Geheimakte BND & NSA: Ansätze für eine demokratische Geheimdienstkontrolle

Seite 2: "Verfassungsprozessualer Suizid"

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Sachverständige hatten bei einer parlamentarischen Anhörung im September 2016 schwere Mängel in dem Gesetzentwurf ausgemacht. Der Karlsruher Staats- und Informationsrechtler Matthias Bäcker lobte zwar, dass mit dem Vorhaben das lange im Dunkeln gebliebene BND-Kerngeschäft der "Ausland-Ausland-Aufklärung" erstmals "juristisch konkret sichtbar wird". Beim dafür vorgesehenen Schutz des Fernmeldegeheimnisses nach Artikel 10 Grundgesetz greife aber "nicht sehr viel". Insgesamt sei der Entwurf daher verfassungswidrig, zumal die Schranken für das Abhören von Ausländern teils sogar gesenkt würden. Der Entwurf berücksichtige zudem die Tatsache nicht, dass zwischen In- und Ausländern im Internet nicht mehr zu unterscheiden sei.

Der vorgesehene "abgestufte Schutz" zwischen deutschen Staatsbürgern, EU-Bürgern und Angehörigen von Drittstaaten erschien dem Bayreuther Staatsrechtler Heinrich Amadeus Wolff zwar vernünftig. Dass Schwarz-Rot den Artikel 10 in den einschlägigen Paragrafen aber nicht einmal erwähne und klarstelle, dass in das Telekommunikationsgeheimnis eingegriffen werde, sei jedoch "verfassungsprozessualer Suizid". Damit wäre "das gesamte Gesetz kaputt".

Als weiteren "Knüller" machte der Rechtsprofessor aus, dass die Bundesregierung sich ihre Kontrolleure selbst aussuchen dürfte. "Das können Sie so nicht lassen", erklärte er den Volksvertretern. "Peinlich" sei zudem, dass Karlsruhe jüngst erst Kontrollmechanismen bei der Zusammenarbeit mit ausländischen Sicherheitsbehörden angemahnt habe und dies "der Entwurf völlig verschläft". Prinzipiell könnte der Gesetzgeber aber erst mal loslegen und später nachbessern, wenn das Verfassungsgericht dies fordern sollte.

"Erhebliche Nachbesserungen" und klarere Grenzen für die BND-Spionage mahnte Eric Töpfer vom Deutschen Institut für Menschenrechte an. "Die Kontrolle des BND fällt zu schwach aus", brachte Thorsten Wetzling von der Stiftung neue Verantwortung die Meinung fast aller Sachverständigen auf den Punkt. Scharfe Kritik an den Plänen kam ferner von internationalen Organisationen. Die OSZE-Beauftragte für die Freiheit der Medien, Dunja Mijatović, sah fundamentale Rechte wie das auf freie Meinungsäußerung in Gefahr. Gleich drei UN-Sonderberichterstatter brachten Bedenken vor, dass unter anderem der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte nicht beachtet würde.

Auch die Opposition lehnte das Vorhaben entschieden ab. "Die Bundesregierung will die ohnehin kaum mögliche parlamentarische Kontrolle des BND noch mehr behindern", beklagte Jan Korte, Vizechef der Linksfraktion im Bundestag. "Auch das Spionieren unter Freunden wird legalisiert." Falls Schwarz-Rot solche Schlussfolgerungen aus den Geheimdienstskandalen ableiten wolle, seien es die falschen.

Martina Renner, Obfrau der Linken im Ausschuss, beklagte bei der abschließenden Zweiten Lesung im Bundestag, dass die Koalition mit dem Gesetz das Fernmeldegeheimnis in Artikel 10 Grundgesetz wissentlich abschaffe und massenhafte Grundrechtsverletzungen legitimiere. Die Initiative sei ein Geschenk für den BND, weil er "jetzt auch in Deutschland ans Kabel darf". Er brauche die Satellitendaten auch nicht mehr für "außerirdisch" erklären. Insgesamt werde der Auslandsgeheimdienst so zum "eineiigen Zwilling der NSA".

Das Ergebnis harter Arbeit im NSA-Ausschuss sei, dass der BND getrickst, getarnt und getäuscht habe, unterstrich Renner. Man habe den Dienst kalt erwischt, angestoßen von Edward Snowden. Die Folge seien aber "keine Reue, kein Umsteuern", die Verantwortlichen würden auch nicht zur Verantwortung gezogen, sondern nur die Rechtslage nach BND-Wünschen angepasst.

"Statt die notwendigen, wiederholt angemahnten rechtsstaatlichen Konsequenzen zu ziehen und die Massenüberwachung sowie die Verletzungen von EU-Grundrechtecharta und Grundrechten zu stoppen, sollen die hoch umstrittenen BND-Praktiken nun legalisiert werden", wetterten der Grünen-Vize Konstantin von Notz und sein Fraktionskollege Hans-Christian Ströbele, die beide im NSA-Ausschuss sitzen.

