"Sportswashing": Saudi-Arabien will "globales Zentrum" für Gaming werden

Fast 40 Milliarden US-Dollar vom Staat sollen Saudi-Arabien bis 2030 zum "ultimativen globalen Zentrum" für Games machen. Die Bundesregierung spart dagegen.

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Gamer beim E-Sport

(Bild: Yaroslav Astakhov/Shutterstock.com)

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Wenn Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Mittwochabend die Gamescom in Köln offiziell eröffnet und damit zum ersten Mal die Branchenmesse besucht, wird er den bohrenden Fragen nach der Zukunft der staatlichen Förderung von Computerspielen kaum ausweichen können: Ende 2022 sicherte der Bundestag nach einigem Hin und Her 70 Millionen Euro Fördergelder für Games zu, nachdem die veranschlagten Haushaltsmittel in Höhe von 50 Millionen vorzeitig aufgebraucht waren. 2024 sollen es laut der Bundesregierung nun 48,7 Millionen Euro sein. Der Game-Verband der deutschen Branche hält dagegen 125 Millionen Euro für nötig, um überhaupt wieder Förderanträge annehmen zu können.

Mit Millionen hält sich der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman dagegen gar nicht auf: Er hat schon vorigen September angekündigt, dass das Königreich auf der arabischen Halbinsel rund 39 Milliarden US-Dollar ausgeben will, um bis 2030 zum "ultimativen globalen Zentrum für Gaming und E-Sports" zu werden. Das darin steckende "noch unerschlossene Potenzial" solle helfen, die Wirtschaft des mit der Ölförderung reich gewordenen Landes zu diversifizieren. Dafür sorgen wird dem Plan nach die Savvy Games Group. Sie gehört dem 700 Milliarden US-Dollar schweren Staatsfonds Saudi-Arabiens und wird von Brian Ward, einem Branchenveteran, geleitet. Das Unternehmen soll die vorgesehenen Milliarden investieren und so helfen, in den nächsten sieben Jahren 250 lokale Firmen zu gründen und 39.000 Arbeitsplätze zu schaffen.

Das Programm von Savvy sieht etwa 18,7 Milliarden US-Dollar vor, um Aktien von einer Reihe von Schlüsselunternehmen zu kaufen. Für 13,3 Milliarden US-Dollar will Saudi-Arabien einen führenden Gaming-Publisher erwerben und sich damit strategisch aufstellen. 5,3 Milliarden US-Dollar sollen in Industriepartner fließen, etwa 533 Millionen in "disruptive Firmen".

Den Worten folgen inzwischen Taten. Im Februar wurde der saudische Fonds zum größten externen Investor von Nintendo. Anfang Juli schloss das Unternehmen den Kauf von Scopely, dem Schöpfer von "Monopoly Go", "Star Trek Fleet Command" und "Marvel Strike Force", im Wert von 4,9 Milliarden US-Dollar ab. Ebenfalls im vorigen Monat veranstaltete das Königreich das Turnier Gamers8 mit einem Rekordpreisgeld von insgesamt 45 Millionen US-Dollar. Bereits Anfang 2022 hatte Savvy bekannt gegeben, sich das deutsche E-Sports-Unternehmen ESL für 1,05 Milliarden US-Dollar einverleibt zu haben. Es gilt als wichtigster Veranstalter von E-Sports-Events wie Dreamhack und Intel Extreme Masters.

Der 37-jährige bin Salman gilt selbst als eifriger Gamer. Er sieht den Vorstoß ins Gaming als Teil der Vision 2030, seines ehrgeizigen Vorhabens, die Wirtschaft des Königreichs zu sanieren, seine Abhängigkeit vom Öl zu verringern und seiner jungen Bevölkerung interessante Arbeitsmöglichkeiten und Entertainment zu bieten. Doch der Einstieg in die Welt der Computerspiele hat ähnliche Gegenreaktionen ausgelöst wie schon bei Fußball und Golf: Kritiker werfen den Saudis und dem Kronprinzen "Sportswashing" vor. Bin Salman gilt als Drahtzieher hinter der Ermordung des Washington-Post-Kolumnisten Jamal Khashoggi vor drei Jahren.

Der Staat versuche, über Menschenrechtsverletzungen hinwegzutäuschen und seinen Ruf reinzuwaschen, moniert nicht nur Amnesty International. Wie bei den alten Römern werde Sport auch als Bühne genutzt, um Reichtum und Macht zu demonstrieren, erklärte Joost van Dreunen, Professor an der New York University, gegenüber dem Sender ABC. Man müsse sich aber die Frage stellen: "Wer ist der Architekt dahinter und was sind die Absichten?"

Das zunehmende Engagement autokratischer arabischer Staaten hat in der Gaming-Community zu Debatten geführt. Riot Games, der Entwickler des Multiplayer-Kampfspiels "League of Legends", und der dänische Turnierveranstalter Blast Premier kündigten 2020 beide ihre Partnerschaften mit Saudi-Arabien nach einem Aufschrei der Fans. Anschließend veranstaltete Blast sein Weltfinale in Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate, was zu ähnlicher Kritik führte. Die große E-Sports-Organisation Team Liquid gab im Dezember bekannt, dass sie die Hälfte ihrer Gewinne aus den jüngsten Wettbewerben in Saudi-Arabien und den Vereinigten Arabischen Emiraten an eine Organisation spenden wird, die LGBTQ+-Personen dabei hilft, Gewalt und Verfolgung zu entkommen. In beiden Ländern wird Homosexualität strafrechtlich verfolgt. Experten gehen aber davon aus, dass die Szene mittelfristig der Spur des Geldes folgt.

Auch China setzt nach einem harten Durchgreifen der kommunistischen Regierung aufgrund befürchteter Spielsucht wieder stärker auf den Wachstumsmarkt Gaming. Die Zahl der Videospielspieler ist dort auf den weltweiten Rekordwert von 668 Millionen gestiegen, teilte der staatliche Verband der Spieleindustrie CGIGC im Juli laut der Nachrichtenagentur Reuters mit. Ende Juni sei damit etwa die Hälfte der Bevölkerung zumindest zeitweilig am Daddeln gewesen. Der Umsatz des inländischen Marktes für Computerspiele habe im ersten Halbjahr 2023 umgerechnet rund 20 Milliarden US-Dollar erreicht. Die Gaming-Einnahmen sind aber noch nicht wieder auf dem Niveau vor dem Crackdown. Im April 2022 hatte China erstmals seit über 260 Tagen wieder neue Lizenzen für Videospiele ausgestellt.

Hierzulande machen Bundespolitiker der Branche derweil wenig Hoffnung auf mehr Geld vom Staat. Nur Subventionen schüfen keine Ideen für eine gute Geschichte in einem Computerspiel, betonte der gamespolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Reinhard Houben, gegenüber der Agentur dpa. Zugleich verwies er auf den bürokratischen Aufwand von Förderprogrammen. Auch der Grünen-Abgeordnete Maik Außendorf und seine SPD-Kollegin Anna Kassautzki blieben vage. Die Ampel-Koalition hat sich prinzipiell vorgenommen, den Games-Standort zu stärken und die Förderung in Höhe von mindestens 50 Millionen Euro pro Jahr zu "verstetigen". Der Game-Verband ruft nun dazu auf, Wissenschaft, Forschung und Lehre in dem Bereich zu stärken und etwa eine "Games-Universität" zu gründen. Solche Einrichtungen könnten zu einem Magneten für internationale Fachkräfte werden.

(mack)