Forscher: Abhörtruppe der Bundeswehr agiert auf verfassungsrechtlich dünnem Eis

Das kaum bekannte Militärische Nachrichtenwesen (MilNW) der Bundeswehr agiert wie ein Geheimdienst – nur ohne gesetzliche Basis, Einschränkungen und Kontrolle.

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Die Forscher Corbinian Ruckerbauer und Thorsten Wetzling von der Denkfabrik Interface (vormals Stiftung neue Verantwortung) bei ihrem Vortrag zum Militärischen Nachrichtenwesen auf der Konferenz "Bildet Netze" von Netzpolitik.org

Die Forscher Corbinian Ruckerbauer und Thorsten Wetzling von der Denkfabrik Interface (vormals Stiftung neue Verantwortung) bei ihrem Vortrag zum Militärischen Nachrichtenwesen auf der Konferenz "Bildet Netze" von Netzpolitik.org

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Inhaltsverzeichnis

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich in der Bundeswehr mit dem Militärischen Nachrichtenwesen (MilNW) und seinen knapp 7000 Beschäftigten der größte deutsche Geheimdienst der Bundesrepublik etabliert. Dieser darf im Gegensatz zu den drei bekannteren Institutionen Bundesnachrichtendienst (BND), Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und Militärischer Abschirmdienst (MAD) schier zügellos überwachen und wird so gut wie nicht kontrolliert.

Das verdeutlichten Corbinian Ruckerbauer und Thorsten Wetzling von der Denkfabrik Interface (vormals Stiftung neue Verantwortung) am Freitag auf der Konferenz "Bildet Netze" von Netzpolitik.org in Berlin. Verfassungsrechtlich ist dieses Konstrukt überaus fraglich, sagen beide. Die Ampel-Koalition wisse das, tue aber trotzdem nichts dagegen.

Das MilNW richtet seinen Blick nicht auf die Truppe selbst, sondern vor allem auf Personen in anderen Staaten, wie die beiden Forscher auch in einem Fachbeitrag herausgearbeitet haben. Dafür hört der Dienst Gespräche über Funkgeräte und Handys ab, wirbt Informanten im Ausland an und wertet Informationen aus dem Internet systematisch und automatisiert aus.

All das dient der Kernaufgabe des MilNW, den militärischen Informationsbedarf für politische und militärische Entscheider inklusive der Bundesregierung zu decken.

Ein Kerngebiet des MilNW sei die Fernmeldeaufklärung, auch genannt Signals Intelligence (SIGINT). Diese erfolge stationär, mit Antennen und mobilen Sensoren auf Boden-, Luft- und Wasserfahrzeugen, führte Ruckerbauer aus.

Zudem erfolge eine automatisierte Übermittlung sehr großer Datenmengen aus der eigenen SIGINT vom BND an die Bundeswehr. Dabei sei extrem schwer sicherzustellen, "dass nur Militärangehörige betroffen sind".

Sowohl der militärische Nachrichtendienst als auch der BND fingen im großen Stil Kommunikation ein. Da sei es schon rein technisch nicht möglich, beträchtliche Mengen von "Beifang" etwa über unbeteiligte und unverdächtige Zivilisten auszuschließen. Dazu komme die Nutzung öffentlich verfügbarer Informationen und seit 2023 Daten aus dem Satellitensystem Sarah der Streitkräfte.

Wetzling sieht bei dieser Form der Überwachung mehrere Probleme. So erfolgten etwa massive Eingriffe in Grundrechte von Zivilisten. Dazu zählten das Fernmeldegeheimnis, die Pressefreiheit und die informationelle Selbstbestimmung. Dafür brauche es eine normenklare und bestimmte Legitimation sowie Schutzbestimmungen, damit das Ganze nicht unverhältnismäßig sei.

Dies habe das Bundesverfassungsgericht spätestens mit dem BND-Urteil von 2020 deutlich gemacht. Die Karlsruher Richter seien sich bewusst gewesen, dass Daten zusammengezogen würden und im Zusammenwirken mit anderer Methoden ein "sehr granulares Personenprofil" erstellt werden könne. Sie sprächen hier von "additiven Grundrechtseingriffe".

