Kanada: "Das GefĂĽhl von Patriotismus ist fast greifbar"
Zwischen Handelskrieg und Drohungen aus Amerika präsentierte sich Kanada auf der Hannover Messe. Wie orientieren sich kanadische Aussteller?

Der Messestand Kanadas auf der Hannover Messe
(Bild: Deutsche Messe AG)
Inmitten von Annexionsdrohungen und einem Handelskrieg vonseiten der USA ist Kanada Partnerland der Hannover Messe. Auf der Industriemesse präsentierten sich hunderte kanadische Firmen, Bildungseinrichtungen und Organisationen. Dazu gehören mit Nordspace ein Weltraumunternehmen, welches eine rein kanadische Trägerrakete entwickelt, und die University of Toronto, die sich stärker auf Europa ausrichtet.
Souveränität im Weltraum
Als einziger G7-Staat steht Kanada ohne eine Trägerrakete oder ein Programm für die Entwicklung da und ist so für den Start von Satelliten und anderen Nutzlasten ins All von anderen Ländern und deren Wohlwollen abhängig. Diese Abhängigkeit hatte für Kanada bereits konkrete Auswirkungen. Der Erdbeobachtungssatellit RADARSAT-2 wurde 2007 erst mit vier Jahren Verspätung durch eine russische Trägerrakete ins All gebracht, nachdem US-amerikanische Sicherheitsbehörden den Start auf einer US-Rakete aufgrund von "Bedenken der nationalen Sicherheit" wegen des Radars des Satelliten verhinderten.
Mehrere kanadische Weltraumunternehmen sind bestrebt, diese Abhängigkeit zu brechen. Eines davon, und auf der Hannover Messe vertreten, ist Nordspace. Die Firma entwickelt die Trägerrakete Tundra, die zu der Klasse der "Small lift launch vehicles" gehört. Mit einer angestrebten Kapazität von 500 kg eignet sich die Rakete für kleine Satelliten und andere Nutzlasten, für RADARSAT-2 wäre sie aber zu schwach. Zu dieser Klasse von Raketen zählt auch die Spectrum von Isar Aerospace, welche Ende März erstmals startete.
Nur die Rakete zu bauen, reicht aber nicht, denn ohne einen geeigneten Startplatz kann sie nicht ins All gebracht werden. Die geschäftigsten Startplätze befinden sich in den USA und Russland, beides Nationen mit inzwischen schlechten Beziehungen zu Kanada. Nordspace könnte nun davon profitieren, denn sie planen den Bau und Betrieb eines Startplatzes auf Neufundland an der Ostküste Kanadas. Der erste Spatenstich soll noch 2025 erfolgen.
(Bild: Nordspace / Vimeo, Screenshot: heise online)
Weil Kanada so weit nördlich liegt, sind die üblichen Satellitenstarts in Umlaufbahnen über dem Äquator unpraktisch – der Treibstoffverbrauch der Rakete wäre zu hoch. Dementsprechend liegt der Fokus auf polaren Orbits, die in Nord-Süd-Ausrichtung verlaufen. Sämtliche Komponenten des Weltraumprogramms sollen innerhalb der Landesgrenzen und unter kanadischer Kontrolle bleiben. Neben sicherheitspolitischen Aspekten würde dies Industriejobs in Kanada generieren.
Partners in Science
Angesichts der sich rapide verschlechternden Beziehungen zu den USA rückt für Kanada, neben der eigenen Rakete, die Vertiefung transatlantischer Verbindungen in den Fokus, besonders mit der EU. Große Fortschritte wurden hier bereits in der Forschung gemacht. Das Land trat im Januar 2024 dem EU-Forschungsprogramm Horizon Europe bei und kann so Mittel aus einem Topf von 53 Milliarden Euro beantragen. Dies gilt auch für Kanadas größte Universität, die University of Toronto. Sie war ebenfalls auf der Hannover Messe vertreten.
"Europa ist Kanadas wichtigster VerbĂĽndeter"
Sindhu Menon, University of Toronto
Sindhu Menon koordiniert an der Universität Kooperationen mit Unternehmen und anderen Forschungseinrichtungen. "Wir freuen uns sehr über den Beitritt zu Horizon Europe", sagt Menon. Europa habe sich zu Kanadas wichtigstem Verbündeten entwickelt. Sie betont, wie wichtig der Einstieg in das Programm für die Entwicklung neuer Partnerschaften sei. Konkret bedeutet dies für die Universität, dass ein eigenes Büro für die Bewerbung auf Förderungsgelder und die Koordination mit europäischen Partnern eingerichtet wurde. Verbindungen nach Deutschland bestehen unter anderem zur Fraunhofer-Gesellschaft und dem Karlsruher Institut für Technik.
Kanada ist bereits ein sehr beliebtes Ziel für internationale Studenten. Die Festnahmen ausländischer Studenten und der Widerruf hunderter Visa in den USA würden dieses Phänomen nur noch verstärken, bestätigt Ali Dolatabadi, Professor an der Universität. Bereits jetzt fülle sich sein E-Mail-Postfach mit Anfragen internationaler Studenten, auch aus Europa. "Es gibt viele Gemeinsamkeiten in der Kultur und demokratischen Werten mit Europa" unterstreicht Dolatabadi. Er sieht aber auch Unterschiede in der Forschung zwischen Kanada und der EU. So würden Unternehmen in Kanada viele Forschungsprojekte finanzieren, während in Europa mehr über nationale Förderung liefe.
"Das Gefühl von Patriotismus ist fast greifbar", sagt Menon. Sie sieht ein Umdenken in der Mentalität vieler Kanadier, hin zu mehr Stolz auf eigene Errungenschaften. Im Gespräch wurde aber auch deutlich, wie sehr Kanada die EU als Partner wertschätzt und auf weitere Partnerschaften hofft. Vielleicht wurden einige schon im Rahmen der Messe abgeschlossen.
(acha)