Forschern fehlen schon jetzt routbare IP-Adressen

Allen Unkenrufen zum Trotz ist die neue Generation von IP, IPv6, unvermeidlich.

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Von
  • Monika Ermert

Allen Unkenrufen zum Trotz ist die neue Generation von IP, IPv6, unvermeidlich. "Sie brauchen es nicht morgen einführen, wenn Ihr IPv4-Netz läuft, lassen Sie es laufen", sagte zumindest Silvia Hagen, Autorin des Standardwerks IPv6 Essentials, am Montag vor Informatikern im Rechenzentrum der Universität Stuttgart. Vertraut machen sollen sich Unternehmen und Wissenschaftler aber schon jetzt mit dem neuen Protokoll, damit man den Umstieg realisieren kann, wenn er notwendig sei, meint Hagen, deren Schweizer Beratungsunternehmen Sunny Connection auf erste Kunden für IPv6-Kurse hofft.

Laut Prognosen der Gartner-Group würden spätestens ab 2006 die IPv4-Netze gegenüber den IPv6-Netzen schrumpfen, betont Hagen. "In Asien dürfte der Zeitpunkt 2006 gekommen sein, in Europa vielleicht ein Jahr später und in den USA vielleicht erst 2008." Die meisten Allokationen für IPv6-Adressen haben bislang in der Tat Europas IP-Verwalter beim RIPE gemacht. Erster großer kommerzieller Anbieter von IPv6-Diensten ist der japanische Telekommunikationsriese NTT. Treibende Kraft für die Einführung von IPv6 in der Schweiz, erklärt Hagen, werde aber gar nicht in erster Linie die Adressknappheit, sondern vielmehr der Bedarf an End-to-End-verschlüsselter Kommunikation sein, die durch dedizierte Adressen und das bei IPv6 integrierte IPSec erleichtert werde.

Direkt betroffen vom Mangel an routbaren Adressen seien allerdings schon jetzt die Forscher, sagte Paul Christ vom Rechenzentrum in Stuttgart. "Für alles, was über die Standardnutzungen hinausgeht, bekommt man einfach keine Adressen mehr", erklärt Christ. Die Stuttgarter experimentieren seit mehreren Jahren innerhalb verschiedener internationaler Projekte vor allem mit der Anwendung von IPv6 in mobilen Umgebungen. Bei "Moby Dick -- Mobility and Differentiated Services in a Future IP Network" wird etwa die komplett auf Ipv6 aufbauende Mobilkommunikation getestet und die Dienste erprobt. Dabei geht es den Forschern vor allem auch darum, ein nahtloses IP-Routing über verschiedene Netztypen vom UMTS-Netzen über den WLAN-Hotspot bis ins Ethernet zu überprüfen. Die Moby-Dick-Kooperationspartner aus ganz Europa präsentieren Mitte November ihre Ergebnisse in Stuttgart. Ähnlich ist auch das Nexus-Projekt der Stuttgarter Informatiker ausgerichtet, in dem darüber hinaus eine netzübergreifende Plattform für mögliche Location Based Services entwickelt werden soll.

Mit dem "Guardian Angels System" haben die Stuttgarter zusammen mit dem Tübinger Uniklinikum und der Firma Ericsson kürzlich auch eine mögliche Praxisanwendung als Zwischenergebnis ihrer Arbeit innerhalb des wie Moby Dick von der EU geförderten IPv6-Forschungsnetzes 6Winit vorgestellt. Dabei wurden Video- und Vitaldaten eines simulierten Tübinger Unfallpatienten noch aus dem Krankenwagen an ein Ärzteteam in Düsseldorf übermittelt. "Letztlich können ein paar Forschungsprojekte allerdings wenig bewirken", sagt Christ. Der Druck werde wohl eher von den Anbietern neuer Mobildienste und durch die explodierende Adressnachfrage in Asien kommen. "In Asien sitzen manche Leute hinter vier oder fünf NATs", bestätigt Hagen. 74 Prozent aller IPv4-Adressen sind an US-Unternehmen und -Institutionen vergeben.

Durch den sparsameren Einsatz von IP-Adressen per Network Adress Translation (NAT) waren ursprüngliche Szenarien zur Vergabe der letzten IPv4-Adressen entschärft worden. Der Einsatz von NAT widerspricht allerdings der von IPv6-Fans mit ins Feld geführten sicheren End-to-End-Kommunikation. Ob man schon auf Grund dieses Prinzips auf IPv6 setzen müsse und ob etwa IPv6 Firewalls unnötig machem werde -- das seien fast schon philophische Fragen, meint Paul Christ. Zunächst einmal werde vor allem die schlechte finanzielle Situation der Telekommunikationsbranche zu einer zögerlichen Einführung von IPv6 beitragen.

Für Grundlagen, Spezifikationen und weitere Berichte zu IPv6 siehe:

(Monika Ermert) / (jk)