Fußball-WM: Holzhütte sei wachsam

Auf dem Münchener Messegelände hat das International Broadcast Center seine Arbeit aufgenommen, das wichtigste Sportereignis dieses Jahres für die ganze Welt sichtbar und hörbar zu machen.

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Von
  • Detlef Borchers

Mit der Einweihung eines 11,3 Tonnen schweren Steinfußballs als "WM-Brunnen" durch Franz Beckenbauer auf dem Münchener Messegelände hat das International Broadcast Center (IBC) offiziell seine Arbeit aufgenommen. Es wird die Medienströme verwalten, die zur Fußball-Weltmeisterschaft alle Übertragungen aufsummiert 32 Milliarden Zuschauer erreichen sollen – auf dem Fernseher, im Radio, dem Mobiltelefon oder eben dem Internet. Im 15 Millionen Euro teuren IBC laufen die Signale von allen Spielstätten zusammen, werden geschnitten oder gemischt, zusammengesetzt, komprimiert und an die Radio- und Fernsehanstalten, an die Internet-Provider und an die Mobilfunk-Provider weitergereicht.

Der äußere Anschein der Medienzentrale ist nüchtern. Holzhütte an Holzhütte reihen sich die Studios in den weitläufigen, auf 16 Grad heruntergekühlten Messehallen aneinander. Auf 30.000 Quadratmetern stehen die unterschiedlichsten Holzhütten in den Hallen herum, eine jede über einen dicken Rüssel mit dem System der Klimaanlagen auf dem Dach verbunden. Diese pumpen eine Million Kubikmeter Kühlluft in der Stunde in die Hallen. Die größte Hütte ist acht Meter hoch und nimmt 950 Quadratmeter ein. Sie wird vom mexikanischen Fernsehen benutzt, das eine 24-stündige WM-Dauersendung produzieren will, komplett mit einem Küchenstudio, in dem deutsche Spezialitäten zubereitet werden. Die zweitgrößte bewohnt der mexikanische Konkurrenzkanal. Der größte öffentliche Platz inmitten all der Holzbauten liegt direkt neben dem HD-Cinema, einer Hütte, in der man das unkomprimierte HDTV-Signal genießen kann: Ein idyllisches bayerisches Alpenpanorama aus Sperrholz komplett mit Maibaum und Biergartenatmosphäre soll den ausländischen Besuchern zeigen, was Deutschland ist. Entsprechend lautet die in den Himmel gepinselte Web-Adresse "www.bayern.by". Wenn das Bier des amerikanischen WM-Sponsors nicht wäre, könnte man die Illusion gelungen nennen.

Nach der WM wird das Bauholz in 60 Einfamilienhäusern ein neues Zuhause finden. Doch nicht nur die Fernseh-Studios sind in den schalldämmenden Holzhütten untergebracht, auch die Netzwerkadministratoren, die Supportspezialisten und die Bandbreitenjockeys sitzen dort, bereit, beim kleinsten Fehler einzuspringen. 4080 Gigabit/s sollen aus einem Stadion angeliefert werden, bei wichtigen Spielen laufen dabei bis zu 50 Signale nach München. Das FIFA-Netz mit 4500 Terminals wird hier ebenso gemanagt wie das VoIP-Telefonnetz der Organisation. Einträchtig sitzen die Mannschaften von Avaya und T-Systems Hütte an Hütte und wachen über die separaten Server-Holzhütten. Diese werden noch einmal gesondert gekühlt und außerdem mit reduziertem Sauerstoff als zusätzlichem Brandschutz betrieben. Wer hier arbeitet, muss zuvor ein Höhentraining absolviert haben und die entsprechenden ärztlichen Atteste vorweisen können.

Zu den Hüttenbewohnern gehört Host Broadcast Services (HBS), eine Tochter des Rechtevermarkters Infront, ohne den in der WM gar nichts geht. Infront, die Firma von Günter Netzer, an der Adidas und Scheich Saleh Kamel die Hauptanteile halten, bildet gewissermaßen den rasenergänzenden Bodenbelag der gesamten WM. Was immer Bild und Ton hat, muss von Infront kommen und wird von HBS mit jeweils 25 HD-Kameras und vielen Mikrofonen in den Stadien aufgenommen. Einen eigenständigen Bereich bilden darum die New Media-Hütten, die aus dem HD-Signal das Sendematerial erzeugen. Hier sitzen Techniker an Großbildschirmen und schneiden mit der Maus und einer Art Lupenfunktion aus den Spielen die Szenen für mobile Gucker heraus. Dieses Material wird aufgearbeitet und mit einer Verzögerung von 20 Sekunden bis zwei Minuten als "Near Live"-Signal für DVB-H und DMB über spezielle Videoserver auf IP-Basis an die Mobilfunkprovider geschickt, die diesen Service von der Verwertungsagentur Infront gekauft haben. Ähnliches gilt für den Internet-Feed, den etliche Zeitungen und Sendeanstalten gekauft haben. In zwei Hütten hat Infront Verkaufstresen eingerichtet, hier können die Sender nach Bedarf aktuell Ton oder Bild für die unterschiedlichsten Medien zukaufen.

Da alle Bildrechte bei Infront liegen, wird die Firma in die Stadien zu den Spielen wachsame Emissäre schicken, die darauf achten, dass keine unautorisierten Bilder gemacht werden. Erinnerungsfotos aus der kleinen Digitalknipse oder dem Handy werden toleriert, doch Kameras in der Größe von Spiegelreflexsystemen sind verboten, ebenso Camcorder. Das hat primär mit den Sicherheitsauflagen zu tun, die das Mitbringen jegliche Form von Wurfgeschossen von der Kamera bis zur Pet-Flasche untersagt. Das kommt Infront zu Gute: Die Emissäre im Stadion müssen nur noch darauf achten, dass niemand mit dem Handy Videoaufzeichnungen macht. Natürlich hat man auch ein Auge auf das Internet. Vorsorglich haben die Infront-Anwälte von der Großkanzlei Baker McKenzie alle europäischen Internet-Provider angeschrieben, dass sie doch bitte darauf achten müssen, keine unlizenzierten Inhalte im Netz zu veröffentlichen. Andernfalls werden sie in Grund und Boden geklagt. Der Geist der Holzhütten weht auch im Internet. (Detlef Borchers) / (ad)