Geheimakte BND & NSA: Achtung, Freund hört mit

Seite 3: Jäger und Sammler im Verborgenen

Inhaltsverzeichnis

Ex-BND-Chef Gerhard Schindler identifizierte nach Pauland vor den Abgeordneten Fehler im Umgang mit den NSA-Zielvorgaben. Ihm habe aber die Fantasie gefehlt, Betrug zu wittern. "Die Überprüfung der Selektoren war von Beginn an unvollständig", benannte er die "Erbsünde" in der Affäre. Bei der ersten Kontrolle der Merkmale im April 2005 sei nur geschaut worden, ob die Vorgaben zum Schutz deutscher Bürger im Einklang mit dem Fernmeldegeheimnis gewahrt würden. Später sei das fehlerhafte händische Kontrollverfahren der Ziellisten 2008 "verfestigt" worden, als das Filtern in einen automatisierten elektronischen Prozess überführt wurde. Letztlich sei er "leider" nicht über die ersten "systematischen" Sonderprüfungen der Selektoren im August 2013 unterrichtet worden.

Thomas de Maizière

(Bild: heise online/Stefan Krempl)

Große Folgen habe das Einspielen von Merkmalen, die gegen europäische Interessen verstießen, in der Dienststelle Bad Aibling aber nicht gehabt, meinte Schindler. Die dortigen Systeme zum Abschnorcheln von Satelliten seien auf "Krisengebiete" wie Afghanistan ausgerichtet. Dort sei es aber schwer, Abhörziele aus Europa zu finden.

Seit 2008 seien abgelehnte Selektoren in eine "Ablehnungsdatei" aufgenommen worden, erläuterte der frühere Fallschirmspringer. Deren Zweck sei es, ein erneutes Einspielen der Ziele zu verhindern. Im August 2013 seien zusätzliche Suchvorgaben in diese Datenbank aufgenommen worden. Diese Liste habe ein Kollege von ihm am 6. März 2015 erstmals ausgedruckt und auf sein Geheiß hin im Bundeskanzleramt präsentiert, noch bevor er sie selbst zu Gesicht bekommen habe. Ihn habe parallel die Bitte erreicht, ebenfalls in die Regierungszentrale zu kommen. Überrascht hat Schindler nach eigener Aussage vor allem die Größe der Ablehnungsliste. Deren Struktur und das Verfahren, wie die Datei "gefüttert" wurde, sei ihm erst Tage später bekannt geworden.

Die umstrittenen Selektoren hätten nicht "durchgeknallte BND-Leute" einfach in die Abhörsysteme eingestellt, unterstrich der 64-Jährige bei seiner dritten Vernehmung Anfang 2017. EU-Länder hätten sich teils auch schon im Auftragsprofil der Behörde befunden. Er habe zudem den damaligen Kanzleramtsleiter Ronald Pofalla gleich nach der Ansage von Regierungschefin Angela Merkel (CDU) im Oktober 2013, dass Ausspähen unter Freunden gar nicht gehe, über erste kritische Funde unter den NSA-Suchmerkmalen informiert. Mit diesem Gespräch sei für ihn gemäß dem Motto "Melden macht frei" das Thema zunächst mehr oder weniger erledigt gewesen.

Das gewaltige Ausmaß der Selektoren der US-Seite, die gegen deutsche Interessen verstießen, war Schindler zufolge damals noch nicht absehbar. Er habe daher zunächst in Absprache mit Pofalla eine mündliche Weisung erteilt, gegen die Merkel-Parole verstoßende BND-Zielvorgaben zu deaktivieren. Bei der damit ausgelösten Säuberungsaktion seien "sukzessive tausende Selektoren gelöscht worden". Parallel sei ab einer gewissen Phase eine "Quarantäneliste" für faule NSA-Suchmerkmale erstellt worden, über die er ebenfalls hin und wieder im Kanzleramt berichtet habe.

Der ganze Umfang der vom BND aufgrund der NSA-Vorgaben ausgeforschten Ziele wurde laut dem Verwaltungsjuristen erst ersichtlich, als die zuständige BND-Abteilung Technische Aufklärung die Ablehnungsliste im März 2015 aufgrund eines Beweisbeschlusses des Ausschusses ausdruckte. Erst danach habe sich der neue Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) bei einem Besuch in Pullach über die Selektorenmisere aufklären lassen. Vorher habe er mit diesem nicht speziell darüber gesprochen, gab Schindler zu Protokoll. Er habe angenommen, dass dessen Mitarbeiter ihn bereits informiert hätten.

"Erst nachdem wir die Dimension der abgelehnten NSA-Selektoren gesehen hatten", war Schindler auch klar, dass der Vorfall dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) berichtet werden müsse. Dies habe er im Frühjahr 2015 dann unternommen, wobei er bei einem zweiten Termin erstmals auch das "Sonderproblem" der vom BND mit eigenen Merkmalen "gesteuerten" Freunde und Partner erwähnt habe. Nachfragen habe es dazu aber zunächst nicht gegeben; erst Monate später setzte das Gremium dazu eine gesonderte "Task Force" ein.

