen verkaufen, Stellen streichen und sogar den angestammten Namen aufgeben. Allerdings leidet nicht nur L&H unter dem Skandal, sondern die gesamte belgische Hightech-Branche. Viele internationale Investoren würden sich jetzt in ihrer Meinung bestätigt sehen, dass in Belgien auf dem Finanzmarkt Zustände wie in Ländern der Dritten Welt herrschen, beklagt Geert Van de Walle von Delta Lloyd Securities aus Antwerpen. Die staatlichen Aufsichtsbehörden gelten als kraftlos. Seit Verabschiedung der Gesetze gegen Insiderhandel im Jahr 1990 wurden beispielsweise nur zwei Urteile gegen Händler gefällt – ohne dass ein Urteil rechtskräftig geworden wäre. In beiden Verfahren läuft noch die Revision.

Allerdings sind mangelnde Aufsicht und Sorgfalt bei der Bilanzierung in der boomenden IT-Branche kein rein belgisches Problem: Die Skandalserien auf dem Neuen Markt in Deutschland und sogar Abrechnungsfehler bei milliardenschweren Firmen wie dem US-Netzwerkausrüster Lucent weisen auf deutliche Veränderungen der Unternehmenskultur in der New Economy hin. Zwar ist dem Buchstaben nach der Shareholder Value, das Vertrauen der Kunden und das Wohlergehen der Mitarbeiter das Heiligtum jedes Managements, die Praxis zeigt aber immer wieder, dass mit all diesem mehr als sorglos umgegangen wird. (chr)