Forscher untersucht die unbewussten Visionen der Robotik

Martim Brandão, der sonst Algorithmen entwickelt, hat tausende Studien analysiert, welche Vorstellungen, Visionen und Werte zu Robotern darin enthalten sind.

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Arnold Schwarzenegger verkörperte 1984 eine Zukunftsvision von Robotern.

(Bild: MGM)

Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Hans-Arthur Marsiske

In der Zukunft werden Roboter allgegenwärtig sein – solche und ähnliche Aussagen finden sich häufig in wissenschaftlichen Beiträgen zu Robotik-Konferenzen oder in Fachzeitschriften. Aber woher wissen das die Autoren und Autorinnen? Und welche Konsequenzen haben solche Annahmen für deren Forschung? Diesen Fragen hat sich jetzt eine eigene Studie gewidmet.

Martim Brandão vom King’s College London stellte seine Untersuchungen zu Visionen und Werten, die in vermeintlich rein technischen Studien enthalten sind, auf der Konferenz RO-MAN (International Conference on Robot and Human Interactive Communication) vor. Es sei wichtig, diese Visionen kritisch zu analysieren und gegebenenfalls zu ändern, um die Forschungen zur Robotik besser an den gesellschaftlichen Bedürfnissen auszurichten, erklärte er.

In einem ersten Schritt hat er dafür mehr als 20.000 Studien, die von 1998 bis 2019 auf den größten Robotik-Konferenzen ICRA und IROS präsentiert wurden, sprachlich analysiert. Dabei fand er zum Einen explizit formulierte Visionen einer Zukunft mit Robotern; mit 0,26 Prozent die eingangs zitierte Annahme, dass Roboter den Alltag prägen werden. Sehr viel häufiger aber waren implizite Annahmen: Hier sind Vorstellungen, dass Roboter für die "alternde Gesellschaft" unverzichtbar seien, mit gut 30 Prozent der Spitzenreiter. Voraussagen, dass Roboter immer menschenähnlicher werden, schwingen in knapp 19 Prozent der untersuchten Studien mit, dicht gefolgt von der bereits genannten Allgegenwärtigkeit der Roboter, die implizit in ebenfalls knapp 19 Prozent der Papers behauptet wird.

Neben diesen Zukunftserwartungen fand Brandão auch normative Aussagen über erwünschte Zukünfte. Die waren zumeist in Formulierungen enthalten wie "Damit Roboter lebenslange Gefährten sein können, ist es wichtig, dass…" oder "Um den Einsatz von Robotern auf breiter Ebene zu ermöglichen, …". Am häufigsten fand sich der Wunsch nach der weiten Verbreitung von Robotern. Aber auch die Ersetzung von Menschen durch Roboter wurde vereinzelt positiv bewertet, ebenso das Streben nach einer "effizienteren Gesellschaft".

Bei den Werten, an denen sich die Forscher orientieren, steht "Einfachheit" mit konstant etwa 70 Prozent über den gesamten Untersuchungszeitraum an der Spitze. Erst in den jüngsten Jahren werden "Genauigkeit", "Effizienz" und "Robustheit" ähnlich häufig erwähnt. "Sicherheit" und "Nachhaltigkeit" sind von etwa 20 Prozent im Jahr 1998 auf mittlerweile 40 Prozent gestiegen.

Schließlich hat sich Brandão auch noch angesehen, welche Anwendungen für Roboter genannt werden. Hier stellt der Einsatz im Gesundheitswesen über die gesamten zwanzig Jahre den Spitzenreiter. Die Erwähnung von Rettungsrobotern hat in dieser Zeit konstant zugenommen, in jüngster Zeit haben sich aber autonome Fahrzeuge auf den zweiten Platz geschoben. Daneben fiel Brandão auf, dass Anwendungen generell häufiger genannt würden. Während im Jahr 1998 in 33 Prozent aller Studien irgendwelche Robotikanwendungen erwähnt wurden, waren es im Jahr 2019 bereits 65 Prozent. Die gesamte Robotik habe sich offensichtlich in Richtung anwendungsorientierter Forschung bewegt.

Weitere Berichte von der Konferenz RO-MAN

Da sich viele der Zukunftsvisionen über sprachliche Formulierungen gewissermaßen in die Studien einschleichen, empfiehlt Brandão, in der akademischen Ausbildung mehr Aufmerksamkeit darauf zu legen, etwa in Kursen zum wissenschaftlichen Schreiben. Die zumeist utopischen Visionen, die mehr oder weniger unbewusst die Forschung leiteten und technische Lösungen für soziale Probleme propagierten, sollten zudem gezielt durch Dystopien ergänzt werden.

Visionen unerwünschter Zukünfte seien ebenso wichtig, um die Forschung auszurichten. Brandão ist sich allerdings bewusst, dass Forscher beim Einwerben von Geldern unter dem Druck stehen, rasche und positive Ergebnisse zu versprechen. Aus diesem Grund stünden bislang Werte wie Effizienz und Genauigkeit im Vordergrund, die von der Industrie favorisiert würden – und damit auch von staatlichen Förderprogrammen, denen an Erhalt und Verbesserung der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit gelegen ist. Um bislang vernachlässigte Werte wie Wohltätigkeit, Fairness, Solidarität, Transparenz und Vertrauen stärker zu beachten, sei daher ein Umdenken auf allen Ebenen erforderlich.

(anw)