Geheimakte BND & NSA: Der BND spioniert am größten Internetknoten der Welt

Seite 2: Jetzt sollen die Gerichte sprechen

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Insgesamt hat der BND bei der Internetüberwachung am weltweit größten Datenknoten laut Landefeld weitgehend freie Hand. Im April 2015 kündigte die De-Cix-Betreibergesellschaft daher an, Klage gegen die einschlägige BND-Spionage beim Bundesverwaltungsgericht einzureichen, im Herbst 2016 ließ er dem Taten folgen. "Wir bezweifeln die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen und halten sie für unzulässig", begründete Landefeld den Schritt. Notfalls werde man auch vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Die Betreiber wollen dabei auch prüfen lassen, ob das Ausspähen von Ausländern schier ohne jede Einschränkung mit deutschen Gesetzen vereinbar ist.

Der Geheimdienstkoordinator im Bundeskanzleramt, Günther Heiß, konnte sich bei seinem Auftritt in dem Untersuchungsgremium im Juli 2015 nicht daran erinnern, dass mit Eikonal vergleichbare Projekte am De-Cix bislang Thema in der Regierungszentrale gewesen seien. Der BND habe auf eine entsprechende Frage "keine einschlägige Antwort" gegeben, meinte der Beauftragte, nachdem dortige Experten alle Snowden-Veröffentlichungen überprüft hätten. Heiß bestätigte aber, Landefeld in einem Telefonat davon abgeraten zu haben, gegenüber den Medien Auskunft über G10-Überwachungsmaßnahmen an der Datendrehscheibe zu geben.

Die De-Cix-Betreiber beauftragten im Rahmen ihrer Klage den einstigen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, ein Rechtsgutachten anzufertigen. Der renommierte Verfassungsrechtler verschärft in seiner Analyse, welche die Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht im August 2016 veröffentlichten, seine zuvor auch schon im Ausschuss geübte Kritik an der strategischen Telekommunikationsüberwachung des Bundesnachrichtendienstes. Insgesamt kommt er zu dem Ergebnis, dass einschlägige BND-Zugriffe auf Netzknoten wie den De-Cix "insgesamt rechtswidrig" sind.

Hans-Jürgen Papier

(Bild: heise online/Stefan Krempl)

Wenn die Agenten an einem Internetkabel im großen Stil Datenpakete ausleiteten, könne schon "sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht nicht sichergestellt werden", dass die Voraussetzungen für einen derart massiven Eingriff ins Telekommunikationsgeheimnis etwa nach dem G10-Gesetz gewahrt blieben, legt Papier dar. Zudem würden auch die verfassungsrechtlichen Hürden dafür "missachtet" beziehungsweise "überschritten".

So gebe es für die umstrittenen BND-Aktivitäten keine "normenklare und bereichsspezifischen Ermächtigungsgrundlage", erläutert der Jurist. Zudem unterbleibe "der absolute Schutz des Menschenwürdekerns", den Artikel 10 Grundgesetz erforderlich mache. Auch das Prinzip, dass Eingriffe in Grundrechte verhältnismäßig sein müssten, werde nicht beachtet.

"Vom Gesetzgeber ist zu verlangen, dass er durch geeignete Vorschriften sicherstellt, dass die Daten der Telekommunikationsverkehre des höchstpersönlichen Bereichs schon nicht erhoben, jedenfalls nicht gespeichert und nicht verwendet, sondern – wenn sie schon unvermeidbar erhoben seien sollten – unverzüglich gelöscht werden." (Hans-Jürgen Papier: )

Eine Überwachung der Telekommunikation zu Zwecken der Auslandsaufklärung ohne jede Voraussetzung und Begrenzung könne generell verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden, unterstreicht das CSU-Mitglied. Das ganze Konstrukt der "strategischen" Überwachung passe nicht mehr auf die Internetkommunikation, da die herangezogenen Leitungskapazitäten dabei kaum mehr im Einklang mit den Vorgaben aus Karlsruhe begrenzt werden könnten. Auch falle eine Unterscheidung zwischen in- und ausländischem Verkehr schwer. Allgemein sei die Kommunikation im Ausland zwischen Ausländern ebenfalls grundrechtsgeschützt.

"Das Grundrecht auf Schutz des Telekommunikationsgeheimnisses nach Art. 10 I Grundgesetz ist unzweifelhaft ein Menschenrecht, es steht mithin nicht nur Deutschen zu." (Hans-Jürgen Papier: )

"Missing Link"

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Schwer zu Gericht geht der Experte auch mit den BND-Filtermethoden zum Schutz von Bundesbürgern. Die vielbeschworene Dafis-Technik sei wohl weitgehend unwirksam, schreibt der Jurist. Das beziehe sich auch auf die geografische Eingrenzung der zu erfassenden Telekommunikationsströme. Bekanntermaßen könnten IP-Adressen, Länder-Code-Domains in E-Mail-Adressen wie die Endung .de, Dienste und Suchbegriffe nur unzureichend dazu beitragen, ein räumliches Gebiet einzugrenzen. So werde man etwa davon auszugehen haben, dass bei einer Filterung anhand von IP-Adressen allenfalls eine Genauigkeit von 90 bis 95 Prozent rund um die geografische Zielregion erreicht werde. Daher stellten sich durchaus Fragen nach der Qualität, Quantität und Genauigkeit dieser angeblichen "(Filter-)Systeme".

Papier spricht dem BND ferner die Befugnis ab, abgefischte Daten "umfassend oder eventuell sogar automatisiert" an Partner wie die NSA weiterzugeben. Soweit ausländische Geheimdienste der deutschen Spionagebehörde Selektorenlisten bereitstellten und diese im Weiteren damit gewonnene Informationen an die Gehilfen weiterreichten, sei dies "sehr problematisch". Ein solcher Einsatz von Suchmerkmalen sei auf jeden Fall "nicht zulässig", wenn die erlangten Ergebnisse nicht vor einem Transfer auf Basis des hiesigen Rechts bewertet würden. Schallender könnte eine juristische Ohrfeige kaum ausfallen. (mho)