Antarktis-Entstehung: "Das krempelt unser Wissen komplett um"

Ein Forschungsteam hat eine überraschende Erkenntnis aus einem Bohrkern gezogen: Die Westantarktis ist jünger als gedacht – und bis heute hitzeempfindlicher.

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Das Forschungsschiff Polarstern vor einem Eisberg in der Pine Island-Bucht

Mit der Polarstern nahmen die Forschenden vor einem Eisberg in der Pine Island-Bucht eine Bodenprobe.

(Bild: Alfred-Wegener-Institut / Johann)

Lesezeit: 4 Min.
Inhaltsverzeichnis

Das Eis in der Westantarktis scheint stärker auf die globale Erwärmung zu reagieren als der Eisschild im Osten. Ein internationales Forschungsteam unter Leitung des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), führt dies auf die Ursprünge des Eises zurück: Laut einer neuen Studie ist die Antarktis anders vereist als bisher angenommen. Demnach ist der Eisschild im Westen rund sieben Millionen Jahre jünger als der östliche Teil.

Im Zuge einer Klimaveränderung vor rund 34 Millionen Jahren begann die Antarktis zu vereisen. Die Erde veränderte sich damals von einem Treibhaus mit nur wenigen Eisflächen zu einem "Eishaus mit dauerhaft vergletscherten Gebieten", schreibt das Team, das seine Ergebnisse in der Zeitschrift Science veröffentlicht hat. Wie, wann und von wo aus sich das antarktische Eisschild aufbaute, sei bisher nicht genau zu beantworten gewesen.

Die Forscher analysierten einen Bohrkern, den sie bereits 2017 auf der Expedition PS 104 mit dem Forschungseisbrecher Polarstern vor dem westantarktischen Pine Island und Thwaites Gletschern gezogen haben. Dafür setzten sie ein spezielles Bohrgerät – das Marum-Mebo70 – ein. Das am Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen (Marum) entwickelte Gerät wird von einem Schiff auf den Meeresboden gesetzt und kann rund zehn Meter in den Boden bohren. Für konventionelle Bohrverfahren ist der Meeresboden an dieser Stelle bisher zu verdichtet gewesen.

Das Bohrgerät Marum Mebo70 ermöglichte den Forschenden während der Polarstern-Expedition erstmals, einen Bohrkern aus zehn Metern Bodentiefe zu ziehen.

(Bild: Grafik: MARUM / Martin Künsting)

Während der antarktischen Erstvereisung vor etwa 34 Millionen Jahren habe es in der Region des Bohrkerns offenbar noch anders ausgesehen. Die Forschenden fanden keine Spuren von Eis. "Somit muss eine großräumige, dauerhafte Erstvergletscherung irgendwo in der Ostantarktis begonnen haben", schlussfolgert Dr. Johann Klages, Geologe am AWI, der das Forschungsteam leitete. Statt glitzernder Eisschichten bedeckten offenbar Laubwälder die Westantarktis. Das kühl-gemäßigte Klima habe verhindert, dass sich dort Eis bildete.

Computersimulationen und "aufwendige Modellierungsarbeiten" untermauerten die These der Forscherinnen und Forscher: Sie verknüpften die neuen und bereits bekannte Daten zu Luft- und Wassertemperaturen mit dem Vorkommen von Eis. "Das krempelt unser Wissen um die antarktische Erstvereisung komplett um", sagt Gerrit Lohmann, Paläoklima-Modellierer am AWI.

Direkt an der Eiskante des Thwaites-Gletschers zog das Team den Bohrkern während der Polarstern-Expedition PS104.

(Bild: Marcelo Arevalo / Alfred-Wegener)

Lediglich in der Küstenregion des Nördlichen Viktorialandes in der Ostantarktis sei das Klima passend gewesen, sodass sich dauerhaftes Eis bilden konnte. "Hier sind feuchte Luftmassen auf ein sich intensiv hebendes Transantarktisches Gebirge gestoßen – ideale Bedingungen für dauerhaften Schnee und in der Folge für die Bildung von Eiskappen", schreiben die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen. Der Eisschild habe sich von dort aus ins ostantarktische Hinterland weiterentwickelt. Die Westantarktis hingegen blieb noch sieben Millionen Jahre eisfrei, bis auch hier das Klima zuließ, dass die Gegend ebenfalls vereiste.

Hanna Knahl, Paläoklimamodelliererin am AWI, erklärt: "Unsere Ergebnisse machen deutlich, wie kalt es erst werden musste, um den Eisvorstoß in die Westantarktis zu bringen, die bereits in vielen Teilen unterhalb des Meeresspiegels lag." Die Ergebnisse verdeutlichten ebenfalls, dass der Ost- und der Westteil des antarktischen Schildes schon zu ihrer Entstehungszeit unterschiedlich auf äußere Einflüsse und klimatische Veränderungen reagierten: Schon eine leichte Erwärmung bringe das westliche Eis zum Schmelzen – ein Phänomen, das Wissenschaftler in den vergangenen Jahren bereits beobachtet haben.

Szene im Kontrollcontainer des MARUM-MeBo70 während der Bohrung des Kerns.

(Bild: IODP / Thomas Ronge)

Die Ergebnisse des Teams ermöglichten ein besseres Verständnis des Klimaübergangs vor 34 Millionen Jahren. "So können Klimamodelle nun sehr viel genauer greifen, welche Auswirkungen permanent vergletscherte Bereiche auf die globale Klimadynamik, also die Wechselwirkungen zwischen Eis, Ozean und Atmosphäre haben", erklären das AWI-Team. Johann Klages sieht eine enorme Bedeutung in den Erkenntnissen. "Vor allem vor dem Hintergrund, dass uns in naher Zukunft wieder eine solch fundamentale Klimaänderung bevorstehen könnte."

Das Forschungsteam bestand aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Alfred-Wegener-Instituts, Helmholtz-Zentrum für Polar und Meeresforschung (AWI), dem British Antarctic Survey, der Universität Heidelberg, der britischen Northumbria University, dem MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften der Universität Bremen und weiteren Partnern der Universitäten Aachen, Leipzig, Hamburg, Bremen und Kiel, der University of Tasmania (Australien), dem Imperial College London (UK), der University of Leicester (UK), der Université de Fribourg (Schweiz), der Universidad de Granada (Spanien), der Texas A&M University (USA), Senckenberg am Meer und der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover.

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(are)