Sie betonen: "Dass der Gesetzentwurf einer verfassungsrechtlichen Prüfung Stand halten wird, bezweifeln wir." Die Voraussetzungen für Glasfaserabgriffe und die anschließende Rasterfahndung seien "vollkommen uferlos und weitgehend unbestimmt". Im Parlament betonte von Notz beim Gesetzesbeschluss: "Dies ist ein schlechter Tag für die Geheimdienste und die Demokratie". Es bleibe beim "desaströsen Bild des BND" in der Öffentlichkeit, für das die Politik Verantwortung trage.

Ex-Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) bezeichnete den Entwurf als "schlecht gemacht und nicht gut gemeint". Der BND werde "an der langen Leine gelassen". Nachdem das Papier den Bundestag passierte, kündigte die Liberale als erste den Gang nach Karlsruhe an: eine Verfassungsbeschwerde hielt sie für "dringend geboten". "Der deutsche Auslandsgeheimdienst, der tief im Sumpf der illegalen Überwachung mit den USA und Großbritannien steckt, erhält neue, ausgedehnte Befugnisse, die teilweise verfassungswidrig sind", konstatierte sie. Langjährig illegal praktizierte Überwachungen durch den BND würden nun legalisiert, die Novelle verstoße gegen Bürger- und Menschenrechte.

Die Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff, monierte, dass die Reform "die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Kontrollfunktion" der von ihr geleiteten Behörde ignoriere. Diese sei aber unerlässlich, da es "bei der heimlichen Überwachung es nur einen eingeschränkten Rechtsschutz für einzelne Bürger gibt". Kritisch sieht Voßhoff auch die Bestimmungen zur Zusammenarbeit des BND mit ausländischen Nachrichtendiensten wie der NSA. Hier seien Kontrollen nur dann zulässig, "wenn ein deutscher Dienst eine Datei einrichtet und Daten einstellt". Nutze der BND dagegen Informationen eines Partners, erfolge dies im kontrollfreien Raum. Die Datenschützerin forderte weiter, dass die Aufklärungsarbeit des Geheimdienstes auch im Ausland eine gesetzliche Grundlage benötige.

Auch der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags kam im Auftrag des Linken André Hahn im Sommer 2016 zu dem Schluss, dass der Gesetzentwurf an vielen Punkten zu vage und zu weit gefasst sei. Allgemein gehaltene Formulierungen wie die "innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik" oder deren "Handlungsfähigkeit" seien zu unkonkret, um die strategische Fernmeldeaufklärung zuzulassen. Letztlich könnte so beinahe jede Abhör- und Überwachungsmaßnahme gerechtfertigt werde, was unverhältnismäßig sowie zu unbestimmt sei und damit grundgesetzwidrig. Konkrete Schranken für den BND gebe es schier keine.

"Problematisch ist vor allem die anlasslose, globale und massenhafte Überwachung elektronischer Kommunikation. Solche Aktivitäten sind mit den internationalen Normen zum Schutz der Menschenrechte kaum zu vereinbaren; und sie sind geeignet, außenpolitische Beziehungen zwischen Partnerstaaten empfindlich zu stören." (Christian Schaller – Stiftung Wissenschaft und Politik)

Zudem verstoße das Vorhaben gegen den Gleichheitsgrundsatz, heißt es in dem Gutachten. Deutsche Staatsbürger, EU-Bürger und Angehörige von Drittstaaten würden unterschiedlich behandelt, was die Bundesregierung aber nicht hinreichend begründe. "Nicht unproblematisch" erscheine auch die geplante Regel, dass der BND Informationen automatisiert an ausländische Geheimdienste übermitteln dürfen solle. Hahn sprach daraufhin von einem "vernichtenden Urteil". Parallel übten unter anderem Medienverbände, Amnesty International und Beauftragte der Vereinten Nationen ernste Bedenken und scharfe Kritik an dem Vorhaben.

Nina Warken (CDU) und Christian Flisek (SPD) unterstrichen dagegen, dass der Schutz von EU-Bürgern vor geheimdienstlicher Überwachung gestärkt und weitgehend dem von Deutschen gleichgestellt werde. Dies sei "weltweit einmalig", hob Flisek im Plenum im Oktober 2016 hervor. Die Koalition bringe zudem Licht in die im NSA-Ausschuss aufgedeckte "Dunkelkammer" beim BND. Der müsse Kooperationsvereinbarungen künftig dem PKGr vorlegen. Trotz einiger Kritik im Detail sei dies ein "mutiger Schritt nach vorne".

Die Christdemokratin Warken ergänzte: Der BND müsse in der Lage sein, "über modernste Mittel" Informationen zu sammeln und diese über Glasfaser und Dateien mit Geheimdienstpartnern teilen zu können. Die dortigen Mitarbeiter seien "keine finsteren James-Bond-Bösewichte", sondern "ganz normale Männer und Frauen mit Familien und Kindern".