Doch bisher gebe es gar kein spezifisches Gesetz, das die Überwachungstätigkeiten der Abhörtruppe der Bundeswehr regele, monierte das Duo. Wenn überhaupt, seien Auflagen nur in internen Dienstvorschriften festgelegt, was völlig unzureichend sei. "Da ist Sprengstoff drin", betonte Wetzling.

Für den BND geben es dagegen seit einigen Jahren sehr viele Voraussetzungen für Überwachungsmaßnahmen. So müsse dieser zunächst einen legitimen Zweck definieren, Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr vorlegen und Begrenzungen einhalten. Das Anordnungsverfahren habe schriftlich zu erfolgen, um eine Prüfung der Zulässigkeit zu ermöglichen.

Eine besondere grundrechtliche Gefahr bei der Vorgehensweise des MilNW sieht Ruckerbauer, wenn aus Überlappung dessen Tätigkeiten insbesondere mit denen von BND und MAD eine "enge Kooperation entsteht bei gleichzeitigen starken Diskrepanzen in der Regulierungsdichte". Dies könnte dazu führen, dass Vorgaben umgangen werden.

Es liege nahe, dass insbesondere der Auslandsgeheimdienst Aufgaben an das MilNW quasi auslagere, da der militärische Nachrichtendienst deutlich freizügiger agieren könne.

Während besonders eingriffsintensive Maßnahmen des BND unter Vorbehalt einer unabhängigen Rechtskontrolle stünden, erfolge die Genehmigung bei der Bundeswehr behördenintern, verdeutlichen die Forscher. Wie wichtig eine unabhängige Vorabkontrolle für solche Eingriffe sei, habe Karlsruhe indes in mehreren Urteilen herausgestellt. Denn wo Betroffene sich sonst im Nachhinein gerichtlich zur Wehr setzen könnten, sei das bei verdeckter Überwachung kaum möglich.

Eine weitere klaffende Lücke bestehe bei der parlamentarischen Kontrolle. Diese sei auf das breite Mandat des Verteidigungsausschusses und dessen begrenzter Ressourcen beschränkt. Auch viele Abgeordnete wüssten wenig über das MilNW. Das alles genüge nicht den verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen.

Der unlängst aus dem Amt geschiedene Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber informierte in seinem aktuellen 32. Tätigkeitsbericht erstmals über eine Kontrolle des MilNW in der Heinrich-Hertz-Kaserne in Daun/Eifel. Er beklagt darin zahlreiche datenschutzrechtliche Verstöße.

So sei die Relevanz der gesammelten Informationen oft unklar, die Datenbestände würden mangelhaft gepflegt und es erfolgten kaum Löschungen. Ferner sei der Schutz von Angaben über Minderjährige nicht gewährleistet.

Auch Kelber bemängelte zudem die fehlende Rechtsgrundlage. Durchsetzen konnte der Kontrolleur Vorgaben oder Sanktionen und die Löschung illegaler Dateien aber nicht – dafür fehlten ihm die Befugnisse.

"Sehenden Auges" unternehme die Ampel im MilNW-Fall trotz ihres Versprechens einer umfassenden Geheimdienstreform nichts, kritisieren Ruckerbauer und Wetzling. So habe die SPD-Fraktion 2011 in einem Kundus-Bericht erhebliche Koordinierungs- und Kontrollprobleme rund um den militärischen Nachrichtendienst aufgezeigt, die Regierung und Gesetzgeber lösen müssten.

Die Grünen kritisierten vor ihrer Regierungsbeteiligung, dass das MilNW massenhafte Eingriffe in Grundrechte ohne gesetzliche Basis durchführe. Dieser Zustand sei nicht mit dem Grundgesetz vereinbar und schade dem Vertrauen der Bevölkerung in die Bundeswehr.

Verteidigungsminister Boris Pistorius erklärte dagegen jüngst: Der militärische Nachrichtendienst beziehungsweise das MilNW habe einen Sonderstatus: "Deswegen sehe ich keinen besonderen Regelungsbedarf."

(nen)