Forscherteam knackt verschlĂĽsselte Briefe von Maria Stuart
Maria Stuart verbrachte ihre letzten 19 Jahre in Gefangenschaft. Lange galten 50 verschlüsselte Briefe als verschollen – nun wurden sie gefunden und entziffert.
- Klaus Schmeh
In jedem Standardwerk zur Geschichte der Kryptologie steht: Die schottische Königin Maria Stuart (1542-1587) schrieb und empfing verschlüsselte Briefe. Als Gefangene ihrer Cousine Elisabeth I. von England tauschte sie sich auf diese Weise unter anderem mit Verschwörern aus, die sie befreien und auf den englischen Thron bringen wollten. Dummerweise las Elisabeths Geheimdienst diese Botschaften mit und konnte die Verschlüsselungen knacken. Der geplante Hochverrat brachte Maria Stuart auf das Schafott.
Per Nomenklator verschlĂĽsselt
In einem genau 436 Jahre nach der Hinrichtung erscheinenden Artikel in einer Sonderausgabe der Fachzeitschrift Cryptologia wird diese Episode der Geschichte jetzt weitergeschrieben: Die Dechiffrier-Experten George Lasry (Israel), Norbert Biermann (Deutschland) und Satoshi Tomokiyo (Japan) präsentieren darin über 50 bisher unbekannte verschlüsselte Briefe von Maria Stuart, die sie im französischen Nationalarchiv in Paris entdeckt haben.
Die verschlüsselten Botschaften wurden zwischen 1578 und 1584 verfasst, also während der 19-jährigen Gefangenschaft der Monarchin. Die meisten dieser Schreiben sind an Michel de Castelnau de Mauvissière adressiert, den französischen Botschafter in England. Dass Maria Stuart mit diesem korrespondierte, wussten die Historiker bereits, die Briefe galten jedoch als verschollen.
In monatelanger Arbeit konnten Lasry, Biermann und Tomokiyo die neuentdeckten Briefe entziffern. Maria Stuart nutzte ein Chiffrierverfahren, das damals weit verbreitet war: einen Nomenklator. Er sieht für jeden Buchstaben des Alphabets ein Symbol (beispielsweise eine Zahl oder einen Buchstaben) vor, also beispielsweise A=1, B=2, C=3, D= 4 et cetera. Außerdem gibt es zusätzliche Symbole, die für häufige Wörter stehen, wie LONDON=30 und PARIS=31. Der Ausdruck "von London nach Paris" verschlüsselt sich damit in 22-15-14 30 14-1-3-8 31.
Eine Nomenklator-Verschlüsselung zu knacken, kann schwierig bis unmöglich sein. Allerdings hatte diese Form des Chiffrierens im 16. Jahrhundert noch nicht ihr höchstes Niveau erreicht. Die drei Forscher ermittelten zunächst, dass sie es mit 191 unterschiedlichen Symbolen zu tun hatten – was darauf schließen ließ, dass neben den 26 Buchstaben des Alphabets weit über 100 Wörter mit eigenem Symbol im Spiel waren. Infrage kamen außerdem Homophone (mehrere Symbole, die für den gleichen Buchstaben stehen), Blender (Symbole ohne Bedeutung), Nullifizierer (Symbole, die das vorhergehende Symbol bedeutungslos machen) und Wiederholer (Symbole, die das vorhergehende Symbol wiederholen).
Mit Hill Climbing zum Erfolg
Zum Knacken der Chiffre nutzten Lasry, Biermann und Tomokiyo eine Methode, die sich längst als Superalgorithmus zum Lösen historischer Verschlüsselungen etabliert hat: Hill Climbing. Dieses Verfahren sieht einen Ablauf vor, der mit einem geratenen Schlüssel beginnt und anschließend hundertfach wiederholt wird. Der aktuelle Schlüssel wird per Zufall geringfügig geändert, anschließend wird damit der Geheimtext entschlüsselt; sieht der Klartext nun eher nach sinnvoller Sprache aus als in der vorhergehenden Runde (für einen solchen Test gibt es statistische Verfahren), dann behält man den Schlüssel bei, ansonsten wird der alte Schlüssel wiederhergestellt. Dieses Procedere wiederholt sich so lange, bis sich das Testergebnis für den Klartext nicht mehr verbessert. Wenn man Glück hat, handelt es sich beim Ergebnis um die korrekte Entschlüsselung – falls nicht, beginnt man wieder von vorne.
Mit Hill Climbing hat Hauptautor George Lasry in den letzten Jahren schon so manche knifflige Verschlüsselung geknackt – unter anderem im Rahmen des für diesen Zweck gegründeten Wissenschaftsprojekts DECRYPT. "Bei einem Nomenklator funktioniert diese Methode jedoch nur bedingt", berichtet der Informatiker. "Immerhin gelang es uns damit, die Buchstaben im Nomenklator zu identifizieren und zu entschlüsseln." Für die Wörter, die ein eigenes Symbol haben, war dagegen Handarbeit gefragt – doch auch dies gelang. Den rekonstruierten Nomenklator zeigt die Abbildung.
John Guy, einer der führenden Maria-Stuart-Experten, sagte zu diesem Dechiffrier-Erfolg: "Diese Entdeckung ist eine literarische und historische Sensation. Dies ist der wichtigste neue Fund zu Maria Stuart der letzten 100 Jahre." Die entschlüsselten Briefe liefern zahlreiche neue Informationen zur Gefangenschaft Maria Stuarts. Beispielsweise suchte sie 1582 Unterstützer in Frankreich für ihren Sohn James: Er wurde als 16-jähriger von Aufständischen entführt und fast ein Jahr lang gefangen gehalten. Französische Gesandte versuchten, durch Verhandlungen die Freilassung zu erreichen, was aber nicht gelang. Die Gesandten waren nicht darauf eingerichtet, Gewalt anzuwenden. Eine genaue Auswertung der über 50.000 Wörter ist nun Aufgabe der Historiker. Derweil arbeiten die drei Autoren schon an nächsten Aufgabe. George Lasry berichtet: "Es könnte durchaus sein, dass noch weitere verschlüsselte Briefe von Maria Stuart existieren. Wir sind auf der Suche."
(fo)