Während Schindler letztlich die Verantwortung für Fehler beim BND während seiner Zeit an der Spitze übernahm, wollten Bundesinnenminister Thomas de Maizière und sein Kollege im Auswärtigen Amt, Frank-Walter Steinmeier, im Untersuchungsausschuss nichts vergleichbares tun. Tenor ihrer Aussagen war, dass sie über das Ausmaß der BND-Spionage nicht im Bilde gewesen seien und sie die Fehler bei der heiklen Kooperation mit der NSA nicht erreicht hätten.

So bezeichnete de Maizière Geheimdienste als "Jäger und Sammler", die bei ihren Tätigkeiten "nicht gerne gestört werden". Ihre Neigung, schon im eigenen Haus auf unübliche Vorkommnisse hinzuweisen, sei geringer ausgeprägt als in anderen Behörden. Das Prinzip, nur die allernötigsten Informationen weiterzugeben, "erschwert die strukturelle Aufsicht".

Ex-BND-Präsident Ernst Uhrlau hatte kurz vor der Vernehmung des Innenministers zu Protokoll gegeben, dass in höchsten Kreisen bereits 2006 die Missbrauchsversuche erörtert worden seien und auch der damalige Kanzleramtschef de Maizière eingebunden gewesen sei. Uhrlau habe allgemeine Bedenken vorgebracht und vor Übergriffsmöglichkeiten im Sinne von "Vorsicht vor Mehr" gewarnt, erinnerte sich dieser. Um Selektoren sei es nicht gegangen. Die Suchmerkmale seien ihm erst 2013 oder 2014 "begegnet", als er sich auf ein Gespräch mit seiner britischen Kollegin vorbereitet habe.

Nicht immer, wenn ein Unternehmen von Geheimdiensten beobachtet werde, handele es sich um Wirtschaftsspionage, befand de Maizière. Hier würden "Begrifflichkeiten gelegentlich durcheinandergebracht". So sei es "unsere verdammte Pflicht", die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen zu bekämpfen. Es sei selbstverständlich, dass auch die NSA Proliferation aufkläre oder einzelne Firmenmitarbeiter überwache, wenn diese in Terrorverdacht gerieten. Es gebe aber nach wie vor keinerlei Hinweise, dass der US-Dienst Betriebe ausspähe, um heimischen Unternehmen Wettbewerbsvorteile zu verschaffen.

Schon vor Snowden war laut de Maizière allgemein bekannt, dass "Interessen amerikanischer Nachrichtendienste" nicht immer mit den deutscher deckungsgleich seien. Für die US-Community sei das Sammeln von Informationen "wertneutral" und erfolge unabhängig davon, ob es sich auf das "Handy von Merkel oder Müller" beziehe. Es gebe auch berechtigte Zweifel, ob die NSA dem Anspruch immer gerecht geworden sei, "Maß und Mitte" beachtet zu haben.

Steinmeier wusch seine Hände im März 2016 im Ausschuss ebenfalls in Unschuld. Er sei "gelinde gesagt überrascht" gewesen über Berichte, dass der Auslandsgeheimdienst befreundete Regierungsstellen und andere Einrichtungen in Europa und Drittstaaten ausgespäht habe, erklärte der Sozialdemokrat. Er habe nie Informationen erhalten, dass der BND Dinge außerhalb seines Auftrags aufgeklärt habe.

"Der politische Schaden einer Spionage gegen befreundete Regierungen übertrifft deutlich deren Nutzen", machte Steinmeier klar. Die unterschiedlichen Positionen seien in diesem Rahmen "eh bekannt, "dafür brauche ich keine geheimdienstlichen Vorhaltungen".

Ebenso unerwartet habe er kürzlich hören müssen, dass Internet-Suchbegriffe der NSA bei der umstrittenen Kooperation zur Telekommunikationsaufklärung mit dem BND sogar gegen deutsche Botschaften gerichtet gewesen sein sollten, gab der langjährige Chef des Bundeskanzleramts an. Wenn es solche Versuche gegeben habe, handele es sich um einen "inakzeptablen Verstoß" gegen die Vereinbarung zur Zusammenarbeit mit der NSA von 2002 in Form des MoA. Er beteuerte, noch nie einen Selektor der NSA oder gar eine ganze Liste davon gesehen zu haben.

Mit den Snowden-Enhüllungen hätten wir dann "einiges" über NSA-Praktiken erfahren, "was nachdenklich gemacht und Vertrauen infrage gestellt hat", stellte Steinmeier fest. Die Vorwürfe müssten weiter im "offenen Dialog" aufgeklärt werden, ohne die Kooperation mit den USA grundsätzlich in Frage zu stellen.

Im Oktober 2015 informierte die Bundesregierung das Parlamentarische Kontrollgremium darüber, dass der BND nicht nur problematische Selektoren der NSA verwendet, sondern offenbar auch mit eigenen Suchkriterien gegen das Recht verstieß. Diese Zielvorgaben sollen sich etwa gegen französische und US-amerikanische Ziele gerichtet haben und seien ausdrücklich nicht mit dem Auftrag an den Geheimdienst und dem Bonmot der Kanzlerin vereinbar, wonach Ausspähen unter Freunden gar nicht gehe.

"Missing Link"

Was fehlt: In der rapiden Technikwelt häufig die Zeit, die vielen News und Hintergründe neu zu sortieren. Am Wochenende wollen wir sie uns nehmen, die Seitenwege abseits des Aktuellen verfolgen, andere Blickwinkel probieren und Zwischentöne hörbar machen.

Nach einer Untersuchung beklagten die Geheimdienstkontrolleure des Bundestags im Dezember 2015 gravierende Rechtsverletzungen durch den BND und forderten dringend Konsequenzen. Der Auslandsgeheimdienst habe in Eigenregie eine Vielzahl an Zielen in EU- und Nato-Staaten ausgeforscht einschließlich ausländischer Regierungsstellen und EU-Institutionen. In Einzelfällen seien auch deutsche Staatsbürger ausgespäht worden, was der BND mit der "Funktionsträgertheorie" begründet habe.

Parallel sollte es erste personelle Konsequenzen bei der Behörde geben. Berichten zufolge verloren drei Mitarbeiter der Abteilung Technische Aufklärung ihre Posten. Demnach werden zwei von ihnen mit anderen Aufgaben innerhalb des BND betraut, hieß es. Der Leiter der Abteilung, Bundeswehrgeneral Pauland, sollte zum Militär zurückkehren. Disziplinarrechtlich verfolgt wurde aber kein hiesiger Agent.

Im abschließenden PKGr-Bericht zu den illegitimen BND-Selektoren vom Juli 2016 beschreibt die darauf angesetzte Arbeitsgruppe einen Fall als besonders gravierend und "selbst bei wohlwollender Betrachtung" ungerechtfertigt. Es gebe "keinerlei Hinweise, dass im BND zu irgendeinem Zeitpunkt der erhoffte Informationsgewinn gegen das politische Risiko der Maßnahme abgewogen wurde", rügen die Volksvertreter. Neben diplomatischen Vertretungen tauchen laut dem Bericht besonders viele Einzelpersonen als BND-Ziele in EU- oder Nato-Ländern auf. Auch hier könnte noch Sprengstoff verborgen liegen, denn die Ermittler räumen ein, dass aus den von der Behörde überlassenen Unterlagen meist nicht hervorgeht, um wen es sich handelt und warum der Betroffene abgehört wurde.

Angela Merkel verteidigte im Ausschuss auch angesichts der BND-Praktiken ihre Ansage, dass gezielte Schnüffeleien unter Partnern gar nicht gingen. Der Ausspruch habe immer ihre innere Überzeugung wiedergegeben, "was Nachrichtendienste tun sollen und was nicht". Sie halte diese nach wie vor für richtig und sei davon ausgegangen, dass auch der (BND) "so etwas nicht macht". Verhandlungspositionen vorab auszuspähen, sei absurd, befand die Kanzlerin ähnlich wie Steinmeier: "Ich bin gut durch meine Kanzlertätigkeit gekommen, ohne dass ich das wusste." Alles andere stelle nach dem Ende des Kalten Krieges eine Ressourcenverschwendung dar.

Dass der BND massiv gegen ihre "anspruchsvolle" Vorgabe verstoßen hat, mache diese "nicht falsch", betonte die 62-Jährige. Das Kanzleramt habe in einer Presseerklärung im April 2015 aber relativ harsch "Defizite" im Auslandsgeheimdienst gerügt. Die weiteren Dinge habe nicht sie durchgesetzt, dafür hätten Altmaier und der Geheimdienstbeauftragte Klaus-Dieter Fritsche gesorgt, auch wenn sie die Gesamtverantwortung trage. Entscheidend ist ihr zufolge: "Wir müssen uns darauf verlassen, dass auch der BND aus diesen Vorkommnissen gelernt hat."

Bei Freunden wie Hillary Clinton, John Kerry oder François Hollande, die Berichten zufolge auf der BND-Spähliste standen, hat sich die Kanzlerin nach eigenen Angaben nicht entschuldigt, mit anderen Regierungsspitzen in der Affäre auch nicht telefoniert: "Ich habe meine öffentlichen Äußerungen gemacht, Dinge eingeleitet, das spricht für sich." Mit einzelnen Selektoren habe sie sich nicht beschäftigt, sondern nur Altmaier ermutigt, entschlossen gegen die damit verknüpften BND-Fehltritte vorzugehen. (